Körper- und Klangwelt im Elfenwald

Körper- und Klangwelt im Elfenwald

Benjamin Brittens „A Midsummer Night`s Dream“ in Frankfurt
Szenenfoto | © Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Als sei aus den Künstler:innen alles Könnens- und Kreativpotential rausgeplatzt, was so lange unter dem Corona-Deckel gegärt hat. So kam es jedenfalls Andrea Richter vor. Fulminant in jeder Hinsicht nennt sie die Premiere des Frankfurter „A Midsummer Night's Dream" von Benjamin Britten.

Langweilig ist diese 1960 in Aldeburgh uraufgeführte Oper sowieso nie. Weil das Stück Shakespeares genial ist und weil Britten und sein Freund Peter Pears – bis auf Kürzungen – beim Erstellen des Librettos den Text wörtlich übernommen haben, und damit der Zauber beibehalten, durch das Umsetzen in Musik durch Britten gar verstärkt wurde. Der Frankfurter Inszenierung wohnt dieser Zauber inne.

Was man zunächst nicht glauben will, wenn man diese große, weiße Skater Half-Pipe mit ein paar Baum- und Buschrümpfen, ein paar Schilfbüscheln und Steinen dürftig zu einem Elfenwald im kahlen Depot-Raum hergerichtet, sieht. Auf der Rampe nimmt der Kinderchor Platz, dessen weiße Ganzkörper-Kostüme den gehäuteten Leichen der Ausstellung „Körperwelten“ mit dem erschreckenden roten Adergeflecht eines Lebewesens respektive Embryos und alien-mäßigen Auswüchsen auf den Köpfen nun wahrlich nichts mit der gängigen Vorstellung von Elfen zu tun hat. Nun gut, ET wurde und wird schließlich trotz oder gerade wegen seines Aussehens geliebt. Als sie ihre hellen Elfenstimmen erheben, tobt im Orchester bereits die Vorahnung auf den gewaltigen Streit zwischen dem elfischen Königspaar Tytania und Oberon. Herrlich manieriert zu Klängen von Celesta, Harfen, Vibraphon und Glockenspiel bewegt sich Oberon, Countertenor und Frankfurt Debütant Shahbazi, dessen eher dunkles Timbre sich glänzend vom Sopran Kaspers (Tytania) abhebt. Wunderbar menschlich fauchen sich die beiden Frauenstimmen, von deren einheitlichen schwarz-weiß gestreiften Oberteilen rote Stofffetzen wie Blutadern hängen und sich schwarze und doch barocke Haarberge auf den Köpfen wölben, an. Der offene, leere Raum des Depots vor der Half-Pipe ist längst insgesamt imaginierter Elfenwald. Herein wirbelt Puck zu Zirkus-Trompete und Trommel, gekleidet wie seine Herrschaft, und erhält den Befehl, mit dem Saft der Zauberblume die bekannten Liebesverwirrungen zu stiften.

 | © Foto: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Langsam wird der Wald von verschiedenen Menschen- und den dazugehörigen Instrumentalgruppen bevölkert: Streicher für die beiden Paare Hermia und Lysander sowie Demetrius und Helena. Tiefe Bläser für die sechs Handwerker, die ein Theaterstück für die Hochzeit des menschlichen Herzogpaares proben wollen. Hier die ersten komischen Einlagen des bis zum Schluss umwerfend agierenden und singenden Barnaby Rea als Bottom, der in diesem Fall nicht als Esel, sondern dem Text wörtlich entsprechend als „ass“, Arschgesicht, die Liebe Tytanias erfährt.

Drama, Leid, Lust, Liebe und Komik steigern sich in homöopathischen Dosen musikalisch wie inszenatorisch zum totalen Chaos. Zwischen Tränen des Lachens und der Ergriffenheit pendeln die Zuschauer eine Weile, bis sich im angekündigten Theaterstück der Humor endgültig die Bahn bricht. Garantiert: eine solche Parodie – musikalisch wie theatralisch vom Tenor Brian Michael Moore rasend komisch umgesetzt – hat noch keine Bühne erlebt. Lautes Gelächter von den Rängen.

Geradezu symbiotisch erscheint die Zusammenarbeit von musikalischer Gesamtleitung (Geoffrey Paterson), Regie (Brigitte Fassbaender) und Leitung des Kinderchors (Àlvaro Corral Matute). Jede Szene, von Britten mit eigenem Charakter und dazugehörigen Instrumenten komponiert, besticht einfühlsam mit besonderen Klangfarben von romantisch harmonisch bis beinahe schräg atonal. Jedes Zwischenspiel eine kleine Symphonie zwischen Purcell und Mendelssohn, die beide das Stück ebenfalls vertont haben. Die Regie – typisch Fassbaender, ganz und gar Musik und Text dienend – hebt jede Rolle auf das Podest einer Hauptpartie und jeder Einzelne beweist, dass er Hauptpartie kann.

Am Ende Ovationen fürs Ensemble, dessen Mitglieder sich jeder eine blaugelbe Solidaritätsschleife für die Verbeugungen angesteckt hatte.

Letzte Änderung: 15.05.2022  |  Erstellt am: 15.05.2022

Kateryna Kasper (Tytania)  | © Foto: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM
Oper in drei Akten von Benjamin Britten
Text vom Komponisten und Peter Pears nach William Shakespeare
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Geoffrey Paterson
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Bühnenbild: Christoph Fischer
Kostüme: Anna-Sophie Lienbacher
Licht: Jan Hartmann
Kinderchor: Álvaro Corral Matute
Dramaturgie: Deborah Einspiele

Weitere Vorstellungen:
15. (15.30 Uhr), 16., 18., 20., 23., 25. Mai 2022
Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19 Uhr

Oper Frankfurt

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