Die Neue Heimat (1950-1982)
Mit dem Namen „Neue Heimat“ verbindet man vorrangig den Skandal veruntreuter Gelder, in den die Gewerkschaften involviert waren. Umfassender blickt das Frankfurter Architekturmuseum, in Kooperation mit dem Architekturmuseum der TU München und dem Museum für Hamburgerische Geschichte, auf den Wohnungsbaukonzern. Denn die Neue Heimat ist Teil der westdeutschen Sozialgeschichte. Ihr Ende markiert auch das Ende der sozialen Wohnungsbaupolitik und ist damit die Ursache für die heutigen Probleme. Isa Bickmann schaute in Ausstellung und Begleitbuch.
Wer in den achtziger Jahren aufwuchs, kann sich gut an den Skandal und vielleicht auch noch an den SPIEGEL-Titel erinnern. Die Neue Heimat scheint auf ewig damit verbunden, sie ist aber auch Teil der Gesellschaftsgeschichte der Nachkriegszeit, erklären die Kuratoren Hilde Strobl und Jonas Malzahn. Wie lang und weitreichend der Wohnungsbaukonzern, größter und bedeutendster nichtstaatlicher seiner Art in Europa nach 1945, wirkte, zeigt eine Zusammenschau der Großprojekte im Frankfurter Architekturmuseum (DAM).
Während die Ausstellung mit der Wohnungsnot der Nachkriegszeit einsetzt, ist die Geschichte der Neuen Heimat länger: Im Jahre 1926 wird sie als gewerkschaftlich gegründete Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg in das Handelsregister eingetragen. Mit der Enteignung allen Gewerkschaftsvermögens gibt man ihr 1933 den Namen „Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft“. Nach 1945 steht sie unter der Treuhandschaft der Alliierten. Mit dem Marshallplan und dem 1. Wohnungsbaugesetz beginnt ihr Wirken unter dem unveränderten Namen. Und die Aufgaben sind groß: Es fehlen nach Kriegsende sechs Millionen Wohnungen, Kriegszerstörung, der Zustrom an Vertriebenen und Geflüchteten haben die Situation verschärft. Man steigt mit dem Wiederaufbau der Hamburger Wohnsiedlungen Barmbek-Nord (1950-54) und Veddel (1950-52) ein und entwickelt das alte Garten- bzw. Parkstadt-Konzept in Kassel-Auefeld und München-Bogenhausen (beide 1955/56). München verzeichnet Anfang der fünfziger Jahre die höchste Einwohnerentwicklung Westdeutschlands. Bei sage und schreibe 85 Prozent lag 1951 der Anteil an Sozialwohnungen an Münchener Neubauwohnungen. Eine Zahl, die heute nahezu utopisch erscheint.
Die Wohnungsfrage geht einher mit den Demokratisierungsprozessen in der jungen BRD. Jeder soll modern wohnen. Man schafft Grünraum, Parkflächen, autofreie Zonen zwischen den Gebäuden. Werbematerial und Filme der Neuen Heimat verkaufen die funktionale Architektur als das ideale Wohnen. Manches erinnert an die Projekte des Neuen Frankfurts der zwanziger Jahre, wo man mit großen genormten Bauprojekten unter dem Stadtbaurat Ernst May der Wohnungsnot entgegentrat. Ernst May ist nun auch hier wieder mit im Boot, und zwar als Leiter der Planungsabteilung der Neuen Heimat und danach als freier Planer, u. a. in der Neuen Vahr (1957-62) in Bremen und in Darmstadt Kranichstein (1968). Er holt dazu wie damals in Frankfurt die besten Leute, sagt DAM-Direktor Peter Cachola Schmal. Der heute unter Denkmalschutz stehende Wohnturm in der Neuen Vahr von Alvar Aalto ist ein Beispiel dafür. May initiiert auch die Konzernzeitschrift „Neue Heimat Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau“ und schließt damit an „Das neue Frankfurt“ an (1925-30). Die Publikation, die – zeitweise dreisprachig – von 1954 bis 1981 erscheint, wird von Michael Mönninger im Katalogbuch (S. 40-47) untersucht: „Deutlich tritt in den Monatsheften das protagonistische Planungsdenken der Neuen Heimat im Sinne einer autoritären Fürsorglichkeit hervor, in dem die Bewohner als Konsumenten zwar mit den Mitteln der Marktforschung befragt, aber nicht als Individuen beteiligt wurden.“ Auch eine „Modellküche der Neuen Heimat“ wird 1954 entwickelt, weniger erfolgreich allerdings als die berühmte „Frankfurter Küche“.
Die Neue Heimat vergrößert ihr Tätigkeitsspektrum. Ab 1965 plant sie auch Einkaufszentren. 1969 gründet sie die Neue Heimat Städtebau, um über die Gemeinnützigkeit hinaus auch Gewerbebauten erstellen zu können. Sie erweitert nun um Schwimmbäder, Schulen, Krankenhäuser, verfolgt Stadtentwicklungs- und Denkmalschutzkonzepte (z. B. die Altstadtsanierung Hameln). „Wir machen alles“, ist das Motto. Kein Projekt kann groß genug sein: Aachener Klinikum, Congress Centrum Hamburg (CCH) und das ICC Berlin.
Mit der Neuen Heimat entstehen Großsiedlungen, die man früher Trabantenstädte nannte, Massenwohnungen für genormte Familien. Und das lässt sich sehr schön in der Ausstellung betrachten: bunte Siebziger-Jahre-Deko und befreundete Paare bei gepflegtem Wein mit Knabbergebäck, ein junges schlankes Paar beim Badminton-Spiel im Bungalowgarten. Auch Filme als Teil der Eigenreklame des Konzerns sind in der Ausstellung zu sehen, modern, jung, aufgemacht mit damals aktueller Popmusik. Sie sind Teil der stets ein wenig störenden Geräuschkulisse im DAM (daher ist für ein konzentriertes Eintauchen ins Thema und die notwendige Lektüre der Texttafeln ein Gehörschutz zu empfehlen). Dass das ganze Dokumentationsmaterial überhaupt existiert, ist einem beherzten Zugriff 1991 zu verdanken, bei dem aus einer Hamburger Tiefgarage u. a. 25.000 Fotos und das Medienarchiv mit allen Filmen gerettet werden konnten. Der größte Teil der Dokumente befindet heute sich im Hamburgischen Architekturarchiv.
Der Niedergang der Neuen Heimat hat verschiedene Gründe. Der Skandal ist nur der „Knalleffekt“, die Probleme beginnen schon früher. Nach 1975 kommt der Massenwohnungsbau quasi zum Erliegen, der Einfamilienhäuseranteil wird größer. Der Eigenheimbau wird erstrebenswert für die Menschen, kann aber für die auf den Massenmarkt ausgerichtete Neue Heimat nicht rentabel sein. Dieses ökonomische Dilemma lässt sich kaum kompensieren. Man hätte viele Mitarbeiter entlassen müssen, was für ein gewerkschaftseigenes Unternehmen nicht durchsetzbar gewesen wäre. Also sucht man sich neue Betätigungsfelder. Man rollt Bauprojekte im Ausland aus, in Frankreich, Israel, Südamerika, Ghana, Ceylon, Malaysia. „Die Neue Heimat, gewerkschaftseigenes Bauunternehmen in Hamburg, ist wie Freddy der Matrose in allen Kontinenten zu Hause – demnächst sogar mit einem eigenen Spielkasino im bourgeoisen Vergnügungszentrum Monaco.“, schreibt DER SPIEGEL im November 1970. Kreditfinanzierte Grundstückskäufe werden in Dollar bezahlt und müssen in Dollar zurückgezahlt werden. Währungsverschiebungen forcieren das Desaster.
Der finanzielle Zustand der Neuen Heimat ist also nicht der allerbeste, als am 8.2.1982 wiederum DER SPIEGEL das In-die-eigene-Tasche-Wirtschaften der Vorstandsmitglieder der Neuen Heimat dank eines Informanten aufdecken kann. Überhöhte Heiz- und Nebenkostenabrechnungen sind mit den Mietern abgerechnet worden, sie werden über die Firma Teletherm eingezogen, die in der Hand der Vorstandsmitglieder ist. Das hat man schon mit Grundstückskäufen in ähnlicher Weise betrieben. Für die Großsiedlung München Neuperlach (1967-92), geplant für 80.000 Menschen, kauft die Firma Terrafinanz, an der die Neue-Heimat-Vorstände über Strohmänner beteiligt sind, Baugrund, der wiederum an die Neue Heimat mit Aufschlag verkauft wird. Hans-Jochen Vogel, als junger Bürgermeister Münchens, hat nichts gewittert. Niemand hat sich darüber Gedanken gemacht.
Was lernt man daraus: Grenzenloses Wachstum, Größenwahn und die Selbstbedienungsmentalität der Beteiligten machen jedes achtbare, sozial motivierte Anliegen zunichte. Schlimmer noch: Sie haben bleibenden Schaden hinterlassen. Dass sich die Politik völlig aus dem Wohnungsbau zurückgezogen und dem freien Markt alles überlassen hat, fördert heute das Problem, dass kleine Einkommen sich die Mietsteigerungen in den Städten nicht mehr leisten können. Der Anteil belegungsgebundener Sozialwohnungen sinkt seit Jahren. Nach dem Koalitionswechsel und der Wahl Helmut Kohls 1983 fehlt dann auch die politische Rückendeckung. Der DGB ist nicht nur finanziell beschädigt.
Gute Ausstellungen, und dazu gehört diese zweifellos, zeichnen sich durch ihre Ausgewogenheit aus. Denn positive Taten werden nicht selten vom Makel des Skandals verdeckt. Spürbar wird in der Aufbereitung der Geschichte der Neuen Heimat vor allem die Bewunderung der Kuratoren für die Komplexität der durchgeführten Großprojekte, für das Bauen im Superlativ. Die jüngsten Langzeitbaustellen Elbphilharmonie und Berliner Flughafen wären von der Neuen Heimat schneller und günstiger fertiggestellt worden, witzelt man.
Letzte Änderung: 07.08.2021
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