Jedes gemalte Bild ist ein Fetisch

Jedes gemalte Bild ist ein Fetisch

Gespräch mit Adam Jankowski
Adam Jankowski | © Foto: Magda Mogila

Der in Gdansk geborene Maler Adam Jankowski wird am 1. Februar 2018 siebzig Jahre alt. Er wuchs in Wien auf, studierte in Hamburg und unterrichtete von 1987 bis 2013 in Offenbach. Heute lebt und arbeitet Jankowski in Hamburg und Berlin. Eugen El hat mit Adam Jankowski über die Städte seines Lebens und über gesellschaftlich relevante Malerei im digitalen Zeitalter gesprochen.

Eugen El: Du bist in Wien zur Schule gegangen, in den sechziger Jahren. Ernst Jandl zählte zu deinen Lehrern dort. Wie hast du die gesellschaftliche Stimmung in dieser Zeit erlebt? Warst du als Kind polnischer Einwanderer Anfeindungen ausgesetzt?

Adam Jankowski: Anfang, Mitte der 1960er Jahre war die Stimmung in Österreich noch sehr stark von der Ideologie der Nazis geprägt. Ich denke, dass alle meine Lehrer an dem naturwissenschaftlichen Realgymnasium Wien 4 Waltergasse, das ich besucht habe, insbesondere Otto Kreillisheim, der Deutsch unterrichtete, aber auch der experimentelle Dichter Ernst Jandl als Englisch-Lehrer, der engagierte Schriftsteller Friedrich Polakovics als Kunsterzieher, und auch unser Philosophielehrer Piritz, sich der problematischen Situation bewusst waren und dass sie entsprechend aufklärerisch agiert haben. Da hatte ich schon großes Glück mit meinem Gymnasium, das sich in einem sozialdemokratisch orientierten Bezirk von Wien befand und nicht in einem politischen Territorium, das von dem katholisch verkrampften, reaktionären Wiener Bürgertum beherrscht wurde! Als Asylantenkind habe ich von den Lehrenden an der Schule jedenfalls keinerlei ausländerfeindliche Anfeindungen – das meinst du wohl – erfahren; im Gegenteil, ich wurde intellektuell hart gefordert – und auch gefördert, wenn ich es verdient hatte. Manche Mitschüler waren da anders orientiert, und da gab es schon ab und zu dümmliche Schmähungen, aber dagegen wusste ich mich zu wehren. Etliche andere Mitschüler kamen mir dann zur Hilfe. Und die Jugendrevolte um 1968 brachte auch in Österreich einen entscheidenden Wechsel der herrschenden kulturellen Paradigmen; da war dann die Nazi-Zeit endgültig vorbei, zumindest in den urbanen Zentren Österreichs. An der Technischen Hochschule Wien und an der Wiener Kunstakademie, die ich ab 1966 bis 1970 besucht habe, gab es keine Feindlichkeiten gegen Ausländer; im Gegenteil, überall hieß es: „Hoch die internationale Solidarität!“

Du bezeichnest dich immer wieder als österreichischen Maler. Welchen Einfluss hatte Wien, hatte Österreich auf dich künstlerisch?

Österreich war über Jahrhunderte ein riesiges Staatsgebilde, ein bunter Vielvölkerstaat, in dem sehr unterschiedliche historische Erfahrungen und kulturelle Ansichten miteinander wirksam wurden. In diesem kreativen Schmelztiegel der Kulturen und Nationen hat sich über die Jahrhunderte eine sehr differenzierte Kunstwirklichkeit entwickelt, die sich in einem schier unüberschaubaren Reichtum an hochrangigen künstlerischen Äußerungen niedergeschlagen hat. Das kollektive kulturelle Gedächtnis des modernen, heute natürlich nur sehr kleinen Österreichs ist gigantisch! Deswegen war die Jugendzeit, die ich in Österreich verbracht habe, für mich sozusagen ein kultureller Aufklärungs- und Initiationsprozess. Nachträglich betrachtet, war das ein sehr großes Glück, das ich durch meine biografische Konstellation erfahren habe! Aus so einer biografischen Prägung kann man nicht mehr aussteigen; bis heute ist die österreichische Kunst und Kultur, die formale Vielfalt ihrer Bildlichkeiten, das sehr intensive intellektuelle Leben des Landes Österreich, natürlich auch die einzigartige Landschaft der Alpen und des Alpenvorlandes, für mich eine Quelle der Erkenntnis und der künstlerischen Inspiration. Ich kehre immer wieder gern zurück an diesen Strom der Energie.

Dein Studium der Malerei an der HfBK Hamburg hast du im Jahr 1976 abgeschlossen. Wer waren für dich die prägenden Gestalten in dieser Zeit? Worüber wurde in den künstlerischen Klassen diskutiert?

Während meines Studiums an der Hamburger HfBK, das ich ab 1970 absolvierte, wurden hauptsächlich die Fragen der politischen Relevanz und der politischen Wirkung der Kunst diskutiert. Zum Beispiel in den sehr lebendigen Seminaren von Bazon Brock. Es ging um Argumente für eine emanzipatorische Veränderung der repressiv aufgestellten deutschsprachigen Gesellschaft, die die Nazi-Diktatur und die Verdrängungspolitik der Adenauer-Republik in Europa hervorgebracht haben. Ich sage bewusst Europa, weil diese ideologische Prägung nicht nur in Westdeutschland, der DDR und in Österreich vorhanden war, sondern auch in Südtirol, in der deutschsprachigen Schweiz, ja selbst auch in Polen, der Tschechoslowakei und Sowjetunion, selbstverständlich auch in Frankreich und Spanien, also in allen Ländern, die von der Seuche des Faschismus befallen worden waren. Unsere studentischen Diskussionen gingen natürlich auch der Frage nach, welche ästhetischen Mittel dazu geeignet wären, den vom SDS in Gang gebrachten Prozess einer umfassenden kulturellen Umgestaltung der deutschen Gesellschaft voranzutreiben. Insofern stand alles zur Debatte, und vieles musste erst erforscht, erprobt und allgemein verständlich gemacht werden. Ich meine damit auch die starken kreativen Potentiale, die bis dahin in diversen kritischen Theorien verborgen geblieben sind, weil diese bis dahin von dem von amerikanischen Doktrinen dominierten deutschen Kunstdiskurs ausgeblendet und stigmatisiert waren. Stichwort: das Verbot der gegenständlichen Darstellung oder „Abstrakter Expressionismus als Malerei der Freiheit“.

Prägende Gestalten waren für mich Che und Mao, beide natürlich nicht als reale Personen, sondern als jene idealisierte ikonische Fiktion, in die sie von der Studentenbewegung verwandelt worden sind. Deswegen nenne ich sie nicht Che Guevara und Mao Tse Tung, sondern Che und Mao, denn das bringt eine Differenz zum Ausdruck. Als Maler haben mich zuerst Picasso, Courbet, Delacroix und Goya interessiert, wegen ihrer Widerständigkeit und Eigenwilligkeit. Und auch der scheinbar abstrakte Maler Piet Mondrian, an dem ich am meisten sein unnachgiebiges Bestehen auf der zentralen Rolle der sozialen Utopien bewundert habe. Als Kunststudent schätzte ich von den jüngeren Malern den Spanier Eduardo Arroyo und den Deutschen Markus Lüpertz, der damals seine Motive in drei Fassungen malte, um die Differenzen bezüglich der visueller Wirkung zu überprüfen. Und natürlich den genialen Andy Warhol, der die Realität in die Kunst zurückgeholt hat. Den damals in den Kunstdebatten omnipräsenten Joseph Beuys mochte ich wegen seiner martialischen Schuld- und Sühne-Ästhetik nicht besonders leiden. Andererseits war Beuys der einzige deutsche Künstler, der sich in seiner Kunstproduktion mit dem Grauen der Nazi-Zeit auseinandergesetzt hat. Neben Georg Baselitz; dessen Ansatz habe ich aber erst später kennengelernt. Als Lehrer waren für mich Almir Mavignier, KP Brehmer und Bernd Koberling wichtig.

Ist Hamburg eine Stadt, die ästhetisch Einfluss haben kann? Oder kann man die Hansestadt nur in St. Pauli ertragen, wo du lebst?

Hamburg ist ästhetisch die schönste Stadt in Deutschland und die einzigartige Landschaft des Hamburger Hafens und der Elbe hat natürlich ihre Auswirkungen auf die Kunst der Stadt. Sie hat es immer gehabt, ich denke da zum Beispiel an den wunderbaren Maler Eduard Bargheer. Leider ist dieser Maler in seiner Heimatstadt, auch in Gesamtdeutschland, so gut wie nicht bekannt, weil die Hamburger sich prinzipiell nicht zu ihren Künstlern bekennen. Dieser völlig missverstandene Begriff von Understatement ist charakteristisch für die Bewohner der Hansestadt Hamburg; in dieser Hinsicht ist Hamburg ganz anders als Berlin. Das volkstümliche Amüsierviertel St. Pauli, das seinerzeit über den einzigartigen Charme seiner Matrosenästhetik verfügt hat, ist inzwischen von den nach Finanzeffizienz gierenden Hamburger Instanzen in eine völlig unglaubwürdige maritime Kulisse für das Exzesssaufen von Touristen verwandelt worden. Die Hochschulen, die Kunstmuseen der Hansestadt werden finanziell ausgetrocknet; stattdessen wurde ein drittes Museum für Schiffsmodelle eingerichtet! Die ernsthaft progressive Kunst und die substantielle Subkultur sind in Hamburg mittlerweile unter den Trümmern der Elbphilharmonie verschwunden, einem unsäglichen Repräsentationstempel der Geldverschwendung, der sich in der Hafenskyline in Gestalt einer mediokren Pastichearchitektur wichtigmacht. Die jetzt regierenden technokratischen „Scholzomaten“ von der SPD haben die Stadt wegen der zu vermutenden Tourismuseinnahmen zu einer Hochburg des Musicals – also des schmalzigen Schnulzengehopses – gemacht … das sagt doch alles über den aktuell in der Hansestadt Hamburg herrschenden Kulturbegriff. Über Freddy Quinn und Udo Jürgens geht es nicht hinaus.

Nach dem Abschluss an der HfBK hast du Kunstgeschichte an der Universität Hamburg bei Klaus Herding und Horst Bredekamp studiert. Ist deine Begeisterung für die französische Malerei, für Courbet, für Monet, für Picasso, in dieser Zeit entstanden? Wie vertragen sich kunsthistorische Studien und Museumsbesuche mit dem politischen Anspruch deiner eigenen Arbeiten?

Meine Begeisterung für unangepasste Künstler geht auch auf meine Wiener Schulzeit zurück. Damals habe ich hinter dem Wiener Südbahnhof das „Museum des 20en Jahrhunderts“ für mich entdeckt und verbrachte dort viele Tage. In diesem gerade eingerichteten Museum für moderne und zeitgenössische Kunst erklärte der junge Kunsthistoriker Werner Hofmann, – er amtierte dort als Gründungsdirektor –, dem damals in Wien nur spärlich vorhandenen Kunstpublikum anhand seiner Ankaufspolitik und seiner Ausstellungsprojekte die strategischen und die substantiellen Fragestellungen der heroischen Moderne, natürlich auch ihre diversen formalen Phänomene. Ich hatte großes Glück, dass ich schon als Schüler ein Zeuge dieses Prozesses des Einzugs der Moderne in das künstlerische Bewusstsein des Nachkriegsösterreichs wurde … Werner Hofmann wurde übrigens später ein sehr verdienstvoller Direktor der Hamburger Kunsthalle; durch seine umfangreichen Forschungen und Publikationen wurde er im Laufe der verstrichenen Jahre zum wichtigsten kunsttheoretischen Analytiker der uns allmählich entgleitenden Epoche der authentischen Moderne, also der Kunst vor dem Zeitalter ihrer Verwandlung in sinnentleerte Unterhaltung und spekulative Kunstmarktkunst.

Nach dem Ende des Kunststudiums an der Hamburger HfBK verspürte ich bei mir große Defizite in puncto Theorie der aktuellen Kunst und habe deswegen die Studien der Kunstgeschichte an der Hamburger Universität aufgenommen. Ich wollte den Verlauf der geschichtlichen Kraftlinien der modernen Kunst erfahren und lernen, die künstlerische Zusammenhänge in einem wissenschaftlich zuverlässigen Kontext zu begreifen. Diese Einsichten haben mir später die Möglichkeit gegeben, meine eigene Kunst als unabhängige visuelle Forschung zu betreiben. Wieder hatte ich unglaubliches Glück mit den Professoren, die ich da an der Uni vorgefunden habe, also u. a. mit Klaus Herding und Horst Bredekamp, die damals jung waren und akademisch unangepasst argumentiert haben. Gesellschaftlich relevante Kunst entsteht immer auch aus dem Dialog mit der Kunstproduktion von Künstlern aus den vorangegangenen Epochen; sie realisiert in sich in ihrem ausgereiften Stadium immer im Modus eines ästhetischen Genusses und landet später – und das ist der kleine Unterschied zu der flachen Unterhaltungskunst, die als Tageserscheinung im modischen Gebrauch spurlos vernichtet wird – als eine spezifische Form der menschlichen Erkenntnis immer im Museum … Ich sehe da also überhaupt keinen Widerspruch bezüglich einer politisch inspirierten Kunst, höchstens das Problem, wie die Institution eines modernen Museums zu organisieren und zu betreiben ist, wenn sie sich heute als eine seriöse wissenschaftliche Instanz noch behaupten will.

Malerei im digitalen Zeitalter – inwieweit hat sie für dich noch eine Berechtigung? Was könnte ihre Nische sein? Vielleicht ihre Langsamkeit, abseits der medialen Bilderschwemme?

Die nur leicht und billig in massenhafter Form herzustellende digitale Bildproduktion erzeugt durch ihre ins Unendliche überquellende Menge an Bildlichkeiten ein unüberschaubares Bildrauschen. Schon heute sind wir mit einer visuellen Umweltverschmutzung von noch nie gekannten Ausmaßen konfrontiert; es ist ein visueller Overkill, gefüllt mit diversen visuellen Sinnlosigkeiten und Belanglosigkeiten, die von unreflektierten, in ihrem Charakter korrumpierten Menschen erzeugt werden. Damit meine ich die unendliche Flut der ästhetischen Äußerungen des „Verblendungszusammenhangs“, der von den kommerziellen Desinformationsmedien, insbesondere von der Kulturindustrie, der Werbung und den sogenannten „Sozialen Netzwerken“, in Umlauf gebracht wird. Die innovative digitale Bildproduktion aus der Sphäre der Wissenschaft gilt es hiervon zu unterscheiden – leider wird aber auch diese Bildwelt von der Kulturindustrie zunehmend der inhaltsleeren kommerzialisierten Unterhaltung zugeführt. Und was die Frage des Inhalts betrifft: Die Malerei, als reflektierte Erkenntnis des individuellen Seins, als existentielle Spur betrieben, ist das Gegenteil von diesen wilden digitalen Treiben: Jeder Pinselstrich muss ja vom Künstler überlegt und bewusst selektiert gesetzt werden, weil ein Maler im Verlauf seines Lebens nur eine begrenze Zahl von Bildern erarbeiten kann.

Schließlich ist nicht jede Leinwand, die mit Farbe schmutzig gemacht wurde, ein künstlerisch relevantes Bild. Darüber hinaus bezieht der Maler seine Bilder aus dem Raum seiner Biografie und dem Reich seiner Phantasie. Und aus seiner spiritueller Eingebung, also aus Sphären des Metaphysischen, die sich digital nur schwer dokumentieren lassen … Hinsichtlich der Form der Bildherstellung gilt: Jedes gemalte Bild ist ein originales Unikat und damit ein Fetisch: Es verfügt über die magische Aura des Einzigartigen! Je mehr von dem digitalen Kitsch die Unterhaltungs- und Werbeindustrie in die Welt gebracht wird, – und der Menschheit damit das Wissen raubt, warum sie überhaupt existiert -, um so mehr wird dem Künstler, der einzigartige Existenzfurchen als originale Unikate herstellt, die Rolle des Fetischeurs, des Magiers, des Priesters, des Weisen … zurückgegeben, der sich darauf versteht, der Welt den Sinn ihres Daseins sichtbar zu machen.

Adam Jankowski im Atelier Heyne-Fabrik Offenbach, 1988 | © Foto: Foto: Clemens Mitscher
Du warst von 1987 bis 2013 Professor für Malerei an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach und hast mehrere Studierendengenerationen begleitet. Welche Veränderung in Habitus und Einstellung konntest du beobachten?

Die Studentenschaft wurde immer unpolitischer, immer selbstzufriedener, immer weniger neugierig, zugleich aber immer mehr fordernd und immer mehr konsumistisch. Dazu kommt der zunehmende Verlust des handwerklichen Instrumentariums des Zugang zur Erkenntnis, also das Verlernen der Künste des Schauens, Lesens und des Schreibens, des Formulierens … Die steigende Unlust auf Literatur und die Unfähigkeit zur Literatur … das alles verstärkt die Unfähigkeit zum kritischen Hinterfragen und Reflektieren. Die Menschen werden dadurch immer mehr zu hilflosen Opfern der Manipulation durch Politik und Medien.

Zu Frankfurt und Offenbach hast du ein eher distanziertes Verhältnis – wie kommt es dazu?

In Frankfurt sind die Straßen zu eng, die Häuser zu niedrig, die Wohnungen zu klein, die Inneneinrichtungen zu schäbig, die öffentlichen Verkehrsmittel absurd überteuert, die Mieten zu hoch, die Museen miserabel … In letzter Zeit hat ein intelligenter Wiener Museumsmann, der in Amerika ausgebildet worden ist, einiges in der Museumslandschaft von Frankfurt in Ordnung gebracht, aber es gibt noch viel zu tun. Es fehlt zum Beispiel an experimentell und offen aufgestellten Galerien und an einem künstlerisch kompetenten Publikum, das zu einem eigenständigen kritischen Urteil fähig wäre. Die kunstfernen Frankfurter Kunstkonsumenten, die die drögen Frankfurter Vernissagen bevölkern, weil der Zeitgeist es von ihnen verlangt, plappern nur nach, was die Herrschaftsmedien ihnen einflüstern, da kann ich mich an so manche schier unglaubliche Beobachtung erinnern. Und so ist es kein Wunder: Es gibt zu wenig Künstler in Hessen! Und was die Beziehung zwischen Frankfurt und Offenbach betrifft, da ist meine Erfahrung: Zwischen Offenbach und Frankfurt besteht gar kein Unterschied, denn Offenbach ist ein „Dirty Suburb“ von Frankfurt, ein organischer Teil dieser ehemaligen Furt über den Main. Die Frankfurter schauen aber auf die Offenbacher herunter; als ein kosmopolitisch geprägter Mensch habe ich es nie herausfinden können aus welchen Grunde sie das eigentlich tun und womit sie ihre aufgeblasene Arroganz legitimieren. Na ja, in Frankfurt essen die Leute matschiges, grünes Gras von der Wiese, das sie vorher durch den Fleischwolf gedreht haben, dazu gibt es gekochte Eier … Sie trinken einen schlecht vergorenen Apfelwein, weil er weniger kostet als richtiger Wein … Man beachte hier die Differenz zu einem gekonnt hergestellten Cidre! Es sind schon merkwürdige Sitten und Gebräuche in diesem Südhessen, alles völlig derb und unsensibel … Anders gesagt: In Frankfurt am Main herrscht eine völlige Abwesenheit des Esprits und des Ästhetischen. Als Künstler kann man da nur Reißaus nehmen – diese Erkenntnis hat schon Ernst Wilhelm Nay in seinen Tagebüchern festgehalten.

Im Jahr 2014 warst du sechs Monate lang „L’Artist en Residence“ auf dem Château de Trousse-Barrière in Briare-le-Canal/Region Loiret (Frankreich). Wolltest du den größtmöglichen Kontrast zum proletarischen Offenbach mit seiner technik- und designaffinen Hochschule herstellen?

Ganz und gar nicht. Es fügte sich zufällig als ein Arbeits-Break und als eine Forschungsreise ins Ungewisse zu Beginn der Unruhezeit, zu Beginn des Alterswerks, also nach den Jahren an der Hochschule. Ich muss auch sagen, dass ich nach den vielen Menschen, mit denen man in der Institution ständig zu tun hat, auch neugierig auf das Alleinsein war. Es wurde dann eine Reise in das frühe und in das hohe Mittelalter: In der Abbaye von Fontevraud bin ich völlig überraschend Eleonore von Aquitanien begegnet und ihrem Sohn Richard Löwenherz … ausgerechnet dem tapferen englischen Ritter Löwenherz, dem ich in meinem heimischen niederösterreichischen Dürnstein schon während meiner Jugend begegnet bin. Dann die vielen grandiosen romanischen Kirchen und Abteien, die einen die Augen aufreißen lassen, all die erhabenen gotischen Kathedralen … ihre strengen Glasfenster und majestätischen Vierungen haben meine alte Liebe zur Geometrie mit einem neuen Interesse befeuert. In allen Ortschaften, und seien sie noch so klein, stößt man entweder auf dunkle fensterlose Burgmauern oder auf beängstigend abweisende Turmbauten oder auf poetisch verspielte Chateaus … dazu die Bescheidenheit der französischen Landmenschen und die wunderbare Vegetation … diese über Jahrhunderte bewusst gestaltete Landschaft! An jeder Waldecke lauert einem François le Premier auf … oder die drei Musketiere, in jeder Kirche ist die Jungfrau von Orleans schon vor dir da gewesen, auch ein gewisser Henri Quatre … Und erst die langen Reihen der Weinbäumchen auf den Weinhügeln von Sancerre: Sie sind so schnurgerade ausgerichtet, wie seinerzeit Napoleons Regimenter, die Rotweinreihen blau wie die Grenadiere, der Weißwein grünlich, wie die Pioniere … Und der durstige Wanderer labt sich hier am besten Weißwein der Welt, da kann man wirklich nicht meckern.

Kürzlich hast du ein zweites Atelier in Berlin-Wedding eröffnet. Welche neuen Einflüsse strömen gerade auf dich in der Hauptstadt ein?

Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland, da werden die Dinge entwickelt, die sich erst Jahre später in der deutschen Provinz herumsprechen. Und hier wimmelt es nur so von jungen Künstlern, die alle was im Schilde führen. Die Leute in Berlin sind neugierig, offen und experimentierfreudig, die Straßen breit, die Häuser und Wohnungen haben die richtige Höhe und Größe. Die Köpfe haben genug Luft zum atmen. Die Eigentumsverhältnisse sind in Berlin noch nicht endgültig geklärt, alles ist also im Fluss, das ist der entscheidende Unterschied zu Hamburg. Ich diskutiere hier zurzeit mit meinen jungen – und auch mit meinen gestandenen – Künstlerfreunden die aktuellen Inhalte und Überlebensstrategien der authentischen Moderne … Und auch die Überlebenschancen unserer alten Welt, die heute vom internationalen Finanzkapitalismus in den finalen Exitus getrieben wird.

Letzte Änderung: 02.02.2022

Adam Jankowskis Atelier an der HfBK Hamburg, 1972
Adam Jankowski: Atelierausblick 1, 1979, Acryl auf Leinwand, 200x130 cm
Adam Jankowskis Atelier in Hamburg-St. Pauli, 2010
Adam Jankowski: Fenster 1, 2012, Acryl auf Leinwand, 240×180 cm
Adam Jankowski: Fenster 7, 2014, Acryl auf Leinwand, 240×180 cm
Adam Jankowski: Monitor 10, 2006, Acryl auf Leinwand, 240×200 cm
Adam Jankowski: Bergsee, 2002, Acryl auf Leinwand, 50×40 cm
Adam Jankowski: Mururoa 3, 1997, Acryl auf Leinwand, 200×180 cm

Vita
Adam Jankowski

1948
Geboren in Gdansk/Polen, seit 1955 in Warschau

1961
Eltern ziehen nach Wien

1968-70
Studium der Malerei an der Kunstakademie Wien, Klasse Prof. Franz Elsner.

bis 1976
Studium der Freien Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg bei Almir Mavignier, Bazon Brock und KP Brehmer

1976 – 1980
Studium der Kunstgeschichte an der Universität Hamburg bei Klaus Herding und Horst Bredekamp

1987 – 2013
Professur für Malerei und Farbiges Gestalten an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main

2014
Atelier im Chateau Trousse-Barriere als Artist in Residence in Briare-le-Canal / Region Loiret, April bis Oktober

Lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin.

adamjankowski.de

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