»… daß ich einmal über Jost schreiben würde!«
Alban Nikolai Herbst hätte nie gedacht, dass er einmal eine begeisterte Kritik über Christian Jost schreiben würde. Doch sein 'Pieces of a Dream' hat ihn gefesselt – eine kraftvolle Mischung aus Struktur und Improvisation, die Grenzen sprengt und überrascht. Ist Alban Nikolai Herbst jetzt ein Jost-Fan?
Niemals, niemals hätt ich es geglaubt, also daß ich einmal über Christian Jost eine begeisterte Kritik schreiben würde. Über Wolfgang Rihm, ja, Rihm! Über Krzysztof Penderecki, Luigi Dallapiccola, Peter Eötvös, ja. Über Wollny, Kühn, Peirani, Możdżer. Doch aber – Jost? Mit dessen Musik ich stets Probleme hatte? Sie war mir sozusagen »zu postmodern«, ruhte sich, spürte ich, auf den Freiheiten aus, die meine – mit meine – Ära gebracht, sich erkämpft hatte. Tonalität in der Neuen Musik, »E« – Musik, war endlich wieder möglich geworden. Der Jazz zwar hatte sie nie völlig verlassen, neben »Free Jazz« und »Free Music« war sie fast durchweg unangetastet geblieben – die Neue Musik indes hatte auf den bald schon Ideologemen der Zweiten Wiener Klassik, später der Serialität oder gar Aleatorik bis zum Verlust nennhafter Hörerinnen- und Hörerzahlen auf das dogmatischste beharrt. Bis eben die Postmoderne begann, schleichend und nicht wirklich konturiert, aber vielleicht gerade deshalb erlösend … wann sie wirklich begann, wann sie aufhörte oder ob sie nach wie vor wirkt, es ist nicht präzise zu sagen. Und aber weil nun harnonisch-tonales Musikdenken wieder möglich wurde, ward es auch der Kitsch. Und so sehr ich diese, ich bleibe dabei, Erlösung begrüßte (und literarisch ein bißchen mitbewirkte), so entsetzt stemmt’ ich mich dagegen an. Da schien mir gerade Jost ein Paradepferd aus jenem Stall, aus dem man Affen Zucker gibt, mit Schwarten gar nach einem Publikum wirft, das sich im Klangfett nur so suhlt und seinem Schöpfer mit Ergebenheit und einer Groupiedemut huldigt, die selbstverständlich so falsch wie die Musik ist. Gleich zu gleich gesellt sich gern. Ich meinerseits pflege da störrisch Distanz.
Und muß nun Abbitte leisten. Denn trotz seines kitschbehafteten Titels ist Josts »Pieces of a dream« grandios – zumal wir »Pieces« auch als Fetzen lesen können: Schon ist die Gartenlaube raus.
Wir sollten es, ja müssen es auch tun. Die viersätzige Komposition nämlich ist tatsächlich zerrissen. Ja, selbst die einzelnen so auch genannten »Sätze« sind es,
1) It is safe 2) come to me 3) driven by strange desire 4) in my dreams it’s all alive,
nämlich ihrerseits in jeweils vier Stücke. Wobei sich insgesamt »Pieces of a dream« als eine Sinfonie auffassen läßt, egal, ob ›nur‹ für Jazz-Trio geschrieben. Genau das läßt sie trotz ihrer enormen harmonischen Weite und streckenweise Expressivität fast reduziert wirken. Allein, sie ist ›bloß‹ konzentriert. Daß Simon Höfele (Trompete), Frank Dupree (Klavier) und Christoph Siezen (›Multipercussion‹ inklusive Vibraphon) das eigentlich durchkomponierte, also fest notierte Stück spielen, als wären nur je ›Themen‹ vorgegeben, vermittelt den Eindruck großer improvisatorischer Freiheit, die dann auch eine der Hörerinnen und Hörer ist. Wobei ich mir, der ich die Partitur nicht eingesehen habe, allerdings nicht sicher bin, wie detailliert Jost seine nicht melodisch, aber auratisch reiche Musik besonders in rhythmischer und dynamischer Hinsicht ausgestattet hat. Er arbeitet hier ausgesprochen gerne mit klingenden Gesten, besonders im von abrupten Vorhalten und Ausbrüchen berstend vollen zweiten Satz; auch die sozusagen Instrumentation, namentlich im Schlagzeug, spielt hier mit. Eine Musik wie ein Theaterstück, nur daß wir nichts sehen, alles aber hören – und dann in uns selbst interpretieren müssen, was soeben geschieht. Das ist extrem reizvoll, doch anspruchsvoll genauso. Weshalb es, wie bei aller großen Musik generell, fast ausgeschlossen ist, sie »nur so nebenbei« zu hören. Wir müssen uns ihr widmen, sonst wird sie Hintergrundgeräusch.
Tatsächlich will sie Konzentration. Was uns insofern wirklich nicht schwerfällt, als sie durch und durch »gegroovet« ist; immer wieder swingen wir mit. Dazu paßt, daß nicht selten auch das Klavier zur Percussion wird und uns aber ebenso unmittelbar, wie der Effekt einsetzt, wieder herausreißt und quasi schlagartig das gesamte Stück, aber auch das nur sehr kurz, als Minimal Music geriert. Überhaupt werden wir ständig an etwas uns gut Bekanntes erinnert, aber ohne dieses Moment auch auszufeiern. Schon des Flügelhorns Ballade des ersten Satzes wurde nie wirklich Melodie, doch ist’s die Geste einer solchen. Deshalb läßt sie sich, anders als ein Mainstream-Hit, nicht nachsingen, mitsummen allenfalls. – Grollen, Pause, zweiter Satz. Vibraphonvibrato mit vorbereitendem Ruf, daß da gleich vom Himmel ǀ komme was herab. Wir werden mystisch gestimmt, beinah ein bißchen religiös. Doch nur kurz. Den Sentimentalitäten, die er anreizt, gibt Christian Jost ǀ nämlich nicht Raum. Immer wieder besinnt sich »Pieces of a dream« seines Materials und figuriert es stets aufs neue. Allerdings gibt es keine wirkliche Entwicklung. Wir schweben im dauernd selben Raum: ein klanggewordenes, Klang werdendes Kontinuum gestikularer Instrumentaldialoge, die hier ein erstes Finale, besonders in der Trompete, zelebrieren. Aber selbst dieses – gute – Pathos wird rhythmisch erst zerrissen, dann treiben die Fetzen schon weiter. Nur gibt’s halt kein Hinaus, egal, ob uns der Trotz steigt. Die Figuren zerfallen wieder und wieder, setzen sich abermals zusammen – als wären sie ravend berauscht. Nach wie vor konturiert allein diese Gestik die Formen, die langsam, langsam zur Ruhe kommen. Als sie, dritter Satz, das nicht so sehr Schlag, als Klangwerk im Laut gedämmter Glocken weckt. Vorsichtig schiebt sich das Vibraphon hinein. Hier wird akkordisch komponiert, nicht melodisch – und rhythmisch-komplex gegenläufig. Was eine große Spannung erzeugt. Irgend etwas kommt da gleich durch die Tür … uns zur Freude, uns zum Grauen? Und dann ist es da, trompetig, und wir wissen es immer noch nicht. Prügeln die sich jetzt? Ist’s Bedrängung, sexuell? »Woke« jedenfalls ist diese Musik nicht.
Klagen sind zu hören, dahinter trappelt was herum. Und trappelt schon nicht mehr, sondern trippelt wieselwieselflink. In jedem Fall burlesk ein Tanz. Wozu die Trompete, ich kann’s nicht anders sagen, näselt.
– Erschöpfung. Die Ballade des Anfangs klingt neu an. Wird durchfunkelt, durchsprenkelt, Glitzertöne über bleibend dunklem Grund in den tiefen Lagen des Klaviers. Erst allmählich spüren wir das Crescendo, das sich hier eigentlich vollzieht, uns anfangs merklos mitzieht. Etwas wie eine zweite Melodie hebt an, kann sich aber auch nicht finden, wird statt dessen herrlich umspielt. Dazu gibt es einen äußerst hellen Leitton, der aber nicht ruft, sondern sammelt, sich und uns. Es zieht ihn aber runter und in einen quasi Marsch. An Strawinski mußt’ ich denken und bemerke, ich schlage, der ich mitschreibe, die Tasten im Rhythmus dieses Stückes an. – Und End’ des Satzes: WUMM!
Pause und erneut Ballade. Jetzt wirklich kurz eine Melodie, doch ohne End’ erneut, dafür vibraphon beschnörkelt, als würde sie gestreichelt. So pustet wer in der Geliebten duftend Haar. Wir nannten’s »schwofen«, damals in der Disko, eng umschlungen von einem Fuß auf den nächsten nichts als bloß gewiegt. Wie mir da der Schweiß lief, über den Rücken, über die Stirn in die Augen! – hätt ich sie nicht geschlossen vor jugendlicher Seligkeit. Und wieder wird es Schauspiel. Erregung und Erlösung. Ja.
Attacca, post coitum omne animal triste, Melancholie: regredierte, doch hochkomplexe Süße.
Ach du meine Güte! Ich werde noch zum Jost-Fan … Was hat es mit mir, dieses Stück, bloß getan?
Letzte Änderung: 26.08.2024 | Erstellt am: 26.08.2024
Christian Jost Pieces of a Dream
Simon Höfele, Trompete
Frank Dupree, Klavier
Christoph Sietzen, Percussion/Vibraphon
Erscheinungsdatum: 09.08.2024
Berlin Classics, 19,99 €
Bestellnummer: 11821939
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