Opfer sind schon eingepreist

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Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“
Die schmutzigen Hände

Jean-Paul Sartre hatte kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs die mit den Deutschen kollaborierende Petain-Regierung vor Augen, die jungen, linken Intellektuellen Frankreichs, aber auch die Ermordung Trotzkis durch einen Agenten Stalins. Das Drama „Die schmutzigen Hände“, das daraufhin entstand, wurde jetzt, frei von historischen Bezügen, in Frankfurt aufgeführt. Und Martin Lüdke hat es gesehen.

Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ in Frankfurt wiederentdeckt

Das Leben. Es wummert. Es blubbert. Ein riesiges rotes Herz hängt in einem großen asymmetrischen Drahtkäfig pulsierend über der großen Bühne. Das Leben, als solches. Und ganz konkret.

Das Stück stammt aus dem Jahre 1948. Der Krieg war vorbei. Die Folgen noch überall zu spüren. Ökonomisch, politisch, moralisch. Die Frage, das Problem des Widerstands wurde zunehmend aktuell. Die deutsche Erstausgabe dieses Stücks, Sartres erfolgreichstes überhaupt, erschien bereits 1949 im Stuttgarter (!) Rowohlt Verlag. Die mir vorliegende Taschenbuchausgabe aus dem Jahre 1990, also immerhin vor zweiunddreißig Jahren herausgekommen, gehört zu den 591. Tausend der Gesamtausgabe.

Sartres „Schmutzige Hände“ haben also nicht nur Geschichte geschrieben, sondern auch Geschichte gemacht.
 
 

I
Der amerikanische (Geschichts-)Philosoph Arthur C. Danto hat einmal festgestellt: Wenn die Zukunft offen ist, dann könne die Vergangenheit nicht verschlossen sein. Das lässt sich schlicht am Ersten Weltkrieg illustrieren, der seinen Namen allein dem Zweiten verdankt, oder, genauer noch, an Dantos eigenem Beispiel gezeigt: Erst das kopernikanische Weltbild hat das ptolemäische (bis jetzt) richtig eingeordnet. Das lässt sich aber auch gut zeigen an den „Schmutzigen Händen“ Sartres. Eine Handlung und die Motive, die zu ihr führten, sind unter veränderten historischen Bedingungen anders zu betrachten und entsprechend anders zu werten. Sartre hatte sicher auch von den Stalin befohlenen Mord an Trotzki vor Augen, als er die „Schmutzigen Hände“ schrieb.

Lilja Rupprecht, die vor einiger Zeit bereits Ingeborg Bachmanns „Malina“ erfolgreich in Frankfurt inszenierte, hat aus solchen Einsichten entsprechende Konsequenzen gezogen. Sie hat Sartres Vorlage deutlich gestrafft und ihren, aller historischen Bezüge entkleideten, Kern heraus destilliert. Sie hat das gesamte Personal mit Masken verkleidet, die nur hin und wieder mal kurz abgenommen werden, so dass der Mensch hinter seiner Maske, wie gesagt kurz, ganz kurz, hervortritt. Sie hat den Raum, den die Bühnenbildnerin Anne Ehrlich, mit drastischer Symbolik und zugleich karg und nüchtern, wenn auch mit sozusagen doppelt einleuchtenden Spiegeleffekten versehen hat, konsequent für ihr ‚Kammerspiel’ genutzt. Über der Spielfläche pulsiert ein riesiges, rotes Herz, in einer Art Drahtkäfig gefangen. Die karge, weite Bühne selbst, nur mit den notwendigsten Requisiten ausgestattet, betont zugleich den Modellcharakter des Geschehens wie seine realistische Grundierung.
 
 

II
Deutsche Truppen haben das Land Illyrien besetzt. Die Regierung kollaboriert mit der Besatzungsmacht. Frankreich, ick hör dir trapsen. Nur die kommunistische Partei leistet noch Widerstand. Als die Rote Armee immer nähert kommt, schwenkt die Regierung um. Deshalb steht die Partei jetzt vor dem Problem: Soll sie mit der Regierung kooperieren, um sich später einen Anteil an der Macht zu sichern, oder soll sie weiter im Widerstand bleiben und gegen die Regierung opponieren? Die Parteiführung spaltet sich über dieser Frage.

Hoederer, ein Parteiführer, von Matthias Redlhammer mit souveräner Gelassenheit überzeugend präsentiert, Hoederer also tritt für eine Vertagung der Revolution und für ein Bündnis mit der Regierung ein. Er stellt sich damit gegen die Mehrheit der Partei. Und soll nun, wie die Parteiführung beschließt, deshalb liquidiert werden. Dazu bietet sich der junge Redakteur der Parteizeitung Hugo an, der mit dieser radikalen Tat nicht nur Linientreue, Kampfkraft und Mut beweisen und vor allem seine bürgerliche Herkunft endgültig hinter sich lassen will. Gemeinsam mit seiner Frau Jessica zieht Hugo bei Hoederer ein, um als Sekretär für ihn zu arbeiten und ihn dabei auszuspionieren und schließlich auch zu liquidieren. Doch je mehr er Hoederer und dessen politische Strategien und Ziele kennen lernt, desto mehr zögert er, den Auftragsmord auszuführen. Erst als er seine Frau Jessica in den Armen des Parteiführers überrascht, greift er tatsächlich zur Waffe.
 
 

III
In einem Gespräch zwischen Hoederer und Hugo, das dem Programmheft der Frankfurter Aufführung als Motto dient, heißt es:
Hoederer: Du liebst die Menschen nicht, Hugo. Du liebst nur die Prinzipien.

Hugo: Warum sollte ich sie lieben. Lieben sie mich?

Hoederer: Warum bist du dann zu uns gekommen? Wenn man die Menschen nicht liebt, kann man nicht für die Menschen kämpfen.
Hugo: was die Menschen angeht, nicht wie sie sind, interessiert mich, sondern was sie sein können.

Hoederer: Und ich liebe sie so wie sie sind.
 
 

IV
Nach zwei Jahren Haft kehrt Hugo aus dem Gefängnis zurück. Er trifft Olga, die als eine Art Mentorin prüfen soll, ob er wieder und weiter für die Partei arbeiten kann. Sie war es, die ihm seinerzeit den Auftrag verschafft hatte, Hoederer zu töten. In der Zwischenzeit aber haben die Verhältnisse tatsächlich geändert. Die Partei kooperiert mit dem Regime. Der Mord an Hoederer passt nicht mehr zur neuen Linie. Die Partei erwartet von Hugo, dass er den Tod seines Chefs auf seine eigene (private) Kappe nimmt. Als Hugo sich weigert, wird er erschossen.
 
 

V
Harte Zeiten, damals. Sartre hat allerdings, ganz anders als Brecht („Die Maßnahme“ etwa) sein Stück keineswegs an der Parteilinie entlang geschrieben. Er zeigt vielmehr, dass die politischen Zweifel an der Linie der Partei erst durch ein rein privates Motiv beiseite geschoben werden konnten. Ein Eifersuchtsdrama also? Mitnichten. Eine widersprüchliche Gemengelage.

Lilja Rupprecht, die Regisseurin, hat konsequent auf alle historischen Bezüge verzichtet. Das heißt den Modellcharakter des Stücks herausgestellt. Politische Differenzen, moralische Probleme, private Interessen werden miteinander konfrontiert. Allein wie Jessica, Hugos Frau, gleichsam die wahren kommunistischen Motive, nämlich ihr Interesse an einem glücklichen Leben, unter den gegebenen politischen Bedingungen versucht durchzusetzen, was Lea Ruckpaul faszinierend auf die Bühne bringt, allein Jessica zeigt also die ganze Erbärmlichkeit eines Prinzipienreiters (den Fridolin Sandmayer überzeugend darstellt), der am Leben vorbei lebt, und entsprechend über die Wupper geht.

Wenn die Zukunft offen ist, könne die Vergangenheit nicht verschlossen sein, hatte Danto gesagt. Das heißt, auf die „Schmutzigen Hände“ bezogen, auch in Zukunft ist von dem Stück noch einiges zu erwarten.

Letzte Änderung: 01.11.2022  |  Erstellt am: 01.11.2022


Die schmutzigen Hände
von Jean-Paul Sartre

Schauspielhaus Frankfurt am Main

Weitere Aufführungen:
2., 10., 12., 18., 21., 25. November;
8., 9., 28., 30. Dezember 2022, jeweils 19.30 Uhr

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