Wider die Hochleistung

Wider die Hochleistung

State of High Performance

Die Pandemie hat zur Reflexion unserer Lebensgestaltung angeregt. Aber hat die von außen auferlegte Entschleunigung etwas geändert? Warum To-do-Listen schreiben, wenn uns der Zwang eines Aufgabenkorsetts nicht guttut? All diese Fragen beschäftigen Isa Bickmann nach einem Besuch der Ausstellung „State of High Performance“ in den Ausstellungsräumen der Basis e.V. in Frankfurt, in der Künstler und Künstlerinnen über das Leistungsprinzip nachdenken lassen.

„Ne travaillez jamais“ – „Arbeitet niemals“ – schrieb Guy Debord 1953 an eine Wand. Dass sich dieser Aufruf als gesellschaftliche Bewegung nie durchsetzen konnte, liegt an dem alles umklammernden Zwang zu ökonomischem Wachstum. Die Corona-Pandemie und die Klimakrise zeigen allerdings auf, dass ein neoliberales „Weiter so!“ nicht die angemessene Antwort in dieser Umbruchszeit sein kann, die zwischen Ent- und Beschleunigung eine diffuse Leere hinterlassen hat. Die Ausstellung „State of High Performance“ in der Produktions- und Ausstellungsplattform basis e.V. reflektiert den Drang und Zwang zur Selbstoptimierung und Produktivität, die nicht nur als gesellschaftlich akzeptierte Pression auftreten, sondern vor denen auch ein Künstlerleben nicht verschont bleibt, will es nach Erfolg streben.

Die Verweigerungshaltung im Debordschen Sinn bildet die französische Künstlergruppe Claire Fontaine ab, indem sie eine To-do-Liste derart unlesbar erscheinen lässt, dass diese ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllen kann. Statt das Leben zu organisieren und Arbeitsabläufe zu systematisieren, verweigern sich die Kritzeleien, die aussehen, als habe jemand einen Stift ausprobiert, einer Ordnung. Gefasst in einen Leuchtkasten gerät die Fotografie eines Notizblocks zu einer Absage an den Drang zur Effizienz. Der Lebensratgeber „Tipps für mehr Produktivität“ wird ad absurdum geführt.

Claire Fontaine, Untitled (to do), 2016 | © Foto: Laura Nickel / Courtesy the artist and private collection, Cologne

Dem Zwang zur Leistungsfähigkeit hat sich die 1985 in London geborene und in Berlin lebende und arbeitende Künstlerin Kasia Fudakowski ausgesetzt. Als Stipendiatin der Villa Romana in Florenz stellte sie sich der Aufgabe, täglich an einem Rattan-Teppich zu weben. Das Exponat, genannt „Working Title: The Worry Wall“, das nicht nur durch Selbstdisziplinierung, sondern auch durch Hilfseinsätze von FreundInnen und KollegInnen entstand, lässt im Ergebnis kaum die negativen Seiten erahnen, die solch ein Fleißprojekt mit sich bringen kann. Als Betrachtende sehen wir allein den Teppich, der mit naturfarbenen, schwarzen und roten Streifen anzeigt, wann die Künstlerin selbst oder ihre Helfer tätig waren. Ein Logbuch hält die Arbeitszeiten fest, wann die Freunde unterstützten. Der neben dem Teppich über einen Bildschirm laufende Text offenbart allerdings auch die Qual, die Brüche, die Selbstzweifel und die Frustration, die Freude über helfende Freunde, die Enttäuschung über deren unzureichenden Einsatz – und ist mitunter amüsant zu verfolgen. „To be continued“, liest man am Schluss dieser Werkdokumentation. Die ausgefransten Ränder des Teppichs mögen anzeigen, dass es nie um die Fertigstellung eines Teppichs ging, sondern allein um das Nachdenken über gesellschaftliche Regeln, die mit allen Zwängen und sozialen Wirksamkeiten wie auch unter persönlichem Einsatz über eine wochenlange Performance ausgelotet wurden.

Kasia Fudakowski: Working Title: The Worry Wall, 2017 | © Foto: Courtesy the artist and Chert Lüdde, Berlin

Der Arbeitsverweigerung gibt sich die finnische Künstlerin Pilvi Takala hin. Takala, Jg. 1981, die 2022 den finnischen Pavillon auf der Biennale Venedig bespielen wird, bringt als „The Trainee“ in der Marketingabteilung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Kollegen und Kolleginnen durcheinander, indem sie nichts tut. Sie sitzt herum, „just doing brain work“, wie sie auf Nachfrage verlauten lässt, oder fährt stundenlang mit dem Aufzug auf und ab. Die geplante Aktion, die mit dem Vorgesetzten abgesprochen war, erweist sich als Regelstörung, die so gar nicht in das Weltbild der dort Arbeitenden passt: Man beschwert sich per E-Mail über das Nichtstun der neuen Mitarbeiterin.

Pilvi Takala: The Trainee, 2008 | © Foto: Angelika Zinzow / Courtesy the artist and Helsinki Contemporary, Helsinki

Ariane Loze tritt in ihren eigenen Filmen in wechselnden Charakteren auf. Die 1988 geborene Belgierin ist in „Profitability“ (2017) zu sehen, wo sie das Gebaren von Kunden und Dienstleistern auf dem Finanzsektor aufs Korn nimmt. Sie spielt die Vertreterin der fiktiven Videoproduktionsfirma „Ariane Loze International“ in Verhandlung mit Investorinnen, die ebenfalls von ihr darstellt werden. Kaltes Business setzt kreativen Bereichen zu. Ist Kunst überhaupt zu vermarkten? Und was tut Profitstreben ihr an?

Ariane Loze: Profitability, 2017 | © Foto: Angelika Zinzow / Courtesy the artist and Michel Rein Paris/Brussels

Der in Prag lebende Jakub Choma hat sich mit dem Material Kork eine wiedererkennbare Handschrift erworben. Der 1995 geborene Künstler fällt ein bisschen aus dem Künstlerreigen heraus, denn sein Werk will durch Umhergehen eher auf assoziative Weise entdeckt werden. Die Installation mit hohem Bastelcharakter besteht aus Häufchen von braunem Kork auf dem Boden und verschiedenen improvisiert wirkenden Assemblagen. Im Raum hängen Korkwände, auf deren Seiten „Same same but different“ oder „Physical labour“ zu lesen ist. Die an ihnen angebrachten papierenen Fundstücke heben auf eine Gleichzeitigkeit ab, ähnlich dem Nebeneinander eines Instagramaccounts. Allerdings unterscheidet sich die Umsetzung völlig von der Accuratesse der digitalen Plattform, sie wirkt vielmehr wie ein handwerklicher Gegenentwurf – Ausdruck der neuen Manualität in der jüngeren Künstlergeneration.

Jakub Choma: Living the Gimmick, 2018 | © Foto: Angelika Zinzow / Courtesy the artist and Polansky Gallery, Prague

Schlaflosigkeit ist ein weit verbreitetes Problem unter Arbeitsdruck und unter Schichtarbeitenden. Wenn der Biorhythmus aus der Spur gebracht wird, kann dies gesundheitliche Folgen haben. Martin Kohout untersucht in seinem Forschungsprojekt „Night Shifts“ in Zusammenarbeit mit dem Sleep & Circadian Neuroscience Institute, Oxford, wie sich Nachtarbeit auf das soziale Leben und die Gesundheit der Menschen auswirkt. Dazu nutzt er wissenschaftliche Ansätze sowie fiktive Filmdarstellungen, wie in der in der Ausstellung gezeigten Arbeit „Slides“, in der er die Einsamkeit und Orientierungslosigkeit, die sich aus dem verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus ergibt, in eine beeindruckende filmische Umsetzung fasst. Sie erzählt davon, wie es ist, tagsüber schlafen zu müssen, um für die Nachtarbeit fit zu sein. Was man Menschen damit antut, wenn man sie zwingt, den normalen Biorhythmus zu unterlaufen, zeigt Kohout anhand von Interviews, die im Leseraum der Basis zu sehen sind.

Selbstoptimierung, Produktivitätsdrang und -zwang werden in dieser von Christin Müller kuratierten, eigentlich schon im Jahr 2019 geplanten Gruppenausstellung in den Blick genommen. Die noch vor der Pandemie entstandenen vorrangig filmischen und installativen Arbeiten bespiegeln das herrschende Leistungsprinzip, das während Selbstisolierung und Home-Office und angesichts des Klimawandels in der Gesellschaft an Aktualität gewonnen hat. So bleibt das Thema von hoher Aktualität, während wir langsam wieder unser gesellschaftliches Leben aufnehmen. Wenn Ausstellungen dazu führen, das System zu hinterfragen, dann haben sie ein Ziel erreicht. Wenn es dazu sogar Kunstschaffende sind, die sich oft mit Fragen konfrontiert sehen wie „Und kann man davon leben?“, dann ist es höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie wir im lohnabhängigen wie auch solounternehmerischen Produktionsprozess zu einer Selbstbestimmung zurückkehren können.

Es ist nach 23 Uhr. Auf der Website des Künstlers Martin Kohout ist zu lesen: This web is closed now. Opening hours: Mon-Fri 7-23, Sat-Sun 8-24. Er hat recht. Ich beende jetzt diesen Text und gehe schlafen.

Martin Kohout: Slides (film still), 2017 | © Foto: Martin Kohout / EXILE, Wien and Polansky Gallery, Prague

Letzte Änderung: 04.11.2021  |  Erstellt am: 26.10.2021

State of High Performance

mit:
Jakub Choma
Claire Fontaine
Kasia Fudakowski
Martin Kohout
Ariane Loze
Tilvi Takala

BASIS e. V.
Gutleutstraße 8-12
60329 Frankfurt am Main

Dauer der Ausstellung:
2. September – 5. Dezember 2021

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Kommentare

Matthias Schulze-Böing schreibt
Sehr interessant. Guy Debord ist in der Tat mal wieder eine Lektüre wert und die Ausstellung ganz offenkundig einen Besuch. Nur eine kleine Anmerkung zum Intro. Was muss man sich unter einem "neoliberalen Weiter-So" vorstellen? Mit dem Verdikt "neoliberal" wird inzwischen alles belegt, was einem aus irgendeinem Grunde nicht gefällt oder was man für problematisch oder gar gefährlich im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft hält. Ideengeschichtlich ist der Neoliberalismus aber gerade nicht die Lehre vom Segen entfesselter Marktkräfte und ungehemmter kapitalistischer Akkumulation, sondern der Versuch, die Marktkräfte wieder in einen Ordnungsrahmen von Politik und gesellschaftlichen Werten einzubetten ohne die Errungenschaften freier Märkte und einer rechtlich abgesicherten Eigentumsordnung aufzugeben, deshalb "neo" und eben nicht einfach "liberal". Also bitte etwas mehr Umsicht beim Formulieren und etwas Vorsicht bei inhaltsleeren politischen Kampfbegriffen!

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