Ein Hoch auf das vergleichende Sehen!
Nach Vincent van Gogh rückt das Städel Museum nun Rembrandts Karriere in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Dieser erlebte in Amsterdam zwischen 1630 und 1655 den Aufstieg zu einem erfolgreichen Künstler. Isa Bickmann erfreut sich an der Präsentation, die es ermöglicht, Werke Rembrandts und seiner Zeitgenossen vergleichend zu studieren.
„Über die Bilder von Frans Hals kann man sprechen – der bleibt immer auf der Erde –, Rembrandt aber geht so tief ins Mysterium, dass er Dinge sagt, für die es in keiner Sprache Worte gibt.“, schrieb Vincent van Gogh über den von ihm verehrten Rembrandt. (Brief 534) Aus heutiger Sicht sind beide, die man bei ihren Vornamen Vincent und Rembrandt nennt, so genannte Blockbuster, die den sie ausstellenden Institutionen hohe Besucherzahlen versprechen. Die Schau im Städel Museum kam auf Initiative von Stephanie Dickey und in Zusammenarbeit mit der National Gallery of Canada in Ottawa zustande, wo sie von Juli bis September 2021 zu sehen war. Das Städel selbst hatte 2003 die bis dahin für das Haus kostspieligste Ausstellung „Rembrandt Rembrandt“ gezeigt. Jene war eher retrospektiv angelegt und umfasste alle Werkphasen. Achtzehn Jahre später konzentriert sich die Präsentation auf die Amsterdamer Jahre zwischen 1630 und 1655, in denen Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606–1669) seinen Aufstieg zu einem erfolgreichen Künstler erlebte. Das Städel Museum verfügt über eine eigene bedeutende Sammlung des Niederländers, darunter u.a. das Gemälde „Die Blendung Simsons“ aus dem Jahre 1636, das während der Direktion Ludwig Justis im Jahre 1905 mit viel Frankfurter Bürgerengagement für 336.000 Mark angekauft worden war. Dieses Gemälde markiert in Dramatik, Lichtführung und Drastik der Darstellung zweifellos den Höhepunkt der Schau. Nach „Making van Gogh“ rückt im Städel erneut der Karriereweg eines Künstlers in den Fokus. Man interessiert sich inzwischen auch seitens der Museen verstärkt für die Mechanismen von künstlerischem Erfolg, d.h. wie ein Künstler sich im Markt zu etablieren vermag.
Rembrandt hatte das Glück, die Bühne in der Blütezeit der Niederlande zu betreten, die man mittlerweile nicht mehr „Goldenes Zeitalter“ nennen mag, weil der Aufschwung auf der Ausbeutung der Kolonien beruhte. Der Reichtum der Stadt Amsterdam als Handels- und Finanzzentrum Europas schuf eine formidable Situation für den innovativen, mutigen Künstler, dessen Herkunft nicht gerade die allerbesten Voraussetzungen bereitet hatte. 1633 machte er seinen Namen schnell zur Marke, auch indem er nur noch mit seinem Vornamen signierte, eben nicht mit „van Rijn“. Damit stellte er sich in die Linie mit bedeutenden und ebenfalls über ihre Vornamen bekannten Vorläufern wie Michelangelo, Leonardo und Raffael. Svetlana Alpers hat 1988 den „Pictor economicus” in ihrem berühmt gewordenen Buch „Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt“ innerhalb der Professionalisierung der Künstlerschaft in der Mitte des 17. Jahrhunderts beschrieben und ihn charakterisiert als jemanden, „der dem Kunstwerkbegriff Vorschub leistete, der unsere Kultur am stärksten geprägt hat – als der Begriff der Ware, die sich von anderen Waren dadurch unterscheidet, daß sie nicht fabrikmäßig, sondern in limitierten Mengen produziert wird und sich einen eigenen Markt schafft.“ (dt. Ausgabe 1989, S. 244).
Die Ausstellung im Städel zeigt die große Bandbreite des „Universalisten“, wie ihn der Frankfurter Kurator Jochen Sander nennt, und bereitet in größeren Kapiteln die Auftragswerke für das Amsterdamer Bürgertum, die Porträts und die Bibelthemen bis hin zur Druckgraphik und Landschaftszeichnung auf. Das ist viel für einen Rundgang, denn es geht zum einen um die Markenbildung des selbstbewusst agierenden Rembrandt und auf der anderen Seite um Details und Vergleiche mit Werken der Schüler und Zeitgenossen, die in etwa gleicher Anzahl wie die Rembrandts präsentiert werden. Die Hängung ist vorzüglich gelungen, denn nur im Vergleich sieht man Ähnlichkeiten und Unterschiede. In Paarungen zu präsentieren, gehört zu den Werkzeugen des Faches Kunstgeschichte und wird schon im Studium praktiziert. Das vergleichende Sehen fördert den Erkenntnisgewinn. So hängen zum Beispiel Nicolaes Eliasz. Pickenoys „Bildnis eines stehenden Mannes“ von 1628, eine Leihgabe der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, und Rembrandts „Bildnis des Andries de Graeff“ aus dem Jahre 1639 nebeneinander, beides monumentale Werke von nahezu zwei Metern Höhe. Im direkten Vergleich mit der Arbeit eines erfolgreichen Porträtisten seiner Vorgängergeneration zeigt sich die Bewegtheit der Darstellung Rembrandts und sein großes Talent, Bildgeschichten, hier mit einem fallengelassenen Handschuh, zu erzählen. Ein Kapitel der Ausstellung konzentriert sich auf die Selbstdarstellung der Amsterdamer Bürgerschaft. Und dazu gehören auch Modeaccessoires wie Spitzenkragen, Perlenschmuck und Fächer. Doppelporträts von Bürgerpaaren, gemalt von Govaert Flinck oder Ferdinand Bol, beide Mitarbeiter und Schüler Rembrandts, veranschaulichen die männliche und weibliche Repräsentation.
Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung ist „Ganymed in den Fängen des Adlers” aus dem Jahre 1635, eine Leihgabe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Das pummelige Kleinkind, schon vom Adler am Schlafittchen gepackt, entleert vor Schreck weinend seine Blase, noch die Schicksalsfrüchte, Kirschen, die man ihm zum Spielen gab, in der Hand haltend: eine drastische und zugleich humorvolle Darstellung, die sich von der herrschenden Ikonographie nach Michelangelos schönem Jüngling vollständig gelöst hat. Das erzählerische Talent Rembrandts in Verbindung mit einer verlebendigten Darstellung lassen sich hier als sein Erfolgsgeheimnis erspüren.
Für das Motiv der Blendung Simsons lag keine Bildtradition vor. Rembrandt schuf eine hochdramatische Szenerie, die nicht wie der Kollege Anthonis van Dyck die alttestamentlichen Geschichte um Dalila in den Blick nehmen lässt, die Samson durch Abschneiden der Locken seiner Kraft beraubt und an die Philister verrät, sondern sie als Vorgeschichte in den Bildhintergrund rückt und den Moment der Blendung in den Mittelpunkt stellt. Die Beleuchtung dramatisiert die Szene, sie lenkt den Blick auf die brutale Tat. Die Gewandung und Harnische der Landsknechte mögen auf den Unabhängigkeitskrieg von Spanien Bezug nehmen, es handelt sich also durchaus um ein politisches Gemälde.
Der begleitende Katalog „Nennt mich Rembrandt! Kreativität und Wettbewerb in Amsterdam um 1630-1655“, der bei Hirmer erschienen ist, wartet mit zahlreichen vertiefenden Textbeiträgen auf und ist überaus reich bebildert. Mit zweieinhalb Kilo Gewicht und in recht kleiner, in Grau gedruckter Schrift, in den Bildüberschriften und Anmerkungen nur wenige Punkt groß, ist es kein leicht handhabbares Buch. Zum Nachteil gerät, dass es zwei Bildzählungen gibt: die großen seitenfüllenden Abbildungen und die zwischen den Texten eingebauten, die kapitelweise durchnummeriert sind, während die Kapitel selbst keine Nummern tragen. Bei Abbildungsverweisen im Text führt dies zu einem Hin- und Herblättern, bis endlich die im Text beschriebene Abbildung gefunden ist. Zweifellos allerdings gehört das Begleitbuch in eine gut bestückte Kunstbibliothek, denn es bietet einen intensiven Einblick in die Zeitumstände, die Wettbewerbssituation der Künstler und den Kunsthandel jener Jahre in Amsterdam und ergänzt das in der Ausstellung Gesehene. Dass sich der Kunstgeschmack im Laufe der Jahre ändert, sich in den 1650er Jahren die Palette aufhellt, ist mit Bildbeispielen von Jacob van Loo oder Cornelis Holsteijn eindrücklich dargestellt. Rembrandt machte diese Bewegung zum Klassizismus nicht mit und erlebte einen Bedeutungsverlust. Auch das gehört zu einem Künstlerleben.
Letzte Änderung: 02.02.2022 | Erstellt am: 05.01.2022
Nennt mich Rembrandt! Durchbruch in Amsterdam
Städel Museum, Frankfurt am Main
Dauer der Ausstellung: 6.10.2021–30.1.2022