Die Dauerhafte

Die Dauerhafte

Catherine Deneuve und ihre Metamorphosen

Marianne ist die Nationalfigur der Französischen Republik, die Freiheit im Sinne der französischen Revolution. Wer als Modell für die Marianne-Büste ausgewählt wird, läuft Gefahr, sein Leben selbst statuarisch zu verbringen. Nicht so Catherine Deneuve, die gerade 80 Jahre alt geworden ist. Marli Feldvoß hat im Jahr 2011 die Verwandlungen der großartigen Schauspielerin beschrieben.

Im roten Jogginganzug, das Haarnetz über die großen Wickler gespannt, so dreht die Fabrikantengattin Suzanne Pujol allmorgendlich ihre Runden. Und wenn sie mit ihren Ahs und Ohs jedes Eichhörnchen und jedes Vögelchen einzeln begrüßt, kostet Hauptdarstellerin Catherine Deneuve ihre komische Rolle sichtlich bis zur Neige aus. Noch hält Madame Pujol in der heimischen Villa die Stellung einer etwas angestaubten Porzellanvase, sie ist DAS SCHMUCKSTÜCK (2010) schlechthin. Aber der ironische Unterton wird bald verschwinden und den ungeahnten Talenten einer dann völlig entstaubten selbstbewussten Persönlichkeit Platz machen. Als Catherine Deneuve vor acht Jahren, ebenfalls bei François Ozon, in ähnlicher Kostümierung in der musikalisch aufgepeppten Komödie ACHT FRAUEN auftrat, wirkte sie, umgeben von sieben Rivalinnen, mit denen sie nicht nur in puncto Tempo mithalten mußte, angespannter. Der zynische Unterton des damaligen Kritikerurteils „exzessive Deneuvehaftigkeit“ (Tobias Kniebe) ging trotzdem an Deneuves wahrer Leistung vorbei. Was stimmte, war allein das „Dauerhafte“. Catherine Deneuve, die dieses Jahr (2011!) achtundsechzig Jahre alt wird, ist seit über fünfzig Jahren auf der Leinwand aktiv. Und sie ist immer noch da.

Die Schauspielerin Catherine Deneuve hat die verschiedensten Kino-Epochen durchlaufen, arbeitete mit Regieklassikern wie Luis Buñuel, Jacques Demy, Roman Polanski, François Truffaut und hat sich – bis heute – immer wieder neu aufgestellt. Nicht so leicht für eine „Schöne des Tages“, mag man denken, die ein Leben lang Aushängeschild für Mode wie Kosmetik spielte, auf Ranghöhe mit Ikonen wie Marlene Dietrich oder Greta Garbo operierte und schließlich als „Marianne“, die Repräsentantin der französischen Republik, zum Nationalheiligtum gekürt wurde. Spätestens seit Truffauts DIE LETZTE METRO (1980) waren ihre Rollen mit schwerer Symbolik aufgeladen, mit der prestigeträchtigen Großproduktion INDOCHINE von Regis Wargnier (1992) wurde Catherine Deneuve endgültig zur nationalen Instanz. Mit einer Symbiose aus Eleganz, Sex und Emanzipation hat sie derweil alle Rivalinnen, von Brigitte Bardot bis Isabelle Adjani, aus dem Feld geschlagen oder überlebt; nur Isabelle Huppert, bis heute intellektuelle Gegenspielerin, ist geblieben.

Spätestens seit DIEBE DER NACHT (1996) machte sich die Wandlung von der graziösen und grazilen Erscheinung zur älteren, etwas fülligeren, aber weiterhin strahlenden Schönheit bemerkbar. Ein biologischer Alterungsprozeß, den Deneuve in sanfte Übergänge lenkte. Alterslosigkeit war erklärtermaßen nie ihr Ziel. Sie selbst legte bald Wert darauf, das Älterwerden in ihren Filmen zu thematisieren, was sich im Nachhinein wie eine Serie von Porträts über das Alter bestaunen läßt. Eine ungewöhnliche Selbstdarstellung für eine Schauspielerin, die zeitlebens gerade für ihre Schönheit und Jugendlichkeit gefeiert wurde. Vielleicht verbietet es sich Deneuve auch deshalb, von ihrer „Karriere“ zu sprechen und beharrt stattdessen auf der Formulierung „Werdegang“. „Man hat das Recht auf alle Wege, alle Umwege, alle Haltepunkte.“, betonte Deneuve vor zehn Jahren. Und das gilt noch heute.

Dabei dreht sie nach wie vor einen wichtigen Film pro Jahr, arbeitet mit der jungen und älteren Garde von Autorenfilmern wie Léos Carax, Arnaud Desplechin, Nicole Garcia, François Ozon, Philippe Garrel, André Téchiné, sucht ausdrücklich die Herausforderung, feiert nebenbei auch Kassenerfolge im Mainstream wie MEINE SCHÖNE SCHWIEGERMUTTER (1999) oder ABSOLUMENT FABU-LEUX (2001) und gibt auch den Meistern des Weltkinos Manoel de Oliveira, Raoul Rúiz, Lars von Trier keinen Korb. Letzterem schrieb sie sogar einen Brief, was sie in aller Öffentlichkeit kundtat. In ihrer Rolle der Fabrikarbeiterin Cathy, Schutzengel der alles überstrahlenden rührenden Hauptfigur Selma alias Björk in DANCER IN THE DARK (2000), spielt sie ungeschminkt, ungeschönt, abgearbeitet, so unscheinbar, daß von Trier sich dafür vor der Kritik rechtfertigen mußte. Aber Deneuve suchte das Risiko, das Sich-lebendig-Fühlen; sie wollte und will sich ausdrücklich nicht auf alten Lorbeeren ausruhen.

Heute müsste man das „Geheimnis Deneuve“ eigentlich neu definieren. Von einer „Eisprinzessin“ ist in den „reifen“ Rollen der Schauspielerin nichts mehr zu spüren, Raum für Männerfantasien oder Projektionsflächen gibt es keinen mehr. Dennoch bleibt dieses Gegenbild präsent – es läuft wie ein zweites Bild, ein zweites Leben mit. Obwohl viele das Gegenteil behaupten, verfügt Catherine Deneuve über ein großes gestisches Repertoire, das unerwartete Explosionen nicht ausnimmt. Im Mittelpunkt ihrer Filme steht das schöne Gesicht mit den grünen Augen, die immer etwas zu groß erscheinen, jede noch so sorgsam platzierte Großaufnahme sprengen. Oft fängt die Kamera sie aus leicht erhöhter Position ein, die niedergeschlagenen Augen, das geschwungene Haar, die zarten Kopfbewegungen, den leicht geöffneten Mund, ein Zittern um die Mundwinkel, fast unmerkliche Gesichtsregungen, die eine ganze Palette von Emotionen freilegen können. Umso stärker wirken die Gefühlsausbrüche, das melodramatisch angefachte Feuer ihrer Filme, meist kurze unvergessene Momente, ein tränenüberströmtes Gesicht, eine zerschmetterte Vase, ein lautloses Zusammensinken wie in einer erlösenden Ohnmacht.

„Schönheit, die nicht von innen kommt, ist nicht schön.“ Diesen Satz muß sich Catherine Deneuve als arrogante Plantagenbesitzerin Lili in INDOCHINE (1992) gefallen lassen, um ihn ein für alle Mal mit der Tragik einer französischen Mutter, die eine vietnamesische Prinzessin adoptiert und verliert, zu widerlegen; Deneuves einzige Oscarnominierung. Mit ihrer nächsten Rolle in MEINE LIEBSTE JAHRESZEIT (1993) flieht sie aus den Fünfzigern in die Neunziger, in die Jetztzeit, als wolle sie die Vergangenheit und den Mythos Deneuve wie eine Last abschütteln. Sie trifft nicht zufällig auf André Téchiné, den von Brecht und Barthes beeinflussten Regisseur, den sie von BEGEGNUNG IN BIARRITZ (1981) her kennt, mit dem sie bis heute insgesamt fünf Filme drehte. Téchiné schreibt ihr fortan moderne Frauenrollen auf den Leib, verwandelt sie in eine Bergman-Heroine, sieht sie – auch hinter der Kamera – stets als Gesprächspartnerin. Für Deneuve öffnet sich eine Welt der zweiten Chance, der neuen Horizonte. In den hochambivalenten Melodramen des Regisseurs steigt der Star Catherine Deneuve von seinem Thron herab, die Ikone wird menschlich, verwundbar, mehr denn je bewundert.

Bei Téchiné fängt Deneuve auch an, ihren Standort in Generationenfilmen zu markieren. Sie spielt bourgeoise Mütter, aber auch Töchter, die an der Seite von hochaktiven Großmüttern – etwa Danielle Darrieux, als deren Nachfolgerin Deneuve schon immer gehandelt wurde –, ihren Platz behaupten müssen. Sie unterstützt ganz bewusst eine Vision vom Älterwerden, die komplex und vielgesichtig ist und auf weibliche Stereotypen – weil sie sowieso dazugehören – keineswegs verzichten darf. Dazu gehören Filme wie MEINE LIEBSTE JAHRESZEIT, ACHT FRAUEN, vor allem aber UN COTE DE NOEL von Arnaud Desplechin (2008), ein echter Familienfilm, in Frankreich ein großer Kinoerfolg, der bei uns nur auf ARTE lief. Deneuve ist Junon, das eigentliche Familienoberhaupt neben dem wesentlich älteren schwachen Vater, aber sie hat Krebs, der nur durch eine passende Knochenmarkspende kuriert werden kann. Deneuve trägt diesen Familienfluch – alle tragen biblische Namen – mit Fassung, läßt sich deshalb nicht davon abhalten, alte Familienfeindschaften zu pflegen und ist keinesfalls zu falschen Versöhnungen bereit. Deneuve hätte die „Grausamkeit“ an dieser Rolle gereizt, sie hätte unbedingt sagen wollen, daß es so etwas wie einen Mutterinstinkt nicht gebe, berichtet der Regisseur. Das Fest der Liebe als beste Gelegenheit, sich endlich die Meinung zu sagen – das war ein Film so recht nach dem Geschmack von Catherine Deneuve. Wieder eine andere Facette.

Catherine Deneuve hat mit ihrem reichhaltigen Alters-Repertoire bis heute fast nur radikale Wegmarken gesetzt, im Autorenfilm wie im Mainstream. Mit der lesbischen Philosophieprofessorin, die sich in eine junge Studentin verliebt und zum ersten Mal die große Liebe erlebt (DIEBE DER NACHT, 1996); mit der Juweliersgattin, einer notorischen, im Sanatorium weggeschlossenen Trinkerin, die plötzlich die Chefrolle übernimmt (PLACE VENDOME, 1998), ähnlich wie in DAS SCHMUCKSTÜCK; mit der Schwiegermutter, die zu spät zur Hochzeit ihrer Tochter erscheint, ihr den Bräutigam wegschnappt, dabei selbst Tochter einer lesbischen Mutter (Line Renaud) ist (MEINE SCHÖNE SCHWIEGERMUTTER, 1999); mit dem Filmstar, der in Beirut eingeladen ist, dann alle durch Krieg und Diplomatie gesetzten Grenzen sprengt und sich auf eine Autofahrt in den Süden des Landes begibt, ein Film à la Kiarostami über Sehen und Gesehenwerden (JE VEUX VOIR, 2008).

„Weil jeder sagt, sie sei zu distanziert, versucht sie, charmant zu sein.“ In Téchinés Filmen stecken mehr Wahrheiten über Deneuve als man denkt; wahrscheinlich hat sie so einen Satz selbst hineingeschmuggelt. In einem ihrer schönsten letzten Filme, in LES TEMPS QUI CHANGENT (2004) verbrennt sie ein Foto aus alten Zeiten, das sie mit blonder Mähne an der Seite von Gérard Depardieu zeigt: Jungverliebte. Dann schlägt er, der seit Monaten im Koma liegt, wieder die Augen auf. Ein magischer Moment, der die Vergangenheit begräbt, zugleich die beiden größten französischen Stars als Überlebende und Liebespaar vereint. Untergang und Wiedergeburt in einem – mit weitreichenden Assoziationen. In der letzten Einstellung ergreift Depardieu die Hand der (im Plot) ein Leben lang gesuchten, endlich wiedergefundenen Geliebten. Man sieht für einen kurzen Augenblick die faltige Hand einer älteren Frau, Deneuves Hand, die von der seinen zuletzt ganz verdeckt wird. Ein Liebesakt.

Epilog: Auch François Ozon hat in seinem SCHMUCKSTÜCK auf die Hommage an das „hohe französische Paar“ Deneuve-Depardieu nicht verzichten wollen, eine köstliche, eine komische Variante. Die Wehmut bleibt bei diesem unvergesslichen Händedruck und bei einem Kino, das solche Momente und solche Stars hervorbringen kann.

Erstveröffentlichung: epd Film 3/2011

Letzte Änderung: 29.10.2023  |  Erstellt am: 29.10.2023

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