Vom Flüchtigen und Beständigen

Vom Flüchtigen und Beständigen

Ausstellung: Impressionismus in Skulptur und Plastik

En passant, im Vorbeigehen, hat das Frankfurter Städel Museum seine in die Verlängerung gehende Ausstellung genannt. Im Zentrum stehen dreidimensionale Werke von vor und um 1900 und die Frage, ob der Impressionismus als Stilbegriff auf diese anwendbar ist. Isa Bickmann hat die Ausstellung gesehen und empfiehlt den im Ausstellungskatalog geführten Diskurs zur nachhaltigen Lektüre.

Sie gehört zweifellos zu den berühmtesten Plastiken des 19. Jahrhunderts: Edgar Degas‘ „Kleine 14-jährige Tänzerin“ (1878/9-81). Die postumen Bronzegüsse nach dem sich in Washington befindenden Wachs-Original sind bei Museumsbesuchern in Paris, New York, Kopenhagen oder Dresden ein beliebtes Fotomotiv. Die konzentrierte Haltung in vierter Position, die gestreckten, hinter dem Rücken zusammengeführten Arme (möglicherweise ist sie gerade im Begriff, die Brustmuskulatur zu dehnen), die halbgeschlossenen Augen, die Naturnähe in Gestalt der blassrosafarbenen Seidenschleife im Haar und des Tüllrocks machen sie zu einer Persönlichkeit, zu der sich beim Ausstellungsbesuch eine besondere Nähe finden lässt. Das Städel Museum zelebriert die Leihgabe aus einer Privatsammlung. Nicht nur steht sie an zentraler Stelle in der Ausstellung, auch der Katalog wird von zahlreichen auf transparentem Papier gedruckten Aufnahmen eingeleitet und bildet außerdem das Motiv auf Cover und Rückdeckel ab: im Profil, von schräg seitlich, von hinten. In der zeitgenössischen Rezeption galt Degas’ junge Tänzerin als berühmt und berüchtigt, repräsentierte sie doch das Demi-Monde-Milieu der Ballettsäle und Theater. Ausgehend von Edmond Claris‘ 1902 erschienener Schrift zur impressionistischen Skulptur untersuchen die Kuratoren Alexander Eiling und Eva Mongi-Vollmer in der elegant mit dunklen Wandfarben und Hölzern präsentierten Ausstellung, inwieweit Degas‘ Tänzerin als impressionistische Skulptur gelten kann und zeigen dazu weitere Künstler aus dem zeitlichen Umfeld.

Edgar Degas (1834–1917): „Kleine 14-jährige Tänzerin“, 1878/79–1881 Bronze, H. 98 cm, Europäische Privatsammlung	 | © Foto: Foto: Städel Museum – Horst Ziegenfusz

Der Impressionismus ist beim Publikum populär und daher immer wieder Thema großer Ausstellungen. Wenig Aufmerksamkeit erhielt allerdings bislang die Skulptur jener Zeit. Auch die kunstwissenschaftliche Kategorisierung einer „impressionistischen Skulptur“ war eher verhalten. So hat sich das Städel Museum ein Forschungsdesiderat vorgenommen und plastische Werke der Künstler Edgar Degas, Auguste Rodin, Medardo Rosso, Paolo Troubetzkoy, Rembrandt Bugatti u. a. zusammengetragen. Diese werden in einen Dialog mit Bildwerken und Skulpturen der impressionistischen Epoche gesetzt. Doch zuerst läuft man auf Claude Monets „Le Déjeuner“ (1868-1869) aus dem Städel-Bestand zu. Im ersten Raum dann nur zwei Skulpturen und ein Relief aus Birnbaumholz von Paul Gauguin, „La Toilette“ von 1882, mit der dieser sich an der „8. Gruppenausstellung der Impressionisten“ beteiligt hat. Das im Profil mit ausgestreckten Beinen sitzende nackte Mädchen bürstet sich die Haare in einer Momentaufnahme, die tatsächlich die Grundidee des Impressionismus bedient. Gleichwohl zeigen sich hier bereits Gauguins spätere, dem Symbolismus zugeschriebene Bildkomponenten: ein androgyner Körper in natürlicher Unschuld und Ursprünglichkeit. Dies ist der Einstieg in die Frankfurter Schau, der sicherlich von vornherein die Komplexität der Diskussion referieren möchte und dabei drei der 17 Skulpturen zeigt, die auf den insgesamt acht Impressionisten-Ausstellungen in Paris zu sehen waren.

 Ausstellungsansicht EN PASSANT. Impressionismus in Skulptur | © Foto: Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Wie in der en-passant-Schau werden auch in dem mit 328 Seiten gewichtigen Katalog Edgar Degas (1834-1917) die meisten Seiten reserviert. Die Originalfigur der „Kleinen 14-jährigen Tänzerin“ in Wachs wurde vom Kritiker Jules Claretie 1881 „impressionistische Skulptur“ genannt, was im Frankfurter Katalog ausgiebig diskutiert wird. Ungewöhnlich war sie durch Material und Sujet: Das leicht form- und korrigierbare Wachs ermöglicht die nachträglichen Modellierbarkeit, was man durchaus als impressionistisch charakterisieren kann. Der Bronzeguss hat dieses aufgehoben. Es sind übrigens sage und schreibe 29 ab 1922 postum entstandene Abgüsse bekannt.

Ausstellungsansicht EN PASSANT. Impressionismus in Skulptur | © Foto: Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Eine Skulptur mit Menschenhaar, Seiden- und Leinenbändern, Baumwollmieder, Baumwoll- und Seidentutu und Leinenschuhe zu versehen, war unüblich, gar experimentell, was Degas sehr liebte. Auch sein Zugang zum Material Pastell war experimentell, war er doch ständig auf der Suche nach Fixativen und ließ sogar Pastellfarben in der Sonne bleichen, damit sich ihre Farben auf dem Papier nicht mehr verändern konnten. Die in einem anrüchigen Beruf arbeitende junge Frau in Form einer Skulptur darzustellen, einem Medium, das zum Beispiel Denkmälern vorbehalten war, führte zusammen mit der Materialwahl zu jenem Skandal bei ihrer Präsentation auf der „6. Impressionisten-Ausstellung“ 1881, was Degas zukünftig davon abhalten sollte, Skulpturen in Ausstellungen öffentlich zu zeigen.

Medardo Rosso (1858–1928): „La Portinaia“, 1883/84 Wachs über Gips, 38,5 × 31 × 17,5 cm, Sammlung PCC, Schweiz | © Foto: Foto: Sammlung PCC

Privat, für sich selbst, entstand weiterhin Kleinplastik, Bozzetti-artige Größen, die er wohl bevorzugt zum Figurenstudium nutzte. 70 Originalplastiken Degas‘ haben sich erhalten, zu den Motivreihen Tänzerinnen, Boudoirszenen, Jockeys, Pferde und Badende. Als Nutzen zog er zum Beispiel daraus, mit Hilfe von Kerzen den Schattenwurf zu studieren. In der Ausstellung wird dieses mittels eines weißen Vorhangs und dahinter stehender Figur und Lichtquelle sehr schön veranschaulicht. Im Katalog kann der Bericht seines Freundes Walter Sickert nachgelesen werden: „Ich erinnere mich, als ich das letzte Mal oben im Atelier in der Rue Victor Massé war, da zeigte er mir eine kleine Statuette einer Tänzerin, die er auf einem Modellierbock stehen hatte, und – es war Nacht – hielt eine Kerze hoch und drehte die Statuette, um mir die Abfolge der Schattenbilder zu zeigen, die ihre Silhouette auf dem weißen Bettlaken [Blatt Papier] hinterließ.“ (S. 54).

Bewegung ist das, was man als immanent impressionistisches Moment der Bronzeplastik greifen kann. Die Ausstellung bietet reichlich Gelegenheit, im ruhigen Umherschreiten die wechselnden Lichtreflexionen auf den Bronzen in aller Ruhe genießen zu können. „Bewegungsskulptur“ scheint dafür ein passender Begriff zu sein. Bei Medardo Rosso (1858-1928) ist es der in der Plastik festgehaltene Moment des „sfumato“, die sich auflösende Kontur, die Unschärfe der aus dem Werkmaterial auftauchenden Bildnisse. Der seit 1889 in Paris lebende Italiener goss selbst. Seine „Vergeistigung“ der plastischen Form, um es mit einem Begriff von Carola Giedion-Welcker zu beschreiben, hat allerdings auch in dem nur Angedeuteten der Motive Nähen zum Symbolismus, ähnlich den Werken des Malers Eugène Carriere, der sein Ateliernachbar war. Auch Letzteren bezieht die Ausstellung mit ein.

Auguste Rodin (1840-1917), der dritte berühmte Name in der Schau, vermittelt über die Mehransichtigkeit und die Oberfläche seiner Skulpturen eine fast erzählerische Lebendigkeit. Seine Nähe zum Impressionismus wird ebenfalls diskutiert. Dabei ist es in seinem Fall auch stets eine Frage, wie nah er dem Symbolismus stand. Vielleicht sollte man jeweils lieber vom Trennenden sprechen als vom Einenden, Rodin selbst lehnte jedenfalls eine Einordnung ab. Die Kunstgeschichte sah das anders: Julius Meier-Graefe widmete dem „Impressionismus in der Plastik“ 1904 in seiner „Entwickelungsgeschichte der modernen Kunst“ ein ganzes Kapitel und band Rodin ein, Richard Hamann (1879-1961) eröffnete sein 1907 erschienenes Buch „Der Impressionismus in Leben und Kunst“ mit Auguste Rodin. Vermutlich wirkte aber die an Michelangelo geschulte Methode des Non-finito auf Rodins bildnerische Prozesse, wie bekanntlich in der entsprechenden Literatur seit Joseph Gantner („Rodin und Michelangelo“, Wien 1953) hinreichend untersucht worden ist. Camille Claudel im Übrigen, eine der wenigen Bildhauerinnen jener Zeit, wird leider nur im Kontext Rodins von den Städel-Kuratoren einbezogen.

Das für den Impressionismus so wichtige Malen en plein air wurde tatsächlich auch für die Bildhauerei übernommen wie die Beispiele Leonardo Bistolfi (1859–1933) oder Medardo Rosso zeigen. Einzelne Diskussionen und Vergleiche sind dem schmalen Kapitel zu Paolo Troubetzkoy (1866–1938) nachgeschoben. Hier wird der skizzenhaften Bronzeoberfläche eine Nähe zur zeitgenössischen impressionistischen Malerei bewiesen. Der früh durch Selbsttötung verstorbene Rembrandt Bugatti (1884-1916), ein Meister der Tierplastik, ist auf Fotografien zu sehen, die ihn modellierend im Zoo von Antwerpen zeigen. Er arbeitete en plein air mit dem neuen Werkstoff Plastilin, der sich hervorragend eignete für den „impressionistischen“ Eindruck. Gerade bei Bugattis Skulpturen zeigt sich das Spiel des Lichts auf besondere Weise. Sie können es durchaus mit dem hektischen Pinselstrich eines Giovanni Segantini aufnehmen, wie die sinnvollen Vergleichsbeispiele belegen.

Das an verschiedenen Stellen des Katalogs zu findende Baudelaire-Zitat aus dessen Salon-Kritik von 1846, in der die Malerei gegen die Skulptur gestellt wird (was freilich Ausdruck der Paragone-Debatten im 19. Jahrhundert war) und letzterer Unbestimmtheit und Unangreifbarkeit aufgrund ihrer Vielansichtigkeit vorgeworfen wird, besagt, dass die Malerei da eindeutiger sei, was ihren Ausdruck stärker mache. Dies ist der Bezugspunkt der oben erwähnten Claris-Publikation von 1902 und tritt daher wohl in dieser Redundanz auf. Mehr Raum und größere Abbildungen aus der Zeit hätte man sich dagegen bei den Kapiteln zur zeitgenössischen Inszenierung durch die Künstler und das wichtige Thema der Skulpturenfotografie von Nina Schallenberg bzw. Juliane Betz und Dietmar Rübel gewünscht. Das sind alles Kernfragen, die später z. B. bei Brancusi oder Picasso eine wichtige Rolle spielen werden. Abschließend widmet sich Astrid Reuter mit einem Katalogbeitrag dem Dialog von Skulptur und Druckgraphik.

Es offenbart sich in den letzten Kapiteln, wie deutlich manches in die Zukunft der Kunstgeschichte weist, wie sich Fragen der Bildhauerei der Phase des Impressionismus fortsetzten und wie im Zeichen des Flüchtigen und Beständigen angelegte Motive fortwirkten.

Letzte Änderung: 07.08.2021

Alexander Eiling (Hrsg.), Eva Mongi-Vollmer (Hrsg.): en passant - Impressionismus in Skulptur
divider

Hat dir der Beitrag gefallen? Teile ihn mit deinen Freunden:

Kommentare

Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.

Kommentar eintragen