Alban Nikolai Herbst schildert die einzigartige Atmosphäre eines Konzerts, das gleichermaßen Überraschung, Experimentierfreude und meisterliche Klavierkunst bot. Von wilden Improvisationen bis zu zarten Momenten der Stille – die vier Pianisten entführten das Publikum auf eine klangliche Reise jenseits des Alltäglichen. Humor, Emotion und technisches Können verschmolzen zu einem Erlebnis, das längst legendär ist. Ein Konzert, das die Grenzen zwischen Jazz, Klassik und Performancekunst auslotete – und ein Publikum, das zu Recht in Jubel ausbrach.
Welch ein Abend wieder einmal! Die gemeinsam von Siggi Loch und der Stiftung der Berliner Philharmoniker nach einer für das Jahr 1944 wahrlich revolutionären Idee des 2001 verstorbenen Norman Granz aus der Taufe gehobene Reihe ist längst selbst derart legendär geworden, daß der große Saal der Philharmonie seit Wochen schon ausverkauft war. Zumal traten dieselben drei Pianisten auf, die am 11. Dezember 2012 das erste Konzert gestaltet hatten, wobei … nein, nicht ganz, einer kam nun hinzu. Denn kurzfristig hatte es so ausgesehen, als hätte Leszek Możdżer, auf den ich mich besonders vorgefreut hatte, einer bereits organisierten Tournee wegen absagen müssen. Kurz rutschte mir, als dies angesagt wurde, das Herz in die Hose. Drei aber sollten’s halt wieder sein, und mit Grégory Privat war ein junger, in Frankreich schon bekannter … »Ersatz« ist das falsche Wort … jedenfalls gefunden. Dann konnte Możdżer aber doch, und aus dem Trio war ein kraftvolles Quartett geworden, das den berühmten Saal der Großen Philharmonie mit rasenden, wilden, zarten, sogar gelegentlich verträumten, nur höchst selten simplen Klängen erfüllte Michael Wollny hatte ja recht, als er nach den teils solistischen Partien aller – sowie Zusammenspielen Możdżers & Iiro Rantalas, Możdżers & Privats – ins Publikum hineinsprach, daß er froh sei, »jetzt mit allen drei« – kurzes Stocken – »Meistern Duos spielen« zu können. Denn Meister sind sie in der Tat, besonders freilich Możdżer und Wollny mit ihren je eigenen ebenso sinnlichen wie intellektuellen, auch durchaus experimentierenden Tonsprachen; virtuos hingegen sind sie insgesamt, da gibt es nichts zu mäkeln. Freilich haben sie auch Spaß an Akrobatik, wechseln gleichsam im Glissando ihre Instrumente, spielen auch schon mal an zweien zugleich, doch kaum je gerät das zur Zirkusartistik, und wenn, dann ist’s humoristisch Aktion. Rantalas Improvisation auf Chaplins Song »Smile« wäre da gar nicht nötig gewesen, ja zerklätschelte sich in Publikumskitsch; er hat eine Neigung zu, um es so zu sagen, urwüchsiger Seichtheit und fühlt sich, wenn mitgeklatscht wird, schien es mir, wohl. Auch mitsummen nostalgisch sollte der Saal, »it was much, much worse in the year of 1936«, wir sollten wieder lächeln, schlimm wie damals sei die heutige Weltlage nicht. Vom Parkett hoch, und schwebend hernieder aus den Rängen, rauschte das Summen der Leute zu diesem »Smile« da mit. Doch bevor nun alles vor Rührung zerfloß, bereits mein Parkettsitz war klebrig, griff Wollny in die Zügel, ›nahm sie kurz‹ und begann eine so ausgedehnte Meditation über Joachim Kühns »More Tuna«, daß sich die Gefühligkeiten strafften und wieder zu konzentriertem Zuhören wurden.
Erlösend. Melancholisch, ja, auch das. Doch Abenteuer für das Ohr:
Zwar gab es – sowieso insgesamt – wenig Anklänge an den grad bei Kühn sehr nahe liegenden Freejazz, doch überraschend gingen impressionistische Klangblüten auf, bis Wollny das bald voranpreschende, mit allen Wassern postmoderner Improvisationskunst gewaschene, von Standardgesten rhythmisierte Stück in rasantem Furioso beschloß. Nicht unähnlich sein Duo mit Rantala, der seine Neigung zum Kitsch da restlos verbarg und einfach zeigte, was seine Finger frei hergeben können. Na gut, ›einfach‹ ist das nicht. Technisch steht er den andren drei ja nicht nach. Doch den Höhepunkt schenkte uns das Zusammenspiel Wollnys mit Możdżer, der schon zuvor, in seiner Improvisation über Chopins «Revolutions«-Etüde c-moll, die stupende Fähigkeit bewiesen hatte, seinen großen Vorgänger wie einen dritten Polen klingen zu lassen. Nämlich als Jazzstück von Liszt. Hier jetzt mit Wollny wurde der zart.
Sie nahmen ihr Thema diesmal von Charles Mingus her, der den beiden sowieso nicht fern ist. Eigentlich als musikalischen Nachruf auf Lester Young geschrieben, wurde der Blues zu einer Ballade, deren Mittelteil grad in seiner kurz verharrenden Stille ergriff, jenseits aller Mitklatschrhetorik. Ein rufender, etwas schmutziger Gestus aber (aus dem mit Auflagen präparierten Klavier) wollte dieses Schweigen nicht, lehnte sich auf vermittels um sich kreisender Pizzicato- Pas-de-deux, legte an Fahrt heftig noch zu und krachte, einer umgekehrten Windhose gleich, in atonalem Wirbeln auf.
Im folgenden Finale dann, alle Viere waren beteiligt, kam eine Besonderheit dieses Konzertabends zum Tragen, die zwar schon zweidreimal ein Röllchen spielen durfte, nun aber zur eigentlichen Hauptprotagonistin wurde. Es standen auf dem Podium nämlich nicht nur die beiden absolut klangreinen Klaviere, also Flügel, sondern auch eine Celesta und ein Harmonium, zwischen die und den rechten Flügel sich die Pianisten nunmehr drängten. Da war wirklich kaum Platz. Doch erlaubte es ihnen, von nun auf jetzt zwei Instrumente zugleich zu spielen. Wozu sie durchaus dem Nachbarn mal, um an die Tasten zu gelangen, zwischen die Finger greifen mußten; sie schoben sich auch gegenseitig weg, und wo ein Platz wird, drängt ein anderer hinein, ihn rasend übernehmend. Klar, das war jetzt wirklich Zirkus, doch hier gehörte er hin. Die Zugabe erwies hernach, beseelt, den Beatles Referenz, und es ist gut, daß Harmonium und Celesta jeden Schönklang meiden, alles irgendwie gedämpft tönt und an den Rändern – »Imagine all the people / Livin’ for today« – schon lang nicht mehr ganz fest. Klanglich ward das Pathos, das ja sein muß, so in den Pappkarton gestopft.
Das Publikum nahm dies nicht übel; es war, war mein Eindruck, von Anfang an auf Jubel eingestellt gewesen – allerdings durchaus zurecht. Der war vor der Zugabe schon, gleich in der ersten Welle, mit stehenden Ovations losgegangen und brandete jetzt wieder auf. Zu weiterem Nachspiel freilich waren die vier Gefeierten nicht mehr zu bewegen, es war ja auch genug. Schon deshalb bin ich mir sicher, daß auch von diesem Abend eine CD produziert werden wird; sowie sie erscheint, gebe ich Ihnen Bescheid. Das kann ich schon versprechen. In jedem Fall hat, wer nicht dort war, eine – um selbst einmal etwas kitschig zu werden – Sternstunde verpaßt. Und um den Kitsch präzis zu widerrufen: 1h 41min.
Letzte Änderung: 05.12.2024 | Erstellt am: 05.12.2024
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