Christian Schad (1894-1982) war ein Maler, der in die Avantgarde ebenso passte, wie ins Weltbild der Nationalsozialisten, aber sich gar nicht für unser Sortierkästchen von Freund und Feind eignet. Die Stadt Aschaffenburg hat ihm ein eigenes Museum im ehemaligen Jesuitenkolleg eingerichtet, das eben eröffnet wurde. Johannes Winter war unterwegs in Schads Leben und im neuen Haus.
Der Grabstein trägt zwei Medaillons: Christian und Bettina Schad im Profil, sich zugewandt, Nachhall einer Liebe über den Tod hinaus. Keilberg am Rande des Spessarts. Sind die Rapsfelder verblüht, liegt die Landschaft in Grün. Hier, in der unterfränkischen Provinz, hat der Maler mit Gattin Bettina die Hälfte seines Lebens verbracht, bis zu seinem Tod. Häuser gibt es, ob Bungalow oder Fachwerk, in denen hängt „ein Schad“ überm Sofa.
Manchmal bezahlte der Maler die Handwerker aus der Nachbarschaft notgedrungen mit einem Bild – eine in Wohnstuben verborgene Sammlung. Und jetzt Aschaffenburg mit seinem Schad Museum.
Wieso verschlug es den Maler in den nördlichen Winkel Bayerns? Weshalb wurde er in einem winzigen Dorf heimisch? Schad, der sich in Zürich und Genf eine heftige Liaison mit Dada – „die Idee der ungebändigten Freiheit“ (Schad) – geleistet hatte, der zuhause war in Neapel und Rom, in Paris und Wien, der Berlin um nichts in der Welt hätte verlassen wollen. Ein sprachkundiger Grandseigneur, Genießer selbstbestimmten Großstadtlebens, bis zur Mitte seines Lebens sorglos einem Künstlerleben vielfältiger Experimente hingegeben, das auf dem Humus einer üppigen väterlichen Apanage gedieh, „erzogen, ohne Schwierigkeiten im äußeren Leben zu sehen.“
Dada und der Papst
Berlin, Mitte der dreißiger Jahre. Schad, der väterlichen Zuwendungen verlustig, war gezwungen, für Miete und Essen und Malsachen eine Arbeit anzunehmen, bedingt kreativ. Für ihn eine drastische Abkehr vom Gewohnten, doch Beziehungen halfen, den Posten des Leiters einer bayerischen Brauereifiliale in der Hauptstadt zu ergattern. Mit Bierfahrern und Wirten musste er sich herumschlagen. Der Lebensunterhalt war gesichert.
Im Mai ’33 war er Parteimitglied geworden, ein sogenannter „Märzgefallener“. Sein neusachlicher Stil – er war kein Einzelfall – schien akzeptabel. Wie sollte auch, zum Beispiel, sein Porträt von Papst Pius XI., in altmeisterlicher Lasur erstellt, bei Goebbels oder Göring anecken, die mit ihrem Faible für moderne Malerei trotz Partei-Heiliger wie Arnold Breker oder Adolf Ziegler („Reichsschamhaarmaler“) nicht hinterm Berg hielten.
Dada – „gegen die gemachte Romantik“ (Schad) – lag lange zurück. Seine Vergangenheit im Kreis pazifistischer Intellektueller im Cabaret Voltaire in Zürich, in Genf, seine Schadographien („Fotografien ohne Kamera“) blieben zunächst ohne Echo. Irgendwann anerkannt, gehören nun fünf der Collagen, aus späten Jahren, zum Bestand des Museums. Nach Neapel und Rom hatte es ihn gezogen, im aufkommenden Faschismus Mussolinis lebte er, hatte in Rom Marcella Arcangeli geheiratet, Sohn Nikolaus kam zur Welt. Waren seine italienischen Jahre zunächst geprägt von neugieriger Hinwendung zu Meistern der Renaissance wie Raffael und Leonardo, so fand er bald auch in Zeitgenossen, frühen Surrealisten wie de Chirico, Casorati und Oppi malerische Vorbilder. In Italien fand Schad zu seiner Malweise. Porträts von Freundinnen wie „Maika“ oder „Maria Fidelius“, Abbildungen wie „Pater Aquilinus Reichert“ entstanden, welch letzteres Türöffner zu Pius XI. gewesen sein soll, den Schad malte – der Pater ist im Schad-Museum zu sehen, der Papst nicht. Wurde gleichwohl, wie kalkuliert, gut vermarktet, ein Bestseller. Gemalt im Stil der Neuen Sachlichkeit, der ihm im Berlin der dreißiger Jahre, in der Diktatur des NS, im Reich des Propaganda-Ministers Goebbels Unannehmlichkeiten hätte einbringen können. Indes anschlussfähig war.
Schads Œuvre der zwanziger Jahre hatte es in sich gehabt. Ob Landschaften oder Porträts, die Inszenierungen changierten zwischen zugänglich und sensationell, zwischen Stimmigkeit und, wie im Bild der hingebungsvoll masturbierenden „Freundinnen“, einer Vollkommenheit, die ihn bewog, provokativ noch eine kräftige Prise Laszivität beizumischen.
Schad protokollierte die Schickeria, Damen und Herren einer mondänen Welt, Gemälde, die Honorar einbrachten, die ihm zu einem Namen in der Kunstwelt verhalfen. Man nannte ihn „Hoffotograf“, sprach von einer Optik, die der Fotolinse vergleichbar sei, ohne daß der Malprozess zu erkennen sei. Schad porträtierte aber auch die Sekretärin, die zur Großstadt-Ikone wurde, „Sonja“, zwischen Camel und Champagner, die an eine Figur aus dem Werk von Elke Lasker-Schüler denken läßt, oder „Lotte“, die aus einem Roman von Irmgard Keun stammen könnte. Modelle, in denen der Maler „die apartesten, gepflegtesten und auch die schönsten Frauen, die mir bei meinen wechselnden Aufenthalten in Europa begegneten: die Berlinerinnen“ feierte. Seiner malerischen Intuition, seiner Begabung, seinem Interesse zu verdanken.
Er, der mit Kälte und Eleganz eine Haltung der Teilnahmslosigkeit und Geringschätzung bemäntelte, hatte als Maler des Raffinements verblüfft, galt als handwerklich anspruchsvoll, ein Perfektionist, malerischer Präzision, ja Überschärfe zugeneigt, die bei manchem Betrachter das Gefühl von Unwirklichkeit hervorrief. Setzte fort, was er sich in Italien angeeignet hatte. Der Eindruck, etwas Rätselhaft-Geheimnisvollem gegenüberzustehen, das Züge von Bedrohlichkeit trug, mochte – sollte? – sich beim Betrachter einstellen. Von manchem Kunsthistoriker wird er dafür neuerdings sogar als „Erfinder der Neuen Sachlichkeit“ gepriesen. Auch die „Mexikanerin“ läßt sich ihr zuordnen, die Frau mit dem symmetrischen Ausdruck, mit dem magnetischen Blick. Wie der Titel nahelegt, in landestypischer Tracht vor Kulisse. Sie hat sich Aschaffenburg zur Ikone erwählt, zum Aushängeschild des neuen Museums, als dessen zweiter Höhepunkt die Silberstiftzeichnung „Liebende Knaben“ aus den späten Zwanzigern gilt.
Thomas Mann und sein Blick auf die Haut
Von Jugend an großzügig vom Elternhaus unterstützt, war er einer, der es nie schwer gehabt hatte, dem es nie schwer gemacht worden war, der nicht gezwungen war, für die Miete malen zu müssen. Mit allen Freiheiten, einem Riecher fürs Extravagante und der besonderen Leidenschaft, menschliche Haut malerisch zu verlebendigen. Wie mit Worten gemalt die Beobachtung Thomas Manns im „Zauberberg“, als hätte er das Selbstbild des Malers vor Augen gehabt: „Ein Leberfleckchen links, wo die Brust sich zu teilen begann, war nicht außer Acht gelassen, und zwischen den Erhebungen glaubte man schwach bläuliches Geäder durchscheinen zu sehen. Es war, als ginge unter dem Blick des Betrachters ein kaum merklicher Schauer von Sensitivität über diese Nacktheit – gewagt zu sagen: man mochte sich einbilden, die Perspiration, den unsichtbaren Lebensdurst dieses Fleisches wahrzunehmen, so, als würde man, wenn man etwa die Lippen darauf drückte, nicht den Geruch von Farbe und Firnis, sondern den des menschlichen Körpers verspüren.“ Kongeniale Bildbeschreibung von Schads „Selbstporträt mit Akt“ – er Narziss (mit Narzisse!) im grünlichen Gaze-Hemd auf der Haut, in den Kissen eine nackte Dame, mit einem Sfregio an der Wange versehen, dem neapolitanischen Zeichen besitzergreifender Entstellung, Mafia-Männern abgelauscht.
Selbst das Bild des nackten, tätowierten Egon Erwin Kisch, prominenter Kommunist und rasender Reporter, brachte dem Maler nach ´33 keine Minuspunkte ein. Man hatte sich, erinnerte er sich später, in Berlin im Romanischen Café an der Gedächtniskirche kennengelernt, wo der junge Billy Wilder „sich von Tisch zu Tisch durchpumpte“. Kisch, der Schad für die KPD keilen wollte, habe bald einsehen müssen, „dass das nicht in meiner Richtung lag“.
Wer unter Goebbels’ Überwachung seiner künstlerischen Arbeit weiter nachgehen, wer ausstellen, wer verkaufen wollte, musste Auflagen der Reichskammer für bildende Künste erfüllen, hatte Anstößiges zu meiden. Schad, Mitglied, entschied sich zu bleiben, und bemühte sich auch um Aufnahme im „Verein Berliner Künstler“, der es ihm ermöglichte, mit seiner wie fotografisch gemalten Krankenhausszene „Operation“ an der Ausstellung „Lob der Arbeit“ der NS-Kulturgemeinde teilzunehmen.
Betrachter sahen darin ein Bild, dessen kalte, gleichsam „mit dem Skalpell“ gemalte Präzision in der Tradition der Neuen Sachlichkeit stand.
Für die Vorarbeiten habe er einer Blinddarm-OP zugesehen, deren „fast mathematisch exakte(s) Ineinandergreifen von Handlung und Handreichung“ ihn faszinierte. Der Narkoseschwester gab er das Gesicht seiner Freundin Maika. Seiner Stilrichtung blieb er treu. Ein Etikett wie „Magischer Realismus“ (jüngere Zeitgenossen verbinden mit dem Begriff Gabriel García Márquez´ verwunschene Latino-Literatur) scheint ihm näher gewesen zu sein als Otto Dix’ gern als „links“ etikettierter Verismus.
Schad ergänzte seine Brauerei-Einkünfte durch Auftragswerke, meist Porträts, die er in romantische Landschaften einfügte, nahm Abschied von verfänglichen Sujets, fand Heimat in Refugien gefühliger Sehnsüchte, im Ausdruck deutscher Befindlichkeiten. Lebte und malte unauffällig, ohne Blickkontakt zu staatlichen Argusaugen.
Was das Schad Museum präsentiert? Das Großgemälde „Hochwald“, gleichsam eine Hymne an die Tanne, einen Solitär in alpiner Gebirgslandschaft, Heimat der väterlichen Jagdhütte in Oberbayern. Wie wird das Werk präsentiert? Mit deutlichen Verweisen. Betrachter lernen, daß es den Volksgenossen gleich doppelt gezeigt wurde: in der Ausstellung „Der Wald“ der NS-Kulturgemeinde Berlin 1936 und 1940 im Rahmen der Schau „Deutsche Städtebilder und Landschaften“. Ohnehin ist die Kontextualisierung von Leben und Werk des Malers den Gestaltern des Schad-Museums ein Anliegen. Wände tragen schwarz-weiße Foto-Tapeten, die mit der Bücherverbrennung oder dem tobenden Goebbels Raum für Information und Assoziation schaffen.
Vom Malverbot war Schad nie bedroht. Im Gegenteil, weit entfernt, als „entartet“ verfemt zu sein, reüssierte er auch mit zweien seiner Werke, die er selbst eingereicht hatte, bei der ersten offiziellen „Großen Deutschen Kunstausstellung“ (München 1937), dem Gegen-Projekt zur Hetz-Schau „Entartete Kunst“. Das Porträt „Isabella“ sowie eine Pariser Stadtlandschaft wurden für gut befunden, an der Parade der „wahren deutschen“ Künstler teilzunehmen. Vom Regime als Bestätigung seiner Vorstellung von Ästhetik gefeiert. Im Nachhinein wäre, nimmt man Schads Anerkennung ernst, die Beifügung „korrumpiert“ nicht unangemessen.
Wirkungen einer „Reichswasserleiche“
1939. Der Krieg hatte begonnen. Mit Sirenengeheul und Bombardierungen, mit Leid, Tod und Zerstörung kehrte er bald von den europäischen Fronten zurück in die Städte des Reiches. Berlin zerfiel. Im Schatten des Überfalls auf die Sowjetunion begann der Massenmord an den europäischen Juden.
Jüdische Nachbarn verschwanden, nachdem der arische Mob in einer Nacht ihre Existenz zerstört hatte.
Der Vormarsch der Alliierten zwang die Wehrmacht, das Schienennetz für Nachschub-Transporte zu reklamieren. Mit der Folge, dass der Bierfluss aus Bayern für Preußens Trinker verstopft war. Schad verlor seinen Job.
Seine Besorgnis wuchs, zu später Stunde noch eingezogen zu werden.
Gefährdet war er eher nicht. Dem stand seine Nähe zur regime-affinen Berliner Gesellschaft entgegen, zu UFA-Stars wie Luise Ullrich, die Schad in verklärenden Bildern fotogleich porträtierte, oder Kristina Söderbaum, Favoritin von Göring und Goebbels, die der Volksmund, ihrer häufigen Leinwand-Todesart wegen, als „Reichswasserleiche“ verhohnepiepelte.
Nicht nur das. Söderbaum, Ehefrau des Staats-Regisseurs Veit Harlan, war Publikumsliebling der Deutschen, Rasseideal des Regimes. Sie spielte Hauptrollen im Harlans Durchhaltefilm „Kolberg“ oder in „Jud Süß“, dem antisemitischen Hetzfilm schlechthin. Nationalsozialistische Blockbuster.
Schads Prominenten-Porträts liefen wie erhofft. Bildnisse landeten auf den Titelseiten populärer Zeitschriften. Vom Wohlwollen des Kunstliebhabers Goebbels beschirmt, gehörten Modeblätter wie „Die Dame“ und „Der Silberspiegel“ zum Zeitvertreib der bürgerlichen Volksgenossin, im Abo oder im Wartezimmer, bis in entlegene Winkel des Reiches. Mochte die Lektüre ablenken von der Gewalt gegen widerständige, gegen jüdische Nachbarn, von ihrer Ermordung, von den Schrecken des Krieges, von den Ärgernissen der Lebensmittelkarten – die Illustrierten-Cover fanden Gefallen.
Fortsetzung in der bayerischen Provinz, im Blaublut-Milieu in und um Aschaffenburg. Am Main waren die Konterfeis der Stars aus Berlin zu Vorbildern geworden. Wie wäre es, den Berliner Maler nach Unterfranken zu holen? Mit einem Schad-Porträt überm Kamin ließe sich etwas hermachen. Zumal Schad, da der in Aschaffenburg geborene Ernst-Ludwig Kirchner als „entartet“ gebrandmarkt galt, in seiner Maler-Klasse ohne Konkurrenz war. Es dauerte nicht lange, und die ersten Anfragen und Aufträge aus der Welt des unterfränkischen Adels schlugen in der Reichshauptstadt auf.
Freiherr Gorup von Besánez gab das Startsignal, orderte ein Porträt seiner Frau, saß für sein eigenes, der eine oder andere Baron folgte. Schad nahm an, so dass es Nachfolgeaufträge hagelte, Berlin-Reisen ins Atelier des Künstlers ausgeschlossen, der Bomben wegen. Die Gelegenheit nutzend, flüchtete der Maler aus hauptstädtischen Bunkernächten, schlug sich 1942 durch bis an den Main, in die bayerische Provinz, wo der Nachthimmel (noch) bomberfrei war.
Eine lokale Ahnengalerie entstand, die es in den Bestand des Museums schaffte. Schad war wohlgelitten. Einladungen stellten sich ein. Die Zeit bis zur Kapitulation, für andere die Befreiung, verbrachte er damit, neben der Marien-Kopie die sogenannte bessere Gesellschaft in gefälliger Feinmalerei abzubilden, am liebsten in weicher Pastell- oder Mischtechnik. Im Portefeuille, während die ersten Bomben fielen, die heimische Flora: Birkenäste, Hortensien, Kirschzweige oder Wiesenstücke, Zinnien, Sonnen- oder Feldblumen.
Schad war keiner, für den die Weißwäscher der Nachkriegszeit den Mythos der „inneren Emigration“ hätten aufbügeln, dem sie ein sauberes Hemd hätten überziehen müssen. Was er schuf, war zwar kontaminiert, aber eher auf den zweiten Blick. Spielräume auszutesten, war seine Sache nicht. Eher das Bedürfnis nach Geltung, die auf Glanz aus ist, den Prominenz auf ihn fallen ließ. Ist es nur rätselhaft, dass er – Okkultismus als Leidenschaft – ein Horoskop des Nazistaates verfertigte? Fand indessen, mit dem Gespür für Unauffälliges, zur chinesischen Philosophie, die ermöglichte, wiederum Abstand zum Regime zu halten. Im Museum belegt von Auszügen seiner Bibliothek chinesischer Philosophie, welche auf seinen Morgenmantel („Drachenhaus“) abgefärbt hat – eine zu Ehren gekommene Requisite, die, dem Konzept des Hauses entsprechend, im Schad-Museum ihren Platz hat.
Zuflucht in Unterfranken
Seine Anwesenheit hatte sich herumgesprochen, der Name Schad nahm zu an Ansehen und Wert. Auch das Bürgertum wurde auf ihn aufmerksam, Familien aus der Handels- und Geschäftswelt, die in Baustoffen machten, in Maschinen oder in Saatgut. Ein neuer Markt für den Künstler: vom Blut- zum Geld-Adel. Schads Ruf, seine Berufung kamen auch den Stadtvätern zu Ohren. Die Gelegenheit war günstig, der Künstler aus Berlin war gewonnen. Dem Glauben ans „Deutschtum“ und dessen Kunstverständnis ebenso verpflichtet wie dem Stolz auf Matthias Grünewald, dem mancher Aschaffenburg als Geburtsstadt andichtete, bestellten sie eine Kopie von dessen „Stuppacher Madonna“, die einst die Stiftskirche geschmückt hatte – ein Altarbild, das als nicht kopierbar galt.
Allein an der Transparenz der Korallenschale und am Perlmuttton der Haut, dessen Leuchtkraft er als wahre Herausforderung empfand, seien, wie der Künstler betont, ohne sein Licht unter den Scheffel zu stellen, „schon viele Maler gescheitert“. Menschliche Haut – seine Leidenschaft. Wer das Original in Stuppach nahe Bad Mergentheim mit Schads Kopie in der gotischen Stiftskirche von Aschaffenburg vergleicht, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, zwei unterschiedlichen Gemälden begegnet zu sein.
Ganz im Sinne von Schad, der angekündigt hatte, Grünewalds Bildnis zu „rekonstruieren“. Er sei so lange zwischen Aschaffenburg und Stuppach gependelt, bis er die Farben des Originals in der Dorfkirche „auswendig gelernt“ habe. Für ihn „eine gute Übung für die Sinne und gegen Selbstbeweihräucherung“. Es war die Zeit, als die Deportation jüdischer Bürger auch aus Aschaffenburg begann. Was bei ihnen allein die Androhung zu bewirken vermochte, ist belegt. Mitten in der Stadt finden sich am Eingang eines Schuhgeschäfts in der zentralen Fußgängermeile (Herstallstr. 39) sieben Stolpersteine, ins Pflaster eingelassen: erinnernd an sieben Mitglieder einer Familie, die am 7. September 1942, zwei Tage vor ihrer Deportation, ihrer Entscheidung folgten, gemeinsam in den Tod zu gehen. Um der Ermordung in einem Vernichtungslager zu entgehen.
Während Schad die Arbeit an der Madonnen-Kopie aufnahm, mit der er sich über das Kriegsende hinaus bis in die Jahre der amerikanischen Besatzung seinen Lebensunterhalt sicherte. Wie penibel er sich um Grünewalds ursprüngliche Farbenkonsistenz bemühte – für die Herstellung einer Ei-Emulsion musste die Stadtverwaltung in den späten Kriegs- und frühen Friedensjahren hohen Aufwand treiben. Extrarationen an Hühnereiern waren zu organisieren, bis der Meister sich zufrieden zeigte. Die Arbeit bot ihm die Möglichkeit, in die Ästhetik zu flüchten, ein Bild zu reproduzieren, das, wie ein Kunstkritiker schrieb, „keinem wehtat“. Sein Kopier-Werk sollte Folgen haben.
So unstet er von einer europäischen Metropole zur anderen gewandert war, so ausgiebig er das großstädtische Leben genossen hatte, die Umstände hatten nahegelegt, den Wohnsitz in Aschaffenburg zu nehmen. Für ihn wohl auch die Konsequenz aus der Ahnung, dass die Welt der urbanen, jüdisch geprägten Kultur unwiderruflich zerstört, dass das kreative Milieu der wilden zwanziger Jahre untergegangen war. Was ihn nie bewog nachzuforschen, so dass er nie erfuhr, was Walter Serner, dem geschätzten Freund und engen Gefährten aus Dada-Tagen in Zürich, Genf und Neapel angetan wurde: auch Serner fiel, nach Osten deportiert, dem Massenmord zum Opfer.
Die Staffelei zieht aufs Dorf
Der Krieg war zu Ende, nicht nur das Land lag in Trümmern, auch der Kunstmarkt war am Boden, es begann die „arme Zeit“. Der Schwarzmarkt avancierte zur Vorschule der Nation. Das Honorar für die Kopie der Madonna zerbröselte noch vor der Währungsreform. Schad begab sich auf Arbeitssuche, er verdingte sich beim „Main-Echo“, dem Lokalblatt der Kreisstadt, als Kulturkritiker. Er heiratete die junge Schauspielerin Bettina Mittelstädt, gab Kurse an der Volkshochschule (Französisch und Moderne Literatur), Ehefrau Bettina in Lebensart – man musste sich über Wasser halten. Er übernahm Restaurierungsaufträge, gründete ein Zimmertheater, in dem Bettina auf der Bühne stand im Stück eines Heimatdichters, in einem britischen Krimi oder einem populären Einakter von Kurt Goetz. Was bewog ihn, eine „Anti-Lärm-Liga“ ins allzu laute Leben zu rufen?
Es waren Kinder, die vor seinem Fenster ihren Ball- und Raufspielen nachgingen. Ihr Toben soll ihn, den solche Widrigkeiten offenbar nervös machten, auf die Palme gebracht haben. Man kann sich gut vorstellen, wie einer, der die Stille an der Staffelei so dringend braucht wie das tägliche Brot, entnervt das Fenster aufreißt, um mit schriller Stimme zu schreien, er wolle seine Ruhe haben. Dies, so die Überlieferung, habe dazu geführt, dass die Kinder, nicht faul, ihm „böser Mann“ nachriefen – während er im Lokalblatt zu einem „friedlichen und harmonischen Zusammenleben“ aufrief. Genug Stoff für Unmut – der verwirklichte sich in Werken wie „Inferno“ oder dem „Kinderbild (Der grüne Ball)“, farbige Klagen über die Unbotmäßigkeit ausgelassener Bälger. Nun sind sie Teil der Sammlung des neuen Museums.
Zwei Jahrzehnte lebte das Paar in Aschaffenburg, bis es Anfang der sechziger Jahre aufs Land zog, sich zurückzog. Die Jahre der Nachkriegszeit, die Christian Schad das Schicksal vieler Künstler bescherten. Sie hatten umzugehen mit ihrer eigenen Vergangenheit, sie nahmen teil am gesellschaftlichen Konsens von Verschweigen und Ärmelaufkrempeln. Immerhin, der Maler der Neuen Sachlichkeit erlebte noch seine (Wieder-)Entdeckung. Ausstellungen in Paris, London und Berlin am Ende der siebziger Jahre brachten Anerkennung. Ob er in seinen unterfränkischen Jahren nur ein „erschreckend belangloses Spätwerk“ schuf, wie ein Kritiker der „Neuen Zürcher Zeitung“ schrieb, bleibt strittig.
Gabriele Perocchio, Aschaffenburgerin, muss es ihm besonders angetan haben. Sie war für Schad die Inkarnation der nordischen Frau. Gleich dreifach brachte er sie auf einem Gemälde unter, das er nach der Schicksalsgöttin „Werdandi” (alias „Norne des Seienden“) nannte: im nächtlichen Orchideengarten, vom vollen Mond beschienen, mittig die Stange eines Sonnenschirms, gleichsam die Achse eines Karussells, auf dem sich die Schöne und ihre Abbilder im Kreise zu drehen scheinen. Nicht zum Verkauf bestimmt, betonte, als ich sie besuchte, mit Stolz die einstige Wirtin eines von Schad geschätzten italienischen Restaurants. Ihr Bild, meinte sie, sei wohl eine Art Schlusspunkt seines Schaffens gewesen. Wenigstens eine Fotokopie des Bildes sei auf sie gekommen. Und wurde zum Blickfang im eigenen Heim. Das Original? Blieb in Aschaffenburg und hängt nun im Schad-Museum.
Wo auch, nicht zu vergessen, Porträts von Bettina Schad zu sehen sind, die den Maler als Modell, als Muse, als Archivarin bis zu seinem Tod begleitet und bis zu ihrem an seinem Nachlass gearbeitet hat.
Letzte Änderung: 24.06.2022 | Erstellt am: 24.06.2022
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