Lyriktage in Frankfurt
Seit 2007 veranstaltet das Kulturamt der Stadt Frankfurt ein biennales Lyrikfestival, dessen letzte Auflage 2019 durch den großen Festivalkongress Fokus Lyrik ersetzt wurde. Nun findet das reguläre Festival wieder statt – seit diesem Jahr als Lyriktage Frankfurt.
Die Lyriktage Frankfurt 2023 werden mit der ersten Frankfurter Rede zur Gegenwartslyrik eröffnet, die der Dichter Nico Bleutge halten wird. Bereits eine Tradition bildet die Lange Nacht der Lyrik, mit der das Festival endet. Dazwischen erwarten die Besucher:innen Lesungen aus den neuen Gedichtbänden von Carolin Callies, Michael Lentz und Sirka Elspaß. Über das Verhältnis von Prosa und Poesie sprechen Annette Pehnt und Kerstin Preiwuß, am Puls der Zeit ist ein Panel zur Frage, was Künstliche Intelligenz für den poetischen Prozess bedeutet. Die funkelnde Lyrikszene aus Frankfurt und Umgebung findet im Hessischen Literaturforum eine Bühne, mit Maria Stepanova hat die Stadt Frankfurt eine Weltpoetin zu Gast und der Lyriker Yevgeniy Breyger kuratiert einen Abend mit jüdischen und israelischen Dichter:innen.
Programm
DIENSTAG | 23.5.2023 | 19:30 UHR
FRANKFURTER REDE ZUR GEGENWARTSLYRIK.
ERÖFFNUNG DER LYRIKTAGE FRANKFURT 2023
Katharina Schultens | Daniela Seel | Nico Bleutge
Gregor Dotzauer | Tristan Marquardt
Moderation: Beate Tröger
Zum Auftakt der Lyriktage hält der renommierte Dichter Nico Bleutge die erste Frankfurter Rede zur Gegenwartslyrik. Eine neue Gelegenheit für Erkundungen und Vergewisserungen, für das Nachdenken über das eigene Schreiben als einen Zustand „konzentrierter Euphorie“ (Bleutge) sowie das Dichten in herausfordernden Zeiten. Und der Beginn einer neuen Tradition. Fortsetzung folgt.
Anschließend eine Diskussion über den Status quo der Gegenwartslyrik, aktuelle Herausforderungen und Perspektiven mit Nico Bleutge, Katharina Schultens vom Haus für Poesie in Berlin, der Lyrikerin und Verlegerin Daniela Seel (kookbooks), dem Literaturkritiker Gregor Dotzauer und Tristan Marquardt, Lyriker, Literaturvermittler und Co-Kurator des Festivalkongresses Fokus Lyrik.
Ort: Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
MITTWOCH | 24.5.2023 | 18:30 UHR
WIMPERN UND TEILCHEN. POETISCHE PHÄNOMENOLOGIEN
Carolin Callies | Sirka Elspaß
Moderation: Jan Wiele
„niemand steht über den dingen / wir stehen alle mittendrin.“ Mit diesen Versen schließt ich föhne mir meine wimpern (Suhrkamp), der Debütband von Sirka Elspaß. Die 1995 geborene Lyrikerin lenkt darin den Blick auf die Abgründe im Alltäglichen, auf die körperlichen und seelischen Zurichtungen des Selbst in unserer hyperkomplexen Gegenwart. In ungewohnter Direktheit thematisieren ihre Gedichte etwa Depressionen, Schlaflosigkeit oder die erste Menstruation.
Ein Bewusstsein für die Kreatürlichkeit des Menschen kommt auch in den Gedichten von Carolin Callies, Jahrgang 1980, immer wieder zum Vorschein. teilchenzoo (Schöffling), ihr dritter Gedichtband, ist eine Schule der sinnlichen Wahrnehmung, die bis in die kleinsten Verästelungen vordringt. Ein Zusammentreffen, so zwangsläufig wie vielversprechend: „alles, was kollidieren kann, kollidiert.“
Ort: AusstellungsHalle 1a, Schulstraße 1a, 60594 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
MITTWOCH | 24.5.2023 | 18:30 UHR
SCHLAFBAUM-VARIATIONEN
Nico Bleutge
Moderation: Beate Tröger
Nico Bleutges Gedichte heben in einzigartiger Weise Grenzen auf. Sie tun dies gleitend, Momente und Motive ineinanderblendend und zu Vexierbildern formend, die auf intrikate Weise Klarheit schaffen. Sie schärfen die Sinne und schulen die Wahrnehmung. In seinem neuen Gedichtband schlafbaum-variationen (C.H.Beck) tritt ein Kind ins Leben und dessen frühe Welt- und Spracherkundungen verwandelt das beglückte lyrische Ich in sinnliche Klanggebilde. Dem folgt antipodisch – und damit das menschliche Leben ausmessend – ein Gedicht über das Sterben des Vaters.
Sich in Bleutges Gedichte zu versenken, heißt ihnen zu verfallen. Ihrer Sprachkunst, ihren subtilen Echos und ihren Entgrenzungen, die uns als Lesende das Leben und den Tod, das Gestern und Heute, Innen und Außen als etwa Präsentisches, Immer-da-Seiendes neu sehen lernen. „Ein herausragendes Ereignis in der jüngeren Lyrikgeschichte“, so Frieder von Ammon.
Ort: Museum Giersch der Goethe-Universität, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
MITTWOCH | 24.5.2023 | 20:00 UHR
NEUE JÜDISCHE LYRIK
Irina Bondas | Zehava Khalfa | Max Czollek | Tomer Dotan-Dreyfus | Mati Shemoelof
Moderation: Nils Brunschede
Jüdische Identitäten und Erfahrungen, jüdische Religion, Geschichte und Kultur finden ganz selbstverständlich auch in der Dichtkunst ihren Ausdruck. In welch vielfältiger Form dies gegenwärtig geschieht, zeigt sich an diesem Abend, den der in der Ukraine geborene und in Frankfurt lebende Lyriker Yevgeniy Breyger kuratiert hat und der in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt stattfindet. Eingeladen sind jüdische und israelische Lyriker:innen, die auf Deutsch oder Hebräisch schreiben und sich in ihren Gedichten unter anderem mit Fragen der Herkunft oder der Erinnerungskultur, aber auch mit den vielen Facetten des modernen jüdischen Lebens auseinandersetzen. In dieser Konstellation treten sie erstmals gemeinsam auf. Wir freuen uns auf Lesungen und Gespräche von und mit Irina Bondas, Zehava Khalfa, Max Czollek, Tomer Dotan-Dreyfus und Mati Shemoelof.
Ort: AusstellungsHalle 1a, Schulstraße 1a, 60594 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
MITTWOCH | 24.5.2023 | 20:00 UHR
WINTERPOEM 20/21
Maria Stepanova
Moderation: Olga Radetzkaja
Übersetzung: Christiane Körner
„Mir fällt es heute schwer, das Winterpoem wiederzulesen, gerade weil so vieles darin plötzlich näher und konkreter ist als zum Zeitpunkt des Schreibens. Aber stärker noch ist ein anderes Moment: das Gefühl, dass wir (die wir in Russisch sprechen und schreiben, die wir in Europa leben …) in einer plötzlich zäh gewordenen historischen Zeit feststecken und erst langsam, dann immer schneller rückwärtsrutschen, zurück in die Vergangenheit, in archaische, statische Schichten, wo jedes Wort in der Luft gefriert“, so Maria Stepanova in einem luziden Gespräch mit ihrer Übersetzerin Olga Radetzkaja, das ihren neuen Gedichtband Winterpoem 20/21 (Suhrkamp) abschließt. Ein weltpoetischer Band, geschrieben auf einer Datsche im Winter der Pandemie. Ein Exil vor dem Exil, auch dem realen von Maria Stepanova im heutigen Berlin, deren polyphones und feingliedriges Poem nunmehr anders gelesen wird als vor der europäischen Katastrophe des 24. Februar 2022. Hier wird das Wort von der poetischen Vision Wirklichkeit.
Ort: Museum Giersch der Goethe-Universität, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
DONNERSTAG | 25.5.2023 | 18:30 UHR
ISOLATION UND ENTGRENZUNG. VERSE UND ROMANE
Annette Pehnt | Kerstin Preiwuß
Moderation: Lothar Müller
Warum Prosa auf einem Festival, das die Lyrik feiert? Weil uns auch Grenzgängerisches interessiert. Texte, wie die von Kerstin Preiwuß und Annette Pehnt, die poetische Verfahren integrieren. Und die von Isolation und Angst als Symptome unserer Zeit handeln. In Heute ist mitten in der Nacht (Berlin Verlag) findet Kerstin Preiwuß in der Angst eine Grundmetapher für ihr Leben, die sie in kurzen Momentaufnahmen, Briefen und Gedichten erkundet. Konkrete Isolation erfährt die Erzählerin in Annette Pehnts Versroman Die schmutzige Frau (Piper). In Satzumbrüchen erzählt sie vom Gefangensein in dem Rollenbild als Frau und Mutter sowie von der Hoffnung auf einen Raum nur für sich allein, den sie schließlich im Schreiben findet – „vielleicht nicht gerade Gedichte, aber warum nicht, das sind ja auch nur Geschichten in Zeilen“.
Ort: Historische Villa Metzler, Schaumainkai 17, 60594 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
DONNERSTAG | 25.5.2023 | 19:30 UHR
LYRIK AUS DER NACHBARSCHAFT
Julia Grinberg | Judith Hennemann | Julia Mantel | Cecily Ogunjobi | Dirk Hülstrunk | Andreas Hutt | Martin Piekar
Moderation: Beate Tröger | Björn Jager
Die moderne Gourmetküche und die deutschsprachige Lyrik mögen auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben. Aber mindestens einen Schnittpunkt gibt es dann doch: Warum in die Ferne schweifen, wenn das, was man in der Region vorfindet, bestmögliche Qualität bietet? Denn zwischen Marburg und dem Rheingau, zwischen dem Taunus und Offenbach leben einige der interessantesten Lyriker:innen unserer Zeit, die das ganze formale Spektrum der Gegenwartslyrik abdecken: von der Lautpoesie bis zum Langgedicht, von lyrischer Kurzprosa bis zur Beatnik-Referenz.
Julia Grinberg und Andreas Hutt, Cecily Ogunjobi und Martin Piekar, Judith Hennemann, Julia Mantel und Dirk Hülstrunk werden an diesem Abend unter Beweis stellen, dass viele Köche den Brei manchmal erst so richtig cremig rühren können.
Ort: Hessisches Literaturforum im Mousonturm, Waldschmidtstraße 4, 60316 Frankfurt am Main
Eintritt: ab 5 Euro (pay as you wish)
DONNERSTAG | 25.5.2023 | 20:00 UHR
CHORA. DER DICHTER ALS DEMIURG
Michael Lentz
Moderation: Hans Jürgen Balmes
Michael Lentz führt uns an den Anfang. Auf den Grund des Seins und zum Ursprung der Sprache. In der platonischen Kosmogonie bezeichnet χώρα (Chora) eine geheimnisvolle Urmaterie. Der schillernde Begriff regte bereits Denker:innen wie Julia Kristeva und Jacques Derrida zur Auseinandersetzung an. Lentz’ jüngst bei S. Fischer erschienenem Gedichtband leiht er nicht bloß den Titel, sondern gibt zugleich Motto und poetologisches Prinzip vor. Als virtuoser Neuschöpfer zerlegt und rekombiniert der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Lautpoet darin Satzteile, Worte und Buchstabenketten zu immer neuen und unerwarteten Konstellationen. Ein faszinierendes Tableau aus Werden und Vergehen, das gleichermaßen philosophische Tiefe wie lyrisches Können beweist.
Ort: Historische Villa Metzler, Schaumainkai 17, 60594 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
FREITAG | 26.5.2023 | 17:00 UHR
CHATGPT ALS DICHTER:IN? LYRIK UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Monika Rinck | Hannes Bajohr | Christian Metz | Jörg Piringer
Moderation: Jan Drees
Jüngst haben KI-Systeme wie ChatGPT oder ein durch künstliche Intelligenz erzeugtes Bild von Papst Franziskus in einer hippen Daunenjacke für Aufsehen gesorgt. Expert:innen sind überzeugt, dass „denkende Maschinen“ die Welt, wie wir sie kennen, revolutionieren werden. Daraus resultieren ethische und politische, aber auch ästhetische und poetologische Herausforderungen. Kann künstliche Intelligenz beim Schreiben von Gedichten unterstützen (und darf sie dann Co-Autorschaft beanspruchen)? Oder bekommt die Lyriker:in aus Fleisch und Blut sogar Konkurrenz in Form von Chatprogrammen, die Texte aller Art in Sekundenschnelle produzieren? Und wie können Leser:innen noch erkennen, wer da eigentlich schreibt? Diese und andere Fragen diskutieren die Lyrikerin und Essayistin Monika Rinck, der Medienwissenschaftler Hannes Bajohr, der Literaturwissenschaftler und -kritiker Christian Metz und der Schriftsteller und Aktionskünstler Jörg Piringer.
Ort: Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
FREITAG | 26.5.2023 | 19:30 UHR
POETISCHE STREIFZÜGE. DIE LANGE NACHT DER LYRIK 2023
Sabine Gruber | Lütfiye Güzel | Volha Hapeyeva | Sibylla Vričić Hausmann | Ronya Othmann | Yevgeniy Breyger | Paul-Henri Campbell | Dinçer Güçyeter | Michael Stavarič
Moderation: Claudia Kramatschek | Beate Tröger | Christian Metz
Gedichte leben von sprachlichen Finessen, ihrer ganz eigenen Rhythmik, dem Klang und der Mehrdeutigkeit. Sie verweigern sich der Funktionalität der Alltagssprache, unterlaufen fixe Bedeutungszuschreibungen und streben ins Offene. Die Lyrik der Gegenwart ist dabei so ambitioniert wie radikal divers in ihren Einflüssen und Ausdrucksformen. Zu versuchen, sie auf einen Nenner zu bringen, muss zwangsläufig scheitern. Zum Abschluss der Lyriktage Frankfurt 2023 zelebrieren wir diese wunderbare Vielfalt mit der Langen Nacht der Lyrik und den Stimmen von Sabine Gruber, Lütfiye Güzel, Volha Hapeyeva, Sibylla Vričić Hausmann, Ronya Othmann, Yevgeniy Breyger, Paul-Henri Campbell, Dinçer Güçyeter und Michael Stavarič.
Ort: Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main
Eintritt: 5 Euro
Letzte Änderung: 23.05.2023 | Erstellt am: 10.05.2023
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