Gewebte Geschichte

Gewebte Geschichte

Beate Passows „Fight Club“ im Diözesanmuseum Freising
Die schwarze Botin | © Diözesanmuseum Freising

Der 68 Meter lange Wandteppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert, auf dem die Eroberung Englands vom Angriff des Normannen Wilhelm bis zur Battle of Hastings dargestellt wird, ist wohl die bekannteste Tapisserie. Dieser hochmittelalterlichen und aufwändigen Bildwirkerei, die sich über ihre Blütezeit in der Renaissance hinaus über die barocke Gobelinstickerei und bis heute weiterentwickelte, hat die Künstlerin Beate Passow eine ganz eigenständige Ausformung gegeben. Ihre Ausstellung in Freising hat Barbara Englert besucht.

Der Ort ist so weiß, so hell, dass es fast blendet, die Höhe und Größe beinahe überwältigend. 1870 wurde der Bau im klassizistischen Stil als Knabenseminar zur Förderung des Nachwuchses an Priesteramtskandidaten errichtet.
Über Jahrhunderte ein Ort, zu dem Frauen keinen Zugang hatten.

Jetzt sind sie da. Beate Passows großformatige 9 Tapisserien hängen rahmenlos in dem Umgang des oberen Lichthofs. Fast geht man hinein in die gewebten Bilder, folgt dem Faden, um mit ihm zu verschwinden und gleich wieder aufzutauchen. Ein Jahrhundert geht man zurück zu den Frauen, die Jahre lang um ihr Wahlrecht kämpften, das sie schließlich 1919 erlangten, zu diesen Frauen montiert Beate Passow, die Frauen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in Amerika, die ihr Recht zu wählen erst 1965 bekommen. Zusammengewebt, der lange Kampf um Mitbestimmung.

Hat man sich herausgewunden aus der Dreidimensionalität des Bildes, trifft man auf die Schwarze Botin, die anarchistische feministische Zeitung, erschienen von 1976 bis 1987. Das Titelblatt der Ausgabe, die hier in Baumwolle und Kunstfaser gewebt ist, zeigt ein imposantes Nashorn, an das sich der Tod sehr nachdenklich anlehnt. Hier webt Beate Passow das Porträt von Gabriele Goettle hinein und man erinnert sich an Goettles „Reisen in einen unbekannten Alltag.“

o. T. | © Foto: Diözesanmuseum FreisingPaschmerga | © Foto: Diözesanmuseum Freising

Über den Lichthof hinweg fällt der Blick auf die Soldatin der weiblichen Peschmerga mit Maschinengewehr. Die Kämpferin der kurdischen Einheit übt für ihren Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“. Ihr Blick ist so konzentriert und gleichzeitig panisch in die Ferne gerichtet, dass man sich umdrehen möchte, um zu wissen, was sie sieht. Beate Passow hat die eigentliche Bedrohung, für sie nicht sichtbar, ins Bild gewoben. Das unsichtbar werden und der Verlust der eigenen Identität durch Vollverschleierung.

Es fällt schwer sich herauszuwinden und zur nächsten gewobenen Geschichte zu gehen. Aber da stehen sie, die schwarzen Bildschirme auf antiken Säulen, mit den Namen der ermordeten Journalistinnen in weißen Lettern und drei noch ohne Namen, sind sie erloschen, hat der Bildschirm aufgegeben oder sind sie noch nicht geschrieben? Dieses gewobene Grab hat viele Namen, die nicht für die Betrachter:Innen zu sehen und doch in der Stofflichkeit vorhanden sind.

Investigative Journalistinnen | © Foto: Diözesanmuseum FreisingMetoo | © Foto: Diözesanmuseum

Passows Tapisserien sind meist schwarz weiß, nur bei „# Me Too“ sind die auf den Kopf montierten Gehirne in pink. Auch bei dem Bild „Maria 2.0“ bringt es Leben in den Petersdom, wie sie die Frauen, mit pinken Luftballonkreuzen in die militärisch aufgereihten männlichen Kleriker hineinwirkt.

Maria 2.0 | © Foto: Diözesanmuseum Freising

Beate Passow hat durch ihre Tapisserien 150 Jahre Emanzipation humorvoll und bewegend durchwebt und man vergisst die Zeit beim Eintauchen in diese Geschichten. Auch ist der Versuch, hinter die Webereien zu schauen, sehr verlockend.
 
 
 
 

Die Ausstellung „Fight Club” ist noch bis zum 10. September im Diözesanmuseum in Freising zu sehen.

Am 10. 09. 23 um 15 Uhr:
Künstlerin Beate Passow im Gespräch mit Prof. Dr. Marc-Aeilko Aris
Ausstellungsrundgang im Anschluss!
Zur Ausstellung gibt es einen Katalog in deutscher und englischer Sprache.

Letzte Änderung: 25.08.2023  |  Erstellt am: 25.08.2023

Feme | © Foto: Diözesanmuseum Freising

Die in Stadtoldendorf, Niedersachsen, geborene Beate Passow ist Absolventin der Akademie der Bildenden Künste in München. Sie wurde ausgezeichnet mit dem Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung, dem Gabriele-Münter-Preis u.v.m. Ihre Projekte werden international in Museen und Kunstzentren, u.a in Tel Aviv, Wien und Paris gezeigt. Die Künstlerin lebt in München.

Website der Künstlerin

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