Ich leb’ in meinem Lied

Ich leb’ in meinem Lied

Andrè Schuen und Daniel Heide in der Oper Frankfurt
Andrè Schuen | © Barbara Aumüller

Lieder von Gustav Mahler und Franz Schubert standen auf dem Programm des Liederabends in der Oper Frankfurt. Der Bariton Andrè Schuen und sein Klavierpartner Daniel Heide präsentierten Liedkunst auf höchstem Niveau. Andrea Richter hat miterlebt, wie sie den Beweis dafür lieferten, dass diese musikalische Kunstform keineswegs out ist, sondern nach wie vor bewegt, berührt und fasziniert.

Dem deutsch-sprachigen Kunstlied wurde lange der Untergang prophezeit, weil das interessierte, gebildete Publikum wegsterbe und sich die Jüngeren angeblich nicht mehr dafür interessierten. Weil das für die Stimmlage Bariton eben nur einer wie Dietrich Fischer-Dieskau (gestorben 2012) konnte, bestenfalls noch einer wie Christian Gerhaher (geboren 1969). Doch auch er kommt langsam in die Jahre. Und heute? Ein tiefer Fall ins Lieder-Nichts? Mitnichten: Jüngere Sänger und Pianisten haben den Stab offensichtlich mit Freude, Können und Genuss übernommen und sorgen für die Fortsetzung der Tradition dieser wunderbaren Kunstform, so wie das Duo Schuen/Heide. Und sie ziehen nicht mehr nur Weißschöpfe an. Das zahlreiche Publikum zeigte ein vielversprechende Alterskurve nach unten.

Die Beiden eröffneten das Programm mit Mahlers erstem Liederzyklus Lieder eines fahrenden Gesellen. In ihnen werden die Trostlosigkeit verlorener und die Träume erfüllter Liebe innerhalb jedes Liedes gegenübergestellt. Was zu tonmalerischen Illustrationen von Idyllen und beschwingten Tänzen führt, um in der nächsten Strophe einen Wechsel in eine völlig andere Gemütslage des Gesellen durch eine andere Tonart, einen anderen Rhythmus und bis hin zu klanglichen Dissonanzen zu vollziehen. Vier Lieder von Schubert, der Mahler sehr beeinflusst hatte, folgten.

Nach der Pause dann der Rückert-Block, sprich die Rückert-Lieder von Schubert und Mahler. Der 1788 geborene Dichter und Mitbegründer der Orientalistik, Friedrich Rückert, begeisterte Schubert in den 1820er Jahren genauso wie Mahler 40 Jahre später. Auch seine Kindertotenlieder verwenden Gedichte Rückerts. Beide Komponisten interpretieren musikalisch akribisch die Textvorlagen. Jeder auf seine Weise und jeder sehr emotional.

Zu Andrè Schuens Kernrepertoire gehören die Lieder von Schubert. Bei der Deutsche Grammophon hat er die Zyklen Schwanengesang und Die schöne Müllerin bereits eingespielt. Im Liveauftritt wird bestätigt, dass das Label sich seine „Exklusivkünstler“ sehr genau aussucht. Denn der 39jährige Südtiroler besticht mit seiner lyrischen, dunklen und kraftvollen Bariton-Stimme, die er je nach Erforderlichkeit mal im zartesten Piano, mal in opernhaft furiosem Forte mit gekonnten Crescendi und Decrescendi, langen Linien und treffgenauen, unangestrengten und überraschenden hohen Tönen sehr flexibel einsetzt.

Diese Fertigkeiten machten Mahlers Rückert-Lieder zu einem wirklichen Erlebnis. Man kennt sie im Wesentlichen in der orchestrierten Fassung, d. h. der Klangkörper übernimmt stärker als bei der reinen Klavierbegleitung die Stimmung schaffende Rolle. Die Interpretation durch Schuen und Heide schaffte aber eine dermaßen dichte Atmosphäre, dass es selbst Hustern das Husten verschlug. Nach „Ich leb´ allein in meinem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied!“, den letzten Zeilen aus Ich bin der Welt abhanden gekommen herrschte im Saal sekundenlang die totale Stille der Ergriffenheit, bis sich langsam die Hände zum Schlussapplaus hoben. Der war dann allerdings zurecht gewaltig. Zwei Zugaben von Mahler und Richard Strauss – und vorbei. Schade!

Letzte Änderung: 30.12.2023  |  Erstellt am: 30.12.2023

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