Obwohl die Geschichte zeigt, wie stark sich die Oper seit ihren Anfängen verändert hat und sich stetig weiter entwickelt, lebt sie doch von einigen Konstanten. Der jüngste Versuch einer Neuschöpfung kam, und das überrascht nicht, aus den USA: Das Nature Theater of Oklahoma präsentiert – An Opera: Burt Turrido. Martin Lüdke hat das Unternehmen gesehen, erlitten und genossen.
Das Nature Theater of Oklahoma mit An Opera: Burt Turrido
Die New Yorker Theatermacher Kelly Copper und Pavel Liska gründeten 1996 das Nature Theater of Oklahoma, in unübersehbarem Bezug auf die literarische Tradition (Franz Kafka) und unverkennbarer Absicht, sie genussvoll auseinanderzunehmen (Dekonstruktion). Sie zeichnen sowohl für den Text wie auch für die Regie ihres neuen Stücks „Burt Turrido“ verantwortlich, das Anfang Oktober in Frankfurt am Main seine Deutschlandpremiere feierte.
I
Ehrlich, bereits nach einer Viertelstunde wollten wir gehen. Country-Sänger spielen Kasperletheater. Aufgrund biographisch bedingter Defizite in meiner musikalischen Erziehung bin ich ein unbedingter Anhänger der Country- & Western Music geblieben. Johnny Cash & Willie Nelson, Loretta Lynn & Dolly Parton, Kenny Rogers & Hank Williams. Die Musik dieser seltsamen „Oper“ hielt mich also bis zur Pause deshalb bei der Stange.
Und, nachdem wir in der Pause Freunde getroffen hatten, mit denen wir uns in dieser Einschätzung, Unsinn, einig waren, wollte ich aber doch noch sehen, ob es tatsächlich in gleicher Weise, wie einst in den alten Opern unserer bürgerlichen Vorfahren, unsinnig weitergehe.
Wir blieben. Und mehr und mehr ließen wir uns von den Hillbilly-Rhythmen ‚mitnehmen’, bis – nach, mit Pause, knapp vier Stunden – alles vorbei war. Und kräftiger, langanhaltender Beifall die Protagonisten immer wieder auf die Bühne rief. Es war von vorneherein nicht ausverkauft. Und in der Pause gab es eine sichtbare Fluchtbewegung. Aber: wer blieb, der blieb – aus Überzeugung.
Denn auch die, sagen wir, Rahmenbedingungen stimmten:
Erstens war an allen Ecken und Enden des Depots eine ausführliche und korrekte Inhaltsangabe ausgelegt; zweitens wurde der englische, durchgängig im (Nashville-) Stil der Country-Music gesungene, Text in großen Lettern, deutsch und englisch, auf einem Band über der Bühne gut lesbar projiziert.
Also:
Ein schiffbrüchiger Mann wird kurz vor dem Ertrinken von einer schönen und geheimnisvollen Frau vor dem Ertrinken gerettet, die ihn auf das letzte verbliebene Stück Land der Erde bringt. Ihrer Vegetation beraubt und bevölkert von den Geistern ihrer einstigen Bewohner wird diese, früher als Grönland bekannte, Gegend von einem despotischen Königspaar regiert. Weitere Zutaten dieser tragischen Oper sind ein verhängnisvoller Sturm, eine unbefleckte Empfängnis, über die es allerdings viel zu diskutieren gibt, ein Mord, eine Dreiecksliebesgeschichte, eine Scheinexekution, eine Geburt, eine Alien-Invasion, inklusive Entführung – und die Oper ist nicht zu Ende, bevor nicht schließlich jemand auf ein Narwalhorn gespießt wird.
Das, so wird ausdrücklich noch einmal betont, verspricht das Nature Theater of Oklahoma.
Und, soviel sei auch gleich zugegeben, das hält es auch.
Die Frankfurter Rundschau hatte übrigens in einem kurzen Vorbericht zu diesem Unternehmen (6. 10. 2022) noch eigens darauf hingewiesen, dass es hier um „Totalitarismus, Kolonialismus, Klimawandel und Migration“ gehe.
II
Also: um die Welt nach dem Ende der Welt. Geblieben ist einzig ein „Grönland“, als ein karger, öder Landstrich, mit Müllbergen an den Küsten und leeren, kahlen Feldern. Hier wächst nichts mehr. Hier lebt nichts mehr, außer dem Herrscherpaar Königin Karen und König Bob. Und, nicht zu vergessen, einigen Geistern, die tun, was ihr Name sagt, schlicht in der Gegend herumzugeistern.
Es hat wenig Sinn, am Text dieser opera herumzumäkeln. Es hat noch weniger Sinn, an der Musik ihre Schlichtheit zu bemängeln. In beiden Fällen handelt es sich um die erklärte Absicht der ‚Macher’. Am sinnlosesten bleibt deshalb, die Frage zu stellen: Was soll’s?
Nichts soll es.
Dass, wie es in der Rundschau so hübsch hieß, dass hier „Themen angesprochen“ würden, die „aktueller sind denn je“, das bringt unsere Kuh wahrlich nicht vom Eis. Und der hehre Anspruch auf die, so in der Programmankündigung, „Dekonstruktion etablierter Theaterformen“ bleibt in der Luft hängen. Eine Oper wird nicht auseinandergenommen, wenn sie mit den Mitteln schlichter Country-Musik produziert wird. Eine Geschichte wird nicht dadurch zerlegt, dass man ihre jeweils einzelnen Elemente in ihrer Absurdität einzeln bloßstellt. „Ich dachte, das hier wäre eine Tragödie, aber jetzt merke ich, dass es eine Farce ist.“
Also Unterhaltung, wenn auch nur auf mäßigem Niveau.
Aber – durchaus unterhaltsam.
III
„Klimaflüchtlinge, steigende Meeresspiegel, der riesige, pazifische Müllstrudel, Waldbrände in Kalifornien, Jonestown, das Bananenmassaker von 1928 und Donald Trumps gescheiterter Versuch, Grönland zu kaufen – all diese und weitere Themen schwirrten in unseren Köpfen, als wir gegen Ende 2019 mit der Arbeit an der Oper „Burt Turrido“ begannen.“
Und geschrieben haben Copper und Liska ihre Oper dann – „während New York eine tödliche erste Welle des Virus überstand, gefolgt von Protesten gegen Polizeigewalt, Rassismus, Ausgangssperren, wirtschaftlichem Abstieg, politischer Instabilität …“
Diese Oper soll aber nicht das Protokoll dieser Zeit sein.
Das ist sie auch nicht. „Burt Turrido“ ist ein unterhaltsamer Potpourri, in dem vieles gesagt wird. Nach dem Motto: schön, dass es mal angesprochen wurde. Ist doch so!
Letzte Änderung: 12.10.2022 | Erstellt am: 12.10.2022
Burt Turrido. An Opera
Text und Regie: Kelly Copper, Pavol Liška
Musik: Robert M. Johanson
Bühne und Lichtdesign: Luka Curk
Kostüm: Anna Sünkel
Dramaturg Künstlerhaus Mousonturm: Marcus Dross
Dramaturgin Schauspiel Frankfurt: Katja Herlemann
Bockenheimer Depot
Weitere Aufführungen:
14.10.2022
15.10.2022
16.10.2022
19.10.2022
21.10.2022
22.10.2022
Beginn: 19 Uhr
“Schauspiel Frankfurt”:https://www.schauspielfrankfurt.de/spielplan/a-z/burt-turrido/
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