Ein kongeniales Paar

Ein kongeniales Paar

Liederabend

Von höchster Gesangs- und Klavierkunst kann gesprochen werden, wenn das Piano kaum noch zu hören ist und dennoch klar und mühelos einen Saal füllt. Anna Lucia Richter (Mezzosopran) und Ammiel Bushakevitz (Klavier) stellten diese Kunst bei ihrem Liederabend in der Oper Frankfurt auf Weltklasse-Niveau unter Beweis, fand Andrea Richter.

In jeder Stadt mit Opernbühne gibt es wohl mindestens ein Ensemblemitglied, dem jahrelang ungebrochen die Herzen und Ohren des Stammpublikums gehören. Johannes Martin Kränzle ist der baritonale Lokalmatador in Frankfurt. Wobei man ihn vor Ort nur noch relativ selten zu sehen bekommt, weil Salzburg, Bayreuth, München und andere leider vor ein paar Jahren festgestellt haben, wie gut er singt und spielt und ihn viel zu oft wegschnappen. Ein Liederabend mit ihm ist also etwas Besonderes. Seine kurzfristige Absage wegen Krankheit hängte die Überzeugungslatte für die Einspringer besonders hoch. Nach fünf Minuten, einigem Eselsgeschrei und Kukuksgerufe im Lob des hohen Verstandes von Gustav Mahler war sie übersprungen.

Anna Lucia Richter (Mezzosopran) und Ammiel Bushakevitz (Klavier) bei ihrem Frankfurter Liederabend  | © Foto: Foto: Barbara Aumüller

Zwei Künstler vom gleichen Verständnis für ihr Tun und Fühlen geprägt. Die intelligente Programmauswahl der Werke von Gustav Mahler, Hugo Wolf und Franz Schubert erzeugte einen Spannungsbogen, der bis zur letzten Minute hielt. Jede Stimmung loteten sie lustvoll aus, setzten in einem Fort dynamische Kontraste zur Wirkungssteigerung ein genauso wie Pausen. Keine Sekunde Spannungsabfall. Hervorragende Storyteller, zumal jedes Wort zu verstehen war. Zwei, die sichtlich selbst Spaß am Vortrag zwischen schwebender Leichtigkeit, aufgewühlter Dramatik, schmerzhaften Empfinden, fröhlich-ironischer Lebendigkeit oder reinster Zartheit hatten. Zwei, die in der Lage waren, alledem scheinbar mühelos Ausdruck zu verleihen. Anna Lucia Richter mit ihrer vibratoarmen Stimme, die an Klangklarheit, Flexibilität und Stimmumfang kaum zu toppen ist. Nicht ohne Grund wird sie als Liedinterpretin zu den wichtigsten Festivals und Konzerten eingeladen. Angeblich hat sie gerade einen Fachwechsel von Sopran zu Mezzosopran vollzogen, wovon an diesem Abend allerdings kaum etwas zu merken war, höchstens, dass sie über eine sehr aussagekräftige Mittellage verfügt und mit der Tiefe keine Schwierigkeiten hat. Für das Kunstlied spielt diese Kategorisierung sowieso kaum eine Rolle. Im Opernbereich wird man sehen, in welchen Partien sie sich am wohlsten fühlt. Ammiel Bushakevitz besticht mit virtuoser und gleichzeitig feinfühliger Fingerkunst. Weltweit tritt er als Solist mit großen Orchestern auf und hat sich einen Namen als Schubert-Spezialist gemacht.

Womit der Weg zum Liedpianisten vorgezeichnet war. Und zwar nicht als Begleiter, sondern als eigenständige, wagemutige Stimme in einem Duo. Anna Lucia Richter und er stellten sich als ebenbürtige, geradezu kongeniale Partner vor.

Anna Lucia Richter (Mezzosopran) | © Foto: Foto: Barbara Aumüller

Mit dem Wiegenlied von Franz Schubert (D 498) zeigten die Beiden, was im Piano musizieren bedeuten kann. Die erste Strophe trugen sie im – nennen wir es einmal so – normalen, Schlaflied gerechten Piano (p) vor. In der zweiten Strophe dimmten sie die Lautstärke zum pp hinunter und die Sanftheit hinauf. Man hörte wie dem Kind die Augen zufielen und die Mutter es zärtlich betrachtete. In der dritten Strophe geschah das Unglaubliche: spinnwebfeines Stimm-Pianissimo (ppp) schwebte durch die Luft. Die Klaviertöne hatten sich in die einer kaum wahrnehmbaren Spieluhr verwandelt. Leise, leise, um das Kleine nicht zu wecken. Sphärenhafte Klänge. Wann sie vergingen, hätte man nicht genau sagen können. Der tatsächliche Klang war irgendwann in den Gedanken an den Klang übergegangen. An den eines meinerseits nie zuvor gehörten Pianos von Stimme und Klavier.

Ebenfalls zuvor nie gehört und eine spannende Entdeckung: Abendbilder von Hugo Wolf nach drei Natur-Oden des oft vertonten romantischen Dichters Nikolaus Lenau. Ein friedlicher Sonnenuntergang, ein dramatischer Mondaufgang in den Bergen mit weidenden, Glöckchen behangenen Schafen und schließlich eine Nachtszene mit Wald, Vögeln, Kühen und einem betenden Hirten werden da gemalt. Eigentlich eine pietistisch-pathetische Zumutung. Doch das Duo Richter/ Bushakevitz machte daraus ein facettenreiches Meisterstück voller Schmelz, Schwung, Weltschmerz, Wucht und sogar Witz. Welch ein Lobgesang auf das deutsche Kunstlied!

Letzte Änderung: 27.07.2021

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