Das soll sowas sein
Alles, was in ein Märchen für Erwachsene gehört, hat William Shakespeare in seinen „Sommernachtstraum" gesteckt: Elfen und ihre Brüder, die koboldigen Alben, Liebeszaubertränke, Verführungen, verwirrte und verwechselte Liebespaare, ein zum Esel verwandelter Weber, Theater im Theater - und das alles in einem mythischen Athen. Benjamin Britten hat daraus seine erfolgreichste Oper komponiert. Alban Nikolai Herbst hat sie an der Deutschen Oper Berlin erlebt.
Es war der Inszenierung erst neunte Vorstellung innert eindreiviertel Jahre, und wir spürten unser aller Erleichterung und Freude, dass es nunmehr wieder begänne, das reiche Musiktheaterleben des an wunderbaren Orchestern so reichen Berlins. Zumal wäre bei einer neunten Vorstellung noch kaum zu erwarten gewesen, dass eine solche Aufführung die Frische und Leidenschaft bereits verloren hätte, wenn eben – wenn eben nicht dieses Corona gleichsam hätte die Zeiten ge- und damit auch zerdehnt. Und auch, wenn Oberon mit James Hall die Stimme der Premierenvorstellung ebenso behalten hat wie mit Karis Tucker Hermia, hat es doch Umbesetzungen gegeben, bei solchen Unterbrechungspausen zwar sicherlich notwendiger-, wohl aber blöderweise. Ist eine Inszenierung erst einmal ins dauergespielte Repertoire, sagen wir, abgerutscht, kommen Stimmen mit einem so riesigen Bühnenraum wie dem der Deutschen Oper nicht immer wirklich zurecht, und wenn der Dirigent, hier Markus Stenz, darauf menschlich reagiert, wird er die Dynamik des Orchesters den Umständen anpassen. Alles wird ein wenig leiser, bisweilen scheint es, als ob Motive verschwänden, oder, sozusagen umgekehrt, Stimmen, die an räumlich kleineren Bühnen hohen Schmelz entwickeln würden, werden keifig zuweilen, was weder dem Klangerlebnis noch vor allem der Rollenwahrheit guttut, geschweige den physischen Stimmen selbst. Wirklich schmerzhaft war dies in der großen Erwachensszene des dritten Aktes zu spüren, nach Abgang der Geister, da sich die Liebenden – und immer doch mit einem Fragezeichen – endlich fanden und im Aurorenglanz hinwegschreiten, mit dem ihr Glücksgesang anhub, dieses als gegenseitige Umschlingung komponierte like a jewel, mine own, / and not mine own. Da sind wir alle mit allem Grund gerührt – und sollten umso tiefer nachher fallen, wenn in der Schlussszene sich herausstellt, dass die, für die wir derart mitgebibbert, einfach nur dünkelvolle Arschlöcher sind. Genau in der Herstellung, nein, Wahrung solcher Ambivalenzen indes liegt Brittens Musiktheatergenie, und zwar in nahezu allen seinen Opern.
Die Stimmdifferenzen werden aber auch dadurch noch – ja, eben: – betont, dass dem Sängerinnen/Sängerensemble mit Patrick Guetti ein extrem dominanter Bottom an die Seite gestellt ist, was vom Komponisten nur als Rolle so gemeint war, dessen gewaltiger Bass alle und alles in Grund und Boden singt. Wie da, meine Güte, die Balance halten? – Nein, Markus Stenz hatte kein leichtes … nicht einmal “Spiel” kann ich es noch nennen. Mit großer Ehrfurcht formuliert: Bei so viel Unbill hielt er sich, und schützte die Musiker, ausgesprochen tapfer. Nur war es halt zu hören.
Das Problem dieser Inszenierung, das eigentliche, besteht in etwas anderem. Wenn Ted Huffman, der Regisseur, in dem im Programmheft abgedruckten Gespräch erklärt, die sehr, sehr, sehr und eher grau-graublassen denn bloß schwarzweißen Kostüme der Elfen (eigentlich Elben, “Elfe” ist ein Kinderwort) seien darin begründet, dass sie, also diese, der Schattenwelt zugehörten, andererseits aber die Identifizierung Brittens selbst eben den Geschöpfen der Geisterwelt gelte, dann ist es wenig sinnvoll, eben sie derart farblos zu gestalten und ihnen auch noch Kappen aufzusetzen, die wie ein transparentes Plastik aussehn und uns mehr an Fritz Langs Metropolis denken lassen als an die zugleich, im Wortsinn, ungeheure wie flirrende Andere Welt. Mit der Maschinenmaria haben weder Shakespeare noch Britten ja nun auch nur entfernt zu tun, um von der eigentlichen Vorlage zu schweigen, nämlich dem Huon de Bordeaux des 13. Jahrhunderts. Weiters geht dabei fast völlig verloren, dass es doch die Elben sind, die die Menschen führen, und durchaus an den Nasen – was in dieser Zauberoper eigentlich besonders das Ende (mit)bestimmen sollte, wenn die “Schatten“welt den Fürstenhof gleichsam übernimmt. Indes, bevor sie’s doch wenigstens ahnen müssten, gehen bei Huffman die Menschen angeschickert einfach zu Bett, und der leise Schauder, den die Szene bewirken sollte, ist nicht mal Windhauch mehr durch angelehnte Fenster.
Schade also, schade.
Aber es war auch schon nicht klar, weshalb der Fürst gleich beim ersten Auftreten ein beschwipster Depp sein muss. Britten schreibt nüchtern lediglich vor Enter Theseus and Hippolyta with their court. Daraus abzuleiten, jenen als Depp darstellen lassen zu dürfen, verfehlt abermals die Ambivalenzen, indem es hier den zynischen Ernst der Macht beiseite wischt, genau also das Unangenehme, das sich in den Kommentaren der Gesellschaft zum Spiel der Handwerker entblößt, einem auf erstes Hören und Sehen komischen Theater im eben nicht komischen, denn auch das Laienstück ist an nicht wenigen Stellen hochambivalent, wird zweimal sogar – musikalisch! – zur wahrhaft großen, mit nahezu straußschem Pathos, Tragödie, einmal nach Thou wall, o wall, / o sweet and lovely wall, nämlich durch Pyramus, zum zweiten mit Thisbys Come, trusty sword. Indem wir alle, das Publikum also, uns gleichsam einvernehmlich mit dem zynischen Fürstenhof am Spiel der Handwerker grob nur amüsieren, nehmen wir diesen ihre Wahrhaftigkeit mit weg. Dazu noch kommt, dass Pyramus und Thisby als übergroße Stabpuppen verkaspert werden. Das sind alles Einfälle, hätte meine Großmutter gesagt, die “sowas sein sollen”, und dadurch die in Brittens Musik, aber besonders diesem Stück, waltende Komplexität schlichtweg nicht nur simplifizieren, sondern vor allem kalauernd banalisieren. – Ich, was noch einmal die Kostüme angeht, denke, es hätte gerade umgekehrt kostümiert werden müssen: das Schattenreich farbig, die Menschenwelt grau. Dann wären wir sowohl näher an Brittens Intentionen gewesen als auch an – unser fast aller Wahrheit.
Dennoch. Erstens ist gerade dieses Stück so wenig – ein hier nicht durchweg angemessenes Wort – kleinzukriegen wie Mozarts Le Nozze di Figaro, weil uns nämlich zweitens auch diese Aufführung und musikalische Aura immer noch einen lustvollen Abend schenkt. Und – vielleicht sogar wegen der von mir erzählten, aus meiner Sicht, Schwächen – lange nachher noch über Zettels Traum nachdenken lässt, der nicht nur der von einem Esel und der zur Eselin gemachten Titania gewesen. Das nämlich, ecco!, wird spätestens klar, noch bevor sich der Herr Kobold Puck beim Publikum mit einem solchen Spott entschuldigt.
Letzte Änderung: 31.10.2021 | Erstellt am: 31.10.2021
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