Der Regisseur, der das Publikum abholen will, muss sich beeilen, um es einzuholen. Es ist ihm in seinen Erwartungen und Ansprüchen oft weit voraus; oft aber spricht ihm die neueste Darbietungsform so aus der Seele, dass es sie vor Glück auszuhauchen bereit ist. Martin Lüdke hat, in der Hoffnung, Shakespeares „Macbeth“ vorgespielt zu bekommen, einen Besuch im Schauspielhaus Frankfurt gewagt.
Der russische Regisseur Timofej Kuljabin beschäftigt sich mit Shakespeare
Was hier passiert, hätte sich, so dachte es sich der Autor, Anfang des 11. Jahrhunderts abspielen können. Shakespeare geht ziemlich frei mit dem historischen Stoff um, und gestaltet daraus seine Tragödie. Der schottische König Macbeth bringt seinen Vorgänger, König Duncan, um die Ecke. Und lässt sich selbst zum König krönen. Damit erfüllt sich eine Prophezeiung. Die Mächte der Geschichte zeigen ihre Macht. „Macbeth“ zählt zu den meistgespielten Dramen Shakespeares. Jetzt hatte das Stück, bzw. was von ihm blieb, am Schauspiel Frankfurt Premiere.
I
Pressekonferenz. Alles ist eingerichtet. Scheinwerfer. Mikro, das allerdings zu hoch eingestellt ist für den Protagonisten, der daran scheitert. Wieder zurücktritt, sich an die Wand lehnt. Der Mann im Anzug erweist sich, wie sich zeigen wird, als Titelheld der Geschichte. Dann gehts los. Nur was?
Mein Gott, ist das beziehungsreich, ich glaub, ich übergeb mich gleich, so hatte einst unser Nachbar Robert Gernhardt gestöhnt. Doch, keine Sorge, Komplexität lässt sich reduzieren. Auch dafür sind die Dichter da. Auch hier, wo es um die um die Macht geht, und mehr noch, um die Mächte, die sie steuern. Wo es um Shakespeare geht, und mehr noch, um seinen Versuch, die Triebkräfte des menschlichen Handels aus den Bedingungen zu erklären, denen sie unterliegen. Hegel musste zu diesem Zweck noch einen „Weltgeist“ bemühen, der, um seine Ziele zu erreichen, sich einer „List der Vernunft“ bediente. Marx wiederum, der seinen Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte, sah auf die materiellen Antriebskräfte der Geschichte, die den Gang der Dinge, über die Köpfe der handelnden Individuen hinweg, regeln. Davon hier keine Spur.
Shakespeare stellte zu diesem Zweck drei veritable Hexen zur Verfügung. Wissend, dass sie wissen, wo es lang geht. Denn: Sie steuern den Prozess. Sie halten die Fäden der Handlung in der Hand und sagen entsprechend voraus, dass Macbeth, der einen Aufstand gegen seinen König Duncan niedergeschlagen hatte, selber König werden will und wird, allerdings erst, wenn er Duncan, den schottischen König, aus dem Weg geräumt hat. Daran soll es, meint Macbeth, von seiner Frau angetrieben, wahrlich nicht scheitern. Die Hexen sagten weiter voraus, dass nicht Macbeth, sondern Banquo der Begründer einer neuen Dynastie werden wird, weshalb Macbeth auch ihn um die Ecke bringen lässt.
Danach fühlt er sich sicher. Doch seine Frau, Lady Macbeth, dreht langsam durch. Die Prophezeiung, dass ausgerechnet der nahe gelegene Wald von Birnam sich gegen ihn in Bewegung setzen könne, gibt ihm diese Sicherheit. Bis er erkennen muss, dass tatsächlich der Wald kommt, weil sich die heranrückenden gegnerischen Truppen mit Zweigen aus eben diesem Wald getarnt haben. So verliert er erst die Schlacht und dann sein Leben. Und so geht das Stück, beim Autor, aus.
Nur hatte Shakespeare, und hier beginnt ein anderes Drama, die Rechnung nicht mit dem Regisseur gemacht.
II
Denn Timofej Kuljabin, ein russischer Theatermann, der zuletzt in Nowosibirsk gearbeitet hatte, bis er 2022 ins Exil getrieben wurde, geht nicht nur frei, sondern auch sehr unbefangen mit dieser Vorlage um. Ist sein „Macbeth“ noch Shakespeare, oder eine Bearbeitung nach Shakespeare und damit etwas anderes als nur eine „Bühnenfassung“?
Bearbeitungen sind nicht nur legitim, sondern oft angeraten. Aber auch hier?
Die Hexen, gern als Göttinnen des Schicksals begriffen, und schließlich der Motor der Handlung, sind gestrichen. Stattdessen werden drei kleine Kinder auf die Bühne geschickt, die nicht viel zu sagen haben, sondern durch ihre Wünsche ein Moment von Psychologie in das Stück bringen, und damit die politischen Auseinandersetzungen individualisieren. Großzügig zeigt sich der Regisseur aber auch, indem er auch Macbeth, Typus Teamleiter (Moritz Kienemann), in die Familie des Königs Duncan aufnimmt, wodurch der Chef nun auch zum Papa und die Rivalen zu Brüdern werden. Lady Macbeth (Lotte Schubert), dadurch zur Schwägerin geworden, läuft, wohl auch deshalb, nicht machtbesessen anheizend, sondern eher harmlos verwirrt durch die Gegend, während er, Macbeth, sich in der ziemlich sinnfrei installierten Duschkabine am Rand der großen, fast leeren Bühne, in fast akrobatischen Verrenkungen bemüht, seinen ehelichen Verpflichtungen nachzukommen. Und, am Ende, nach verschiedenen Trocken-Übungen, als es endlich tropft, sich Macbeth seine Hände zwar nicht in Unschuld, doch mit klarem Wasser waschen kann. Aber nicht nur diese fast durchgängige Psychologisierung stört (mich). Noch schlimmer geht der Versuch einer ersichtlichen Aktualisierung sozusagen mitten ins Auge. Jeder kennt die Bilder von Putin, der sich schon durch sein Mobiliar Distanz verschaffen und seine Macht bildhaft eindrücklich demonstrieren wollte. Und deshalb seine, vorwiegend ausländischen, Besucher am anderen Ende des langen Tischs platzierte. So sitzt nun auch König Macbeth an einem langen, überlangen Tisch, allein an der Stirnseite. Auf der anderen, gegenüberliegenden weit entfernten Seite sitzen in drei Reihen hintereinander die Mitglieder des Politbüros, bzw. hier, die Angehörigen des Königshofes. Das Drama der Macht isoliert die Mächtigen. Sie isolieren sich selbst. Bei Shakespeare aus Angst. Bei Putin aus Größenwahn.
Gelungene Szenen, eindrucksvolle Bilder sind selten. Bei Shakespeare taucht plötzlich, und nur für ihn allein sichtbar, der von Macbeth ermordete Banquo wieder auf. Und bei Kuljabin auch. Da dürfen Geister sein.
Das Ganze spielt sich in einer Art von riesigem Gefängnishof ab (es könnten zur Not auch Burgmauern sein, die den Spielraum umgrenzen (Bühne Oleg Golovko). Wenn da Macbeth, bevor er ihn endgültig um die Ecke bringt, dem alten König Duncan (eindrucksvoll Peter Schröder), mehrfach seine Krücke wegtritt und der hinfällige, wehrlose Alte hilflos über den Boden kriecht, dann wird das Verhältnis von Macht und Gewalt zwar sichtbar ausgestellt, aber nicht sinnfällig. Macbeth hat die Macht. Er braucht sie nicht zu demonstrieren.
III
Zusammengefasst: Zu viel Kuljabin. Zu wenig Shakespeare. Es fängt, wie erwähnt, an mit einer Pressekonferenz, auf der, nach langen Vorbereitungen, nichts gesagt wird. Es endet mit einer zweiten Pressekonferenz, auf der ebenfalls nichts gesagt wird. Die Hofgesellschaft ist, mit Nummern markiert, wie die Gefangenen im Gulag. Dazu Tote in großen, schwarzen Plastiksäcken, ebenfalls nummeriert. Opfer eines Machtspiels, das in dieser Form bei Shakespeare gar nicht vorkommt. Der einstige schottische Feldherr und spätere König präsentiert sich als russischer Diktator.
Schon bei der Premiere sind einige Zuschauer während der Vorstellung gegangen. Am Ende auch Buh-Rufe. Doch lauter und deutlicher die Bravo-Rufe. Und, natürlich, Beifall.
Es bleiben Fragen. Langweilig war die Sache nicht, und nach gut zwei Stunden, ohne Pause, auch zu Ende. Nun ja.
Letzte Änderung: 18.04.2023 | Erstellt am: 18.04.2023
MACBETH
von William Shakespeare
Schauspielhaus
Premiere 14. April 2023
Regie: Timofej Kuljabin
Bühne: Oleg Golovko
Kostüme: Vlada Pomirkovanaya
Musik/ Sounddesign: Timofey Pastukhov
Koordination und Assistenz: Rustam Akhmedshin
Dramaturgie: Olga Fedyanina, Julia Weinreich
Licht: Marcel Heyde
BESETZUNG
Moritz Kienemann (Macbeth)
Lotte Schubert (Lady Macbeth)
Peter Schröder (Duncan)
Torsten Flassig (Macduff)
Anna Kubin (Lady Macduff)
Mark Tumba (Banquo)
Sebastian Reiß (Ross)
Michael Schütz (Lennox)
Miguel Klein Medina (Soldat / Mörder / Arzt / Seyton)
Marie Julie Bretschneider (Kammerfrau Lady Macbeth)
Daniel Hartlaub, Annabelle Krukow, Sandra Regenbogen, Anhard von Thüngen (Statisterie)
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Schauspiel Frankfurt
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