Tatjana Prenzel illustriert für Auftraggeber wie die „New York Times“ und das Magazin „The New Yorker“. Die Absolventin der Offenbacher Hochschule für Gestaltung teilt ihren Atelierraum im Frankfurter Gallus mit mehreren Illustratoren und Grafikdesignern. Eugen El hat Tatjana Prenzel zum Gespräch getroffen.
Eugen El: Frau Prenzel, was steht auf Ihrem Atelierschreibtisch?
Tatjana Prenzel: Ich habe zwei Schreibtische: einen für meinen PC und ein digitales Zeichenbrett; den anderen halte ich gerne komplett frei, damit ich Platz zum Zeichnen habe. Daneben, auf dem Fensterbrett, stehen alle meine Stifte.
Und wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
Ich fange spätestens um neun Uhr morgens an. Es ist eigentlich meistens so, dass ich erst mal E-Mails checke. Oft muss ich welche beantworten, die abends oder nachts kamen. Ich will das alles erst mal aus dem Kopf haben. Ich fange dann aber relativ direkt an zu zeichnen.
Wie lange kann Ihr Arbeitstag gehen?
Lange. (lacht) Wenn es klappt, und ich keine dringende Deadline habe, dann bis 18 Uhr. Aber wenn ich sehr viel zu tun habe, dann kann es auch bis 20 Uhr gehen. Manchmal ist es ein offenes Ende.
Arbeiten Sie momentan von Zuhause aus?
Ja, wegen der aktuellen Situation, sonst arbeite ich in einem Gemeinschaftsatelier. Einmal die Woche bin ich normalerweise noch an der Fachhochschule Würzburg, an der ich Illustration unterrichte, momentan auch das von zu Hause.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie den Auftrag erhalten, einen Text zu illustrieren?
In den meisten Fällen bekomme ich einen Artikel, den ich erst mal lesen muss. Da fast alle meine Aufträge nicht aus Deutschland sind, muss ich die englischsprachigen Artikel für mich entschlüsseln und übersetzen. Da gehe ich nicht kreativ ran, sondern erst mal sachlich. Dann lese ich ihn noch einmal und gehe in die Materie ein, mache kleine Skizzen. Dann fange ich auch direkt an und mache eins-zu-eins-Skizzen.
Wie kurzfristig können solche Aufträge sein?
Extrem. Es kann sein, dass ich jetzt gerade eine E-Mail bekomme, und dann muss ich übermorgen etwas abgeben. Es ist auch egal, ob Wochenende oder nicht. Es waren bereits einige Wochenenden dabei.
Wie schaffen Sie es, jedem Auftrag gerecht zu werden und dabei Ihre Bildsprache wiedererkennbar beizubehalten?
Ich erzwinge es gar nicht, dass es immer quasi gleich aussieht. Es ist eben meine Sprache. Wenn ich zeichne, dann zeichne ich so. Es ist einfach meine Art, es zu erzählen.
Sie arbeiten für renommierte internationale Auftraggeber. Lässt sich ein solcher Erfolg planen?
Nein. Am Anfang habe ich sehr viele eigene Projekte gemacht, um ein Portfolio aufzubauen. Man kann sich für Aufträge nicht wirklich bewerben. Man kann einfach nur präsent sein, sich zeigen. Dann kam der erste Auftraggeber auf mich zu. Danach hat mich vielleicht der Zweite gesehen.
Wie groß sind Ihre Zeichnungen?
Meistens nicht größer als DIN A4, auch mal größer, wie zum Beispiel für einen Brillenladen in den USA. Dort wurden die Zeichnungen für ein Mural vergrößert.
Woher rührt die melancholische Grundstimmung Ihrer Zeichnungen?
Ich dränge das nicht in die Richtung, dass alles melancholisch sein soll. Aber wenn ich Themen bekomme, will ich nicht das zeigen, was wir ohnehin schon in dem Text oberflächlich lesen. Ich will auch nicht zeigen, was jedem sowieso in den Kopf kommt. Ich versuche reinzugehen und die Stimmung aufzugreifen. Oft bekomme ich Themen, die eher schwermütig und vielschichtig sind.
Die Darstellung von Licht und Schattenwurf ist ein wichtiger Baustein Ihrer Zeichnungen. Setzen Sie das bewusst ein?
Es kommt aus dem gleichen Interesse wie die Atmosphärenbildung. Ich finde es sehr interessant, wie sich Lichtverhältnisse auf die Stimmung auswirken.
Die flächig-schlichte Ästhetik Ihrer Zeichnungen lässt an den Maler Alex Katz denken. Lassen Sie sich von Kunst inspirieren?
Die Assoziation kam schon öfters. Ich hatte ihn aber nie auf dem Schirm. Ich schaue mir viele Bilder an. Wenn etwas Besonderes transportiert wird in den Bildern, zum Beispiel eine besondere Atmosphäre oder Stimmung, dann interessieren sie mich. Dann will ich wissen, wie machen sie es, dass sie uns das Gefühl von Einsamkeit oder von Fröhlichkeit vermitteln.
Schauen Sie auch, was andere Illustratoren machen?
Ja. Es ist wichtig zu wissen, was gerade gemacht wird. Aber es ist wichtig, nicht zu viel auf andere zu blicken. Es geht schon um die eigene visuelle Sprache.
Sie zeichnen mit Buntstiften auf mitunter grobkörnigem Papier. Pflegen Sie bewusst diesen ehrlichen, analogen Look?
Der Buntstift ist einfach mein Mittel, meine zweite Hand. Damit kann ich mich ausdrücken. Andere Techniken lenken mich zu schnell davon ab, was ich auf das Papier bringen will. Ich bin mit Buntstiften nicht langsamer als wenn ich digital arbeite.
Bearbeiten Sie Ihre Zeichnungen nachträglich digital?
Meistens. Es kann sein, dass es vom Auftraggeber gewünschte Korrekturen und Änderungen gibt. Für Magazine muss man schon flexibel sein. Es ist dann auch kein Problem für mich.
Machen Sie auch freie Projekte?
Ich nehme mir gern Kurzgeschichten vor. Als Diplomarbeit habe ich einen Text von Raymond Carver illustriert. Vor einiger Zeit habe ich angefangen, Kristen Roupenians Story „Cat Person“ zu illustrieren. An Kurzgeschichten mag ich, dass sie einen in die Szene reinwerfen, dann wird man mit der Situation konfrontiert und stehen gelassen. Du musst irgendwie damit umgehen. Ich finde es interessant, das auf Papier zu bringen.
Was hat Sie dazu motiviert, Illustration zu studieren?
Ich bin schon immer begeistert von Büchern und Kinderbüchern, was mich sicher auch künstlerisch mitgeprägt hat. Natürlich haben mich viele Richtungen fasziniert, und ich habe auch einiges ausprobiert. Aber die große Anziehungskraft von Bildern und Büchern hat mich nie mehr losgelassen und so dazu gebracht, selbst gern zu illustrieren.
Was würden Sie jungen Menschen, die Illustration studieren, raten?
Sie sollten sehr viel, auch andere Bereiche, ausprobieren. Das kann man an der HfG [Anm. der Redaktion: Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main] ziemlich gut. Es ist aber trotzdem wichtig, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt zu fokussieren. Es kann zum Beispiel auch gut sein, ein Auslandssemester zu machen, was für mich eine prägende Erfahrung war.
Das Gespräch führte Eugen El. Es ist in der Tageszeitung Offenbach-Post erschienen.
Letzte Änderung: 16.08.2021
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