Die Linienzeichnerin

Die Linienzeichnerin

Maria Agresta in Frankfurt
Maria Agresta | © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Der Scala-Pianist Vincenzo Scalera begleitet nur die wirklich großen Sänger:innen des italienischen Fachs. Die Sopranistin Maria Agresta erobert längst die Bühnen der Welt, ist aber in Deutschland noch relativ unbekannt. Wer sie beim Arien- und Liederabend in der nur mäßig gefüllten Frankfurter Oper erlebt hat, ahnt, dass sich das bald ändern wird. Vielleicht wird dann zu ihren Ehren der Flügel von hässlichen Fingerabdrücken befreit, hofft Andrea Richter.

Die Sopranistin Maria Agresta und der Pianist Vincenzo Scalera in Frankfurt

Der erste Teil des Konzertes war wie die letzte Klavierproben für große Opernproduktionen, nur eben auf der Bühne in Abendkleid und Frack statt in einem Probenraum mit Jeans, T-Shirt und Turnschuhen. Eine Situation, die die ganze Wahrheit über eine Stimme offenlegt. Denn es gibt „nur“ ein Klavier als Begleitung, kein 60 Personen starkes Orchester, kein Bühnenbild, keine umrahmende Handlung. Sich als Sängerin auf diese reduzierte, jede Kleinigkeit offenlegende öffentliche Darbietungsform einzulassen, zeugt von Mut. Selbst dann, wenn man, wie sie, die Arien schon x-mal auf kleinen und großen Bühnen gesungen hat, allerdings mit dem gesamten, Atmosphäre erzeugenden Setting.

In einer Probe befindet sich auch die Schauspielerin Adriana Lecouvreuer in der Oper gleichen Namens von Francesco Cilea (1866-1950). Zunächst geht sie langsam sprechend ihre Rolle durch, um dann ins Singen überzugehen und eine der berühmtesten Sopran-Arien des Verismo, „Io son l´umile ancella“, anzustimmen. Eine wahrhaftig sauschwere Arie, in der Lagenwechsel genauso sitzen müssen, wie der dramatische Ausdruck. Alles saß.

Wie anders mutete der klangliche Charakter der Liú-Arie aus dem dritten Akt von Giacomo Puccinis (1858-1924) Turandot an. Durchgehend hoch und geradezu eisig klar, gelang es Agresta, mit einem sehr ausdifferenzierten Lautstärken-Pegel die Dramatik bis hin zum Forte-Ausbruch am Ende zu steigern.
Neun Mal kommt das Wort Salce! (Salice = Weidenbaum) in der Zu-Bett-Geh-Szene der Desdemona im 4. Akt des Otello von Giuseppe Verdi (1813-1901) vor. Neun, durch nur winzige Unterschiede gekennzeichnete Variationen bot Agresta auf. Und das ist nur einer der Gründe, warum sich die 44-Jährige einen Namen als eine der aktuell besten Sopranistinnen im italienischen Fach einen Namen gemacht hat. Eine Desdemona, wie man sie nur selten zu hören und zu sehen bekommt: ausdrucksstark und flexibel, gesanglich wie darstellerisch. Ihre Gesangslinien schier grenzenlos, jeder Ton von Reinheit, Zartheit und großer Modulationsfähigkeit geprägt. Crescendi, Diminuendi, Passagi, Legati, alles, was einen in Richtung Tränenstrom treiben kann. „Ave! Amen.“

Und dann wieder Puccini: die wütend verzweifelte Tosca. „Vissi d`arte, vissi d`amore”. Eine alles andere als unschuldige Künstlerin, die sich beschwert, dass Gott sie ungerecht behandelt. Der charakterliche wie musikalische Gegenentwurf zur Desdemona. Dramatisch kraftvoll klagend und fragend zeichnete Agresta das Bild einer, die (aus gutem Grund!) zur Mörderin wird.

Um sich in der letzten Arie vor der Pause, „Tacea la notte placida“ in die vor Liebe überschäumende, glückselige, undramatische Leonora aus Verdis Il Travatore zu verwandeln. Leicht und beschwingt daherkommender Gesang mit Koloraturen inklusive. Welche Erleichterung nach all dem Drama!

Maria Agresta, Vincenzo Scalera | © Foto: Oper Frankfurt Barbara Aumüller

Im zweiten Teil des Abends: italienische Lieder bzw. Romanzen, die in Italien sehr wohl, in Deutschland hingegen kaum bekannt sind.
Von Verdi ein Trinklied (Brindisi), das deutlich an eben jenes aus La Traviata erinnerte und bei dem Agresta die charmante Beschwipste gab, als hätte sie während der Pause ein paar Glas Prosecco genossen. Dass dem nicht so war, zeigte sich sofort darauf. Auf geradezu wundersame Weise verwandelte sie sich in das verzweifelte Gretchen. Die Romanze „Deh pietoso, oh Addolorata“ ist nämlich Verdis musikalische Interpretation von „Ach neige, du Schmerzensreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not! …“ aus dem Faust I von Goethe.

Francesco Paolo Tosti (1846-1918) war ein zu seiner Zeit außerordentlich bekannter Singer-Songwriter in Italien, Frankreich und England und guter Freund Enrico Carusos. Von ihm gab es drei Lieder, „Non t`amo piu, Sogno, Chanson de l`adieu“, die es alle verdienen, auf youtube, wenn auch mit anderen Interpret*innen, angehört zu werden.

Auch Puccini schrieb ein paar Lieder, die Vorlagen für seine Opern waren. So „Sole e amore“, das er Tosti widmete und das deutlich an La Bohéme erinnert.
Pier Adolfo Tirindelli (1858-1937) war ein Freund und Klassenkamerad Puccinis. Sein berühmtestes Lied „O primavera“ widmete er Caruso. Agresta sang es mit allen Stimmungswechseln, die der Frühling nun einmal zu bieten hat.

Im Walzertakt zeichnete Francis Poulenc (1899-1963) „Les Chemins de l`amour“ nach. Agresta schien wieder einmal ohne Einatmen auszukommen und trotzdem das Wunder des unendlich langen Tons „d´amouuuuuuur“ zu vollbringen.

Die Musica proibita des Turiners Stanislao Gastaldon (1861-1939) gehört zu den meistgesungenen Liedern in Italien. Ursprünglich vom erst 20-jährigen Komponisten in der vom Duo Agresta/ Scalera dargebotenen Form vorgesehen, wurde es bald für alle Stimmlagen transkribiert und auch rein instrumental gecovert.

Letzte Änderung: 17.03.2023  |  Erstellt am: 17.03.2023

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