Kunst mit politischem Antrieb

Kunst mit politischem Antrieb

Ausstellung in Frankfurt

Der Titel „Power to the People“ impliziert es bereits: Eine Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt konzentriert sich auf politische Kunst in Zeiten, in denen die Demokratie sich als zerbrechlich zeigt und aktives Engagement nötiger denn je scheint. Im Ganzen ist das eine recht sehenswerte, wenn auch überraschend leise Ausstellung, findet Isa Bickmann.

Erleben wir gerade tatsächlich eine „Welle“ politisch motivierter Kunst? Stehen Künstler und Künstlerinnen „unter Druck“, „Einspruch zu erheben“, wie die ausstellungsbegleitenden Texte vermelden? Man mag das angesichts der heutigen Vorrangstellung marktstrategisch eingesetzter künstlerischer Arbeiten gar nicht glauben! Werden Kunstwerke dagegen derart konzentriert auf politische Inhalte in einer Ausstellung versammelt, wie die Frankfurter Schirn es vorführt, fragt man sich aber doch, ob die Kunst nicht gerade jetzt, wo wir in der vielgenannten „Postdemokratie“ leben, politischer werden sollte. Das uferlose Thema macht es indes nicht einfach, eine konsistente Präsentation zusammenzustellen. Der Kunsthalle ist dies mit 34 Werken in großen Teilen gelungen, allerdings – und aus gutem Grund – dominieren künstlerische Arbeiten mit Bezug zur US-amerikanischen und türkischen Situation.

Marinella Senatore, Protest Bike, 2018, Installationsansicht „Power to the People. Politische Kunst jetzt“ | © Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt 2018, Foto: Norbert Miguletz

Ermüdete Demokratie

Bereits auf der Straße betritt man die Ausstellung, wenn auch in einem vergleichsweise geschützten Bereich in der Rotunde der Kunsthalle, den jedoch Hinweisschilder gegen den Zugriff einer Öffentlichkeit schützen. Somit präsentieren sich die botschaftslosen 100 Banner der Installation von Phyllida Barlow in einer reinen Betrachter-Kunstwerk-Konfrontation. Ein Durchschreiten der Rotunde ist nicht mehr möglich. Achselzuckend umrundet man die Installation, ganz so wie man die inzwischen in Fülle versendeten Aufforderungen in den digitalen Netzwerken, sich einer Petition oder einem Protest anzuschließen, wegklickt. Ist Protest tatsächlich beliebig geworden? Wie gehen wir überhaupt mit dieser Überforderung um? Ist das „Liken“ eine käufliche oder gar manipulierende Sympathiebekundung in der digitalen Welt, wie Mark Flood sie mit „5000 Likes“, 30 × 40 cm großen Tafeln, auf die er das Wort „Like“ gesprüht hat, in den analogen Ausstellungsraum überführt?

Edgar Leciejewski, A Circle Full of Ecstasy, 2016, Installationsansicht „Power to the People. Politische Kunst jetzt“ | © Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt 2018, Foto: Norbert Miguletz

Händeschütteln hat starken Symbolcharakter in der Politik. Tobias Donat reduziert es zu einem Muster, das als Folie auf einen Leuchtkasten appliziert wird. Ein Symbol wird zum Ornament und birgt eine Beliebigkeit in sich. Damit sind wir wieder beim Thema Ermüdung angesichts des inflationären Gebrauchs derartiger Symbole. Mit der Fotoserie „A Circle Full of Ecstasy“, die er aus den Medien generiert hat, zeigt Edgar Leciejewski Porträts von Staatsmännern und -frauen, Königinnen, Diktatoren und dem Papst jeweils mit der rechten Hand winkend. Deren Publikum ist nicht im Bild. Die winkende Hand bleibt eine Geste, die angesichts der politischen Rolle des jeweiligen Akteurs seltsam bizarr wirkt und sich in der Vielheit zu einem skurrilen Tanz formiert, zu einem Muster, das den roten Faden zu Donats Arbeit spannt.

Die eigentlichen Ausstellungsräume im Obergeschoss empfangen mit dem bereits im Jahre 2000 entstanden „Wahlkabinenmuseum“ von Guillaume Bijl. Die nach Fotografien rekonstruierten Kabinen aus den Ländern Finnland, Aserbaidschan, Österreich, China u. a. erzählen von Wahlpflicht und Wahlfreiheit. Der Raum mit den feierlich museal angestrahlten Objekten entfaltet seine Wirkkraft angesichts der vielerorts umhergehenden Wahlmüdigkeit, wie sie nicht nur bei uns, sondern jüngst bei den Kommunalwahlen in Tunesien, dem Vorreiter des „arabischen Frühlings“, zu beobachten war. Die aufgrund des Wahlvorgangs mit Tinte befleckten Finger in Osman Bozkurs Fotoserie sind nicht nur Zeichen des wahrgenommen Wahlrechts oder der -pflicht, sondern tragen damit Markierungen, die auch Rückschlüsse auf den Wähler zulassen. Sinnigerweise stammen diese Zeichen von der Wahl 2002, mit der Recep Erdoğan seine Machtfülle stärken konnte.

In den USA haben wir zwei historische, die Demokratie und Pressefreiheit belastende Einschnitte: Nine Eleven und Trumps Wahl. Omer Fast fokussiert seinen Blick auf die Presse, die unter dem Druck von Klickzahlen und Einschaltquoten agiert. Seine Arbeit, die rund um den 11. September 2001 entstand, zeigt Mitschnitte aus Nachrichtensendungen des von Trump gehassten Senders CNN. Hier wird noch einmal deutlich, dass Wachsamkeit gegenüber falschen Fakten und mangelhafter Recherche geübt werden muss.

Während Jonathan Monk mit einer Weltkarte der „Gay Pride Flags“ lediglich die Frage aufkommen lässt, ob im jeweiligen Land jemand befürchten muss, aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt oder gar getötet zu werden, aber dies nicht visuell beantwortet oder gar emotional vermittelt, geht ein Filmbeitrag von Hiwa K unter die Haut. Der Künstler der vielbesuchten Aushängeschilds der documenta 14, den Röhren aus Beton vor dem Fridericianum, filmte eine Performance auf einer Demonstration im irakischen Kurdengebiet. Der Titel „This Lemon Tastes of Apple“ verweist auf Zitronen, die Protestierer gegen Tränengasbeschuss nutzen, und auf Äpfel, nach denen das von Saddam Husseins gegen die Kurden eingesetzte Giftgas perfiderweise gerochen haben soll. Zum Protest gehört präzise Vorbereitung: Das zeigt Nasan Tur. Auf sechs Kanälen ist ein Mann mit schweißbedeckter Haut im Halbdunkel zu beobachten, der sich auf irgendetwas vorbereitet. Auf was, wird nicht verraten. Seine Handlungen wirken subversiv, autonom, heimlich oder gar illegal, entschlossen und routiniert.

Osman Bozkurt, Marks of Democracy / Portraits of the Voters, 2002, Zehn C-Prints, je 60 × 40 cm, Deutsche Bank Collection | © Foto: the artist

Künstler und Aktivisten

Julius von Bismarcks anarchischer Eingriff in das Fotografieren durch heimliches Einfügen von der Veranstaltung widersprechender Motive – wie z.B. in Kooperation mit Santiago Sierra bei einem Spanienbesuch Papst Benedikts XVI das eingefügte riesige „NO“ – ist ein direkter aktivistischer Eingriff, der gleichzeitig von der Manipulierbarkeit der Bilder erzählt. Rirkrit Tiravanija dagegen lässt die Besucher mit kostenlos zu entnehmenden T-Shirts protestieren, auf die „Freedom can not be simulated“ gedruckt ist, ein Zitat des polnischen Dichters Jerzy Lec, während er an der Wand mit chinesischen Tageszeiten der Tage der sogenannten Regenschirmrevolution in Hongkong das Zitat wiederholt. Gegen Ende der Ausstellung sind allerdings bereits alle T-Shirts verschwunden, zurück bleibt ein Würfel aus Spiegelflächen, dessen Sinn sich nicht erschließt. Marinella Senatore stellt ein „Protest Bike“ zur Verfügung, das man nutzen könnte. Nicht wohl ist ihr dabei, dass es auch von reaktionären, rechten Protestierern missbraucht werden könnte, wie sie im Interview zugibt. Demokratie heißt, auch Proteste zuzulassen, die eben nicht politisch genehm sind.

Andrea Bowers, Radical Feminist Pirate Ship Tree Sitting Platform, 2013, Installationsansicht „Power to the People. Politische Kunst jetzt“ | © Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt 2018, Foto: Norbert Miguletz

Katie Holten ist zugleich Aktivistin und Künstlerin. Mit „She persisted …“, porträtiert sie in feinen Zeichnungen Frauen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts von Angela Davis bis Chelsea Manning, um sich selbst (und uns!) Mut zu machen. Auch Andrea Bowers ist ebenfalls Aktivistin und Künstlerin. Ein Piratenschiff als Plattform gegen Baumrodungen verdeutlicht ihren Ökofeminismus. Es sind doch häufig zuerst die Künstler und Künstlerinnen, die uns auf Missstände aufmerksam machen, wie die Gruppe Forensic Archtecture, die Tatorte rekonstruieren. In der Ausstellung wird der durch einen israelischen Soldaten verursachte Todesfall eines palästinensischen Protestierers dokumentiert. Das in Deutschland aktionistisch und offensiv medial auftretende Zentrum für Politische Schönheit wurde indes nicht zur Ausstellung eingeladen. Die Schirn zeigt eher die leiseren, subtileren Äußerungen in der Kunst.

Während die Ausstellung demokratische Prozesse in den Mittelpunkt stellt, hätte man freilich auch erwarten können, dass die Künstler und Künstlerinnen die Produktionsbedingungen und den Kunstbetrieb selbst, der in großen Teilen neoliberal, antisozial und spaltend auftritt, einer kritischen Reflexion unterziehen. Jens Ullrich, der „nie besonderes Interesse am Big Business des Kunstmarkts“ hatte und seine Bilder „als Drucke direkt auf die Wand plakatiert“ ist der einzige Künstler der Ausstellung bei dem das ansatzweise anklingt. Seine E-Mail an die Kuratorin ist in der ausstellungsbegleitenden Publikation abgedruckt. Diese ist als Zeitung erschienen, wie das Plakat ein Medium des Politischen. Das ist folgerichtig, aber keineswegs eine neue Idee. Man kann es jedoch auch als Bekenntnis zu diesem Medium verstehen – und zur Pressefreiheit generell.

Letzte Änderung: 07.08.2021

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