»Ich muss drei Mal besser sein als jeder Mann!«
Als erste Frau wurde Elisabeth von Knobelsdorff zur Diplomprüfung im Fach Architektur zugelassen. Das war im Jahre 1911. Was hat sich seitdem getan? Eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum zeigt, wie Frauen den Architekturberuf eroberten und welchen Schwierigkeiten sie sich zu stellen hatten. Isa Bickmann sieht in Schau und begleitender Publikation einen wichtigen Beitrag, auf die bis heute fehlende Sichtbarkeit von Architektinnen aufmerksam zu machen.
Man stelle sich eine Frau um 1910 vor, eng verschnürt im Korsett, in einem langen, ausholende Schritte behindernden Rock, auf dem Kopf eine Hochsteckfrisur mit Hut darauf, die auf einer Leiter in schwindelerregender Höhe im Rohbau steht, in einer Zeit also, wo Schwäche, insbesondere der Ohnmachtsanfall, als typisch weiblich galten. Behindernde Kleidung unterstützte dies. In dieser Zeit erschienen Frauen auf der Bildfläche, die sich über alle Beschränkungen hinwegsetzten, in bequeme Reformkleidung schlüpften und bislang Männern vorbehaltene Berufe ausüben wollten. Auch im Fall der Architektur war dieser Weg keineswegs leicht. Allein unter Männern wurde es für Frauen schwer, die vom sozialen Umfeld verlangte Sittsamkeit zu wahren, hinzu kamen gegen sie vorgebrachte Vorurteile, sie könnten kein Budget verwalten und keine Arbeiter überwachen. Als sie dann endlich an den Hochschulen zugelassen wurden, entpuppte sich das Studium oft als ein einziger Spießrutenlauf. Heute ist die Hälfte aller Studierenden der Architektur weiblichen Geschlechts, ihre Sichtbarkeit im Architekturberuf ist allerdings nach wie vor dieser Zahl nicht angemessen. „Nur die wenigsten schaffen den Sprung in die erste Reihe – bei der Gründung von Büros oder der Besetzung einflussreicher Stellen ist Architektur immer noch Männersache.“, schreiben die HerausgeberInnen im Katalogvorwort (S. 11). Wenn man einmal von Zaha Hadid absieht, die sich stets dagegen wehrte, ihr Werk in die Frauen-Schublade stecken zu lassen, sich als Architekt, nicht als Architektin verstand, ist das tatsächlich immer noch so. Wie so oft, benötigt die Architektin jemanden, einen Auftraggeber, oft ein Mann, der an ihre Arbeit glaubt. Hadid hatte dieses Glück und wurde mit dem Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein berühmt.
Männlich auftreten
Es gilt also, mit einer Ausstellung ein Factum zu würdigen, das besagt, der Architekturberuf ist (auch) weiblich und hat seit 1911 – in diesem Jahr wurde Elisabeth von Knobelsdorff als erste Frau zur Diplomprüfung an der TH Berlin-Charlottenburg zugelassen – viele herausragende Architektinnen hervorgebracht. Es sind Fragen von Interesse, wie weit sich Frauen für den Beruf an die Männerwelt anpassen mussten, was sie dazu in Kauf nehmen wollten und wie sie um Anerkennung zu streiten hatten. „Ich musste einfach männlich auftreten“, sagt die Frankfurter Architektin Marie-Theres Deutsch (*1955). „Ich muss drei Mal besser sein als jeder Mann.“ Die einzige weibliche Mitarbeiterin des Frankfurter Hochbauamts um Ernst May, Grete Schütte-Lihotzky (1997-2000), zeigte sich mit Bubikopf, Hemd und Krawatte als sog. Garçonne. Innenarchitektur wurde damals weitaus mehr als weibliches Betätigungsfeld akzeptiert, so ist auch Schütte-Lihotzky mit der „Frankfurter Küche“ (1926) berühmt geworden und nicht mit ihren baulichen Entwürfen. „Ich hatte mit Küche und Kochen nichts am Hut. Aber die Männer um mich herum haben mich halt zu dieser Aufgabe gedrängt.“(Kat. S. 126)
Lebenswirklichkeit
22 Architektinnenviten werden in der Frankfurter Ausstellung exemplarisch vorgestellt, darunter drei Frauen einer Generation: Therese Mogger (1875-1956), Elisabeth von Knobelsdorff (1877-1959) und Emilie Winkelmann (1875-1951). Letzterer war kein Hochschulabschluss genehmigt worden, sie eröffnete jedoch 1907 in Berlin ein Büro – der Beruf war damals noch nicht geschützt – und führte Aufträge aus. Die nachhaltige Fortentwicklung des Bewährten war ihr Gestaltungsmerkmal. Die zeitgleiche Frauenbewegung beförderte die Netzwerkbildung. 1912 gab es die erste Schau von Architektinnen. Therese Mogger wurde 1919 als erste Frau im BDA (Bund Deutscher Architekten) aufgenommen.
Mit Lilly Reich und Marlene Poelzig werden zwei Frauen gewürdigt, die mit ihren berühmteren Partnern etwas „Drittes“, wie Renate Berger es nannte, bildeten, jene kreative Kraft, die im Miteinander entsteht und in der sich die Handschrift des einzelnen auflöst. Reich war die erste Frau im Vorstand des Deutschen Werkbundes (1920). Poelzigs „prägende Beteiligung“ wird von Sybille Ehringhaus in einem Katalogbeitrag herausgehoben. Dort ist ein Foto des Richtfestes des von ihr entworfenen Hauses Poelzig in Berlin reproduziert, aus dem jemand, der ihre Leistung wohl nicht wahrhaben wollte, Marlene Poelzig herausgeschnitten hatte.
100 Architektinnen kamen im Holocaust ums Leben (Kat. S. 29). Mit Lotte Cohn (1893-1983) findet eine schon in den zwanziger Jahren nach Israel ausgewanderte Architektin Beachtung. Sie brachte modernistische Strömungen in den Nahen Osten. Jüdische Architektinnen, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht mehr arbeiten durften, hatten es in Israel leichter, wurden bekannter, was dort die Berufsfindung junger Frauen deutlich beförderte. Wo weibliche Vorbilder sind, verändern sich die Geschlechteranteile eines Berufes. Der Frauenanteil unter den Architektinnen der DDR war übrigens 1989 ungleich größer als im Westen: 25 zu 10 Prozent.
In die Frankfurter Ausstellung eingebunden und keineswegs ignoriert, wird die stramme Nationalsozialistin Gerdy Troost (1904-2003), die zwar keinen offiziellen Posten im Hitler-Regime einnahm, doch aus der Zusammenarbeit mit ihrem 1934 verstorbenen Mann soviel Kenntnisse erworben hatte, dass Hitler – in Panik, dass seine vielgestaltigen Projekte nun nicht verwirklicht werden konnten – sie, die nun die Führung des Büros übernahm, mit dem Bau des Hauses der Deutschen Kunst in München sowie mit zahlreichen Entwürfen und der Innengestaltung im Berghof auf dem Obersalzberg betraute.
In den achtziger Jahren hatte Heinrich Klotz den Nachlass von Lucy Hillebrand (1906-1997) als erste Frau ins DAM aufgenommen. Hillebrand ist bekannt für ihre Schulbauten, die sich vom althergebrachten kasernenartigen Typus lösten und so etwas wie Geborgenheit vermitteln sollten. 2004 wurde der Nachlass einer zweiten Frau eingegliedert: Verena Dietrich (1941-2004) trat auch als Kämpferin für die Sache der Frauen auf. 2006/2007 zeigte das DAM die Ausstellung „Verena Dietrich. Eine Architektin“. Doch nach wie vor sind Einzelausstellungen von Architektinnen höchst selten.
Sigrid Kressmann-Zschach (1929-1990) „vereint fast alle Zumutungen auf sich, die eine Frau in jenen Jahren bündeln konnte“, schreibt Sabine Weissler im Katalog. Sie war Bauunternehmerin und Architektin in West-Berlin. Durch ihre Geschäftsstrategien und die mediale Darstellung ihres Erfolgs als Folge ihrer Wirkung auf Männer zog sie Neid auf sich. Sie verlor dann aufgrund verschiedener eigen- und fremdverschuldeter Umstände jegliche Reputation.
Der Reigen endet mit heute aktiven Architektinnen wie Gesine Weinmiller (*1963) oder Almut Grüntuch-Ernst (*1966). Ändert es den Blick auf Leistungen der Letzteren, wenn man weiß, dass sie fünffache Mutter ist? Dass aber die Großeltern stets Unterstützung gaben?
Der Frauenanteil freischaffender Architektinnen liegt immer noch nur bei 22 Prozent. Die meisten arbeiten in Partnerschaft mit einem Mann, was sie oft in seinem Schatten verschwinden lässt. Mutterschaft verschärft die Situation, da sie durch ihre Arbeit oft über den normalen Zeitrahmen beansprucht werden. Von der Lohnlücke und dem leidigen Teilzeitthema mag man gar nicht mehr sprechen. Da ist der Architekturberuf nicht ungewöhnlicher als andere Berufe. Von den fünfzig Prozent Studienanfängern bleiben über die Zeit des Studiums, den Abschluss, Praktika und erste Schritte im Berufsleben immer mehr Frauen auf der Strecke. Man spricht hier von der „leaky pipeline“, die in einem Katalogbeitrag im Falle Flanderns ausführlicher dargestellt wird.
Das Aufzeigen der das Fortkommen behindernden Faktoren, wie fehlende Solidarität unter Frauen, das System des Stararchitektentums oder mangelnde Sicherheit in der Selbstdarstellung scheint bei der Ursachenforschung ausschlaggebend: „Die Kerle treten sicherer auf und sie versuchen energischer, Aufträge zu bekommen.“ So Gesine Weinmiller (Kat. S. 256). Das Begleitbuch verhandelt auch die Frage mit Ernsthaftigkeit, die einem immer die Augenbrauen hochschnellen lässt: Gibt es eine spezifisch weibliche Architektur? Und es verneint diese – nach Inaugenscheinnahme der zahlreichen Pläne und Modelle erübrigt sie sich ohnehin.
Forschung
Einmal mehr erweist sich die Arbeit des DAM als auf mehreren Rezeptionsebenen ergiebig: Das Thema wird über Fotomaterial, Modelle, Texte und Dokumente vermittelt. Eine Hörstation zeigt interviews, die man allerdings, das sei hier angemerkt, besser mit Soundduschen oder Kopfhörern gelöst hätte. In einer textlastigen Ausstellung stört das permanent gesprochene Wort doch sehr. Tiefere Einblicke bietet der begleitende Katalog, der nicht nur den aktuellen Forschungsstand einbindet, sondern auch themenübergreifende Aufsätze anbietet. Neben neuester Forschung z. B. der amerikanischen Architekturhistorikerin Despina Statigakos gibt es immer wieder Hinweise auf Forschungsdesiderate wie im Fall der begabten und umtriebigen Architektin Wera Meyer-Waldeck (1906-1964). Der Katalog schließt mit einem Aufruf der New Yorker Architektin und Professorin Lori Brown zu organisiertem Aktivismus, in dem sie Projekte wie die Blogging-Plattform „Feminist Wall of Shame“ oder #WikiD nennt. Letzteres soll so lange bestehen, „bis in Wikipedia die Parität der Geschlechter erreicht ist“. Vielleicht erleben wir das ja noch.
Letzte Änderung: 07.08.2021
Kommentare
Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.