Laute Malerei

Laute Malerei

Laura Langer stellt im Portikus aus
Plakat der Ausstellung

Malerei weist heutzutage oftmals über das Rechteck der Leinwand hinaus und wird konzeptuell in eine übergreifende Idee verpackt. Die erste institutionelle Einzelausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Laura Langer zeigt sich in einer ortsspezifischen Installation, die BesucherInnen bis ins normalerweise nicht zugängliche Dachgeschoss des Frankfurter Portikus führt. Isa Bickmann ist hinaufgeklettert.

Gewiss ist das keine visuelle Überforderung, denn es hängt nur ein einziges Bild im Ausstellungsraum des Portikus. Laura Langer hat das Schallstück einer Trompete gemalt. Wie das goldglänzende Objekt den Besuchern „entgegentönt“, geht von ihm eine starke suggestive Wirkung aus, die sich nicht allein über Farben und Formen vermittelt, denn Malerei kann weitere Sinne ansprechen, in diesem Fall sogar einen Trompetenstoß imaginieren lassen.

Die gekonnt hyperrealistisch auf Papier über Leinwand gemalte Trompete spiegelt in Verzerrung einen Raum, doch offensichtlich ist nicht der Raum dargestellt, in dem man sich gerade befindet. Langer, die mit dieser Ausstellung in Frankfurt ein Heimspiel hat – sie studierte bei Michael Krebber und Josef Strau an der Städelschule, der ja der Portikus angeschlossen ist – knüpft an die lange Tradition der Darstellung von Spiegelungen in der Malerei an. Diese galten von jeher als Ausdruck der Meisterschaft beispielsweise in der Arnolfini-Hochzeit des Jan van Eyck oder haben zu kunsthistorischem Rätselraten Anlass gegeben wie bei Velázquez‘ Las Meninas.

Das Gemälde „Trumpet“ mit den stattlichen Maßen von 3 mal 4 Metern hat Langer mit ein wenig Abstand vor das Fenster des Raumes platziert, so dass dieses verdeckt wird, man aber hinter das Bild treten und aus dem Fenster auf den Bewuchs und die Nilgänse der Maininsel sehen kann. Scheint die Sonne, wird die Leinwand transparent, lässt die Stützleisten des Keilrahmens durchscheinen – womit sich die Scheinrealität der Malerei von selbst erledigt. Die Künstlerin zerstört zugleich die Illusion, die sie mit großer malerischer Geschicklichkeit vorgibt.

 Installation von Laura Langer in der Ausstellung „Liberty“ 15.02.-12.04.2020, Portikus, Frankfurt/Main, Courtesy: die Künstlerin und Weiss Falk, Basel | © Foto: Fotos: Diana Pfammatter

Die Ausstellung setzt sich im normalerweise nicht zugänglichen Dachgeschoss fort. Zuvor muss man zur Empore im ersten Stock steigen, von wo man noch einmal die Trompete aus erhöhter Perspektive betrachten kann. Dann geht es über eine sehr schmale, steile Treppe nach oben. Und hier dreht Langer den ikonoklastischen Impuls dem eigenen Werk gegenüber weiter: Eine serielle Reihung von sechs auf Leinwand aufgezogenen Fotodrucken, die mit dünner Farbe in Orange überschüttet wurden, hat die Künstlerin vertikal installiert, so dass man den Kopf zur Seite legen muss, um sie betrachten zu können. Dargestellt ist jeweils der gleiche Blick auf ein sehr unaufgeräumtes Zimmer. Da liegt allerlei Wäsche auf einem Bett und auf dem Fußboden, aus einem Koffer quillt Kleidung. Es sind – ebenfalls in Orange – die Worte „Und Ihr?“ zu lesen. Ist hier das Zimmer zu sehen, das sich unten in der Trompete spiegelte? Die Frage, ob die Farbe Orange eine Reminiszenz an die von weitem durch die nördlichen Dachfenster des Portikus sichtbare (und zurzeit in Restaurierung befindliche) Lichtinstallation von Ólafur Elíasson sei, verneint Laura Langer und verweist auf die Bedeutung von Orange als Signalfarbe, die hier das Appellierende verstärken soll.

 Installation von Laura Langer in der Ausstellung „Liberty“ 15.02.-12.04.2020, Portikus, Frankfurt/Main, Courtesy: die Künstlerin und Weiss Falk, Basel | © Foto: Fotos: Diana Pfammatter

„Liberty“, so lautet der Titel, den die 1986 in Buenos Aires geborene und heute in Berlin lebende Künstlerin ihrer Präsentation im Portikus gibt. Sie beziehe sich damit auf „Grenzen, deren Auswirkungen und das Verlangen darüber hinaus“ steht im Infoblatt des Portikus. Das „Und Ihr?“, so erklärt Langer, bezog sie von einem österreichischen Propagandaplakat aus dem ersten Weltkrieg, das einst mit dieser direkten Ansprache ein Gefühl der Schuld bei den Menschen auslösen sollte. Der Appell des „Und Ihr?“ vermischt sich mit dem imaginierten und ebenfalls dem Militärischen zuordnenbaren Trompetenstoß im Untergeschoss.

Nimmt man die Trompete als Mund wahr, dann würde das Dachgeschoss zu einer Art Gehirn, als habe der in den Social Media beliebte Hashtag „I see faces“ in den Kunstraum Einzug gehalten. Das gesamte Ausstellungsgebäude verwandelt sich zu einer Art Resonanzkörper von Fragen nach Schuld und Zwängen, denen man sich ausgesetzt sieht: Müsste ich aufräumen und wenn ich dies nicht tue, muss ich mich dafür schämen oder ist das o.k.? Wo setzt Freiheit ein und wo endet sie? Wieviel Chaos (in meinem Kopf) kann ich zulassen, ohne dass es mir schadet?

Mike Bouchet und Paul McCarthy hatten 2014 im Dachgeschoss des Portikus ein ziemliches Durcheinander inszeniert, was Langer während ihres Studiums an der Städelschule gesehen haben muss. Aber im Gegensatz zu jener konsumkritisch-rabaukenhaften Inbesitznahme des Ausstellungshauses, die damals auch vor der Außenhaut des Gebäudes nicht Halt machte, unterwerfen sich Langers minimale Raumeingriffe in ihrer appellierenden Kraft einer konzeptuell konstruierten Gesamtidee. Über die ortspezifisch geschaffenen Werke und damit über die dabei aufgeworfenen, vielleicht etwas zu großen existenziellen Fragen hinausgehend ist das jedoch zuerst einmal Malerei.

Letzte Änderung: 07.08.2021

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