Wolfram Ebersbach und Matthias Weischer
Zwei Generationen, zwei unterschiedliche Blicke: Wolfram Ebersbach (*1943) und Matthias Weischer (*1973) waren Lehrer und Schüler. Heute sind sie Repräsentanten unterschiedlicher Erfahrungswelten und deren spezifischer Umsetzung in Malerei. Licht, Raum und Perspektive ist der gemeinsame Nenner im Dialog der beiden Künstler.
Wolfram Ebersbach ist ein Chronist der mythischen Dimension urbaner Räume. Seit den 1970er Jahren hat er Architektur nicht realistisch abgebildet, sondern sie zu Chiffren emotionaler, innerer Landschaften geprägt. Er registriert mit ganz unpolitischer, aber ästhetisch hochsensibler Wahrnehmung das Himmelwärtsfahrende und Sehnsuchtsvolle, zum Licht Hinstrebende und in steinernen Labyrinthen Erdgebundene jener Architekturen, die in Leipzig entstanden sind und neu entstehen. Die Zeit scheint stillzustehen und im schnellen Duktus seiner Malweise zugleich zu pulsieren.
Er reduzierte in den Wendejahren seine Farbpalette fast ausschließlich auf schwarz-weiß. Eine existenzialistische Erfahrung, die sich in seinen Bildern manifestiert: Bahnhöfe, Passagen und Lichthöfe. Sein Abbild Leipzigs zu dieser Zeit. Später kommen Details, architektonische Ausschnitte dazu. Die Stadt und sein Blick auf sie verändern sich.
Matthias Weischer gibt in seinen Bildern Rätsel auf: Wer wohnt hier, wer ging fort? Wer hat sich die Muster und Tapeten ausgewählt und die Innenräume damit wohnlich eingerichtet, um sie schließlich zu verlassen und zu vergessen? Diese Innenräume sind Theaterbühnen, diffuse Speicher der Vergangenheit, die unidentifizierbar bleibt, obwohl die stilistischen Merkmale der Objekte auf die 1950er bis 1970er Jahre verweisen. Der stilistische Mix lässt die Vergangenheit facettenreich und doppelbödig erscheinen. Dieses Oszillieren zwischen den Epochen, zwischen Stilen und Mustern führt zur orchestralen Wirkung des Vergangenen, zu seiner kaleidoskopartigen Mehrdeutigkeit. Auch in seinen Bildern des Japanischen Gartens in Rom hat der Künstler eine eigene Sprache entwickelt, erst aus verschiedenen Perspektiven viel gezeichnet, bis in einem nahezu endlosen Prozess des Verinnerlichens eine Essenz übrig blieb, die keine räumliche Perspektive im klassischen Sinn mehr aufweist.
Gespräch zwischen Wolfram Ebersbach und Matthias Weischer über ihre unterschiedlichen Lebensalter und ihre Beziehung zur Malerei
Wolfram Ebersbach: Als die Wende kam, waren die Freunde plötzlich alle weg. Die sind fast alle in den Westen gegangen. Nur ich war eben noch hier in Leipzig. Die Situation hat mir aufs Gemüt gedrückt und so sind die Bilder dunkler geworden. Der andere Grund für die Reduktion von Farbe war eine existentielle Erkundung von Räumen. Jede schwarzweiße Darstellung geht ins reliefartige und verweist letztlich auf einen Plastiker. Wenn man räumlich arbeitet, kann man nicht unbedingt mit Farben brillieren.
Ich habe mir gedacht, ich muss raus aus dem Atelier. Ich muss die Sachen ergehen, erfinden. Und so habe ich mir schließlich Leipzig erschlossen, indem ich immer wieder durch Leipzig zu Fuß gelaufen bin: die Passagen, der Bahnhof. Als ich das erste Mal vor dem Bahnhof gestanden bin, dachte ich mir, das kannst du nie malen. Und es hat wirklich lange gedauert, bis ich einen Ansatz, eine Formel gefunden habe, um den Bahnhof malen zu können. Das hat Jahre gedauert, in denen es in mir gearbeitet hat: sehen – erlaufen – sehen. Zunächst haben mich die Durchblicke und Durchgänge interessiert. Die großen Passagen, die auf ein ganz kleines Loch hinten zulaufen. Je kleiner der Durchgang, desto aggressiver gestaltete sich das Ganze. Letztlich bin ich immer Schüler der Malerei geblieben. Man wird nie fertig.
Matthias Weischer: Materialität, Raum, Tiefe und Wucht wird betont, wenn man Farbe weglässt. Was uns jedoch beide verbindet, ist der Versuch, Wucht rüber zu bringen. Allerdings eine Wucht, die auf Erhabenheit verweist. Wie du beschreibst, wie du dir den Bahnhof und die Passagen in Leipzig erlaufen hast und wie lange du gebraucht hast, um dich an dieses große Thema heranzutrauen, erinnert mich an meine eigene Erfahrung in Rom, als ich den Garten gemalt habe. Ich habe ein Jahr dort gesessen und nur gezeichnet. Bis man sich große Dinge erschließt, bis man sie sprichwörtlich „intus“ hat und dann aus sich heraus wiedergeben kann, dauert unter Umständen ewig. Jeden Tag habe ich mir den Garten angeguckt, aus verschiedenen Perspektiven, bis letztlich eine Essenz übrig geblieben ist, die keine räumliche Perspektive im klassischen Sinne mehr aufweist. Am Ende muss man eine eigene Sprache entwickeln: hier ist der Baum, ein Strauch, der Rasen… Das bildet zunächst das Vokabular und wenn du alles erfasst hast, dann ist das die Sprache, in der man das Bild wiedergeben kann. Letztlich ist das ein endloser Prozess des Verinnerlichens. Man arbeitet sich an einem Gegenstand ab. Ich würde sagen, dass das etwas ist, was uns verbindet. Eine Verengung oder Konzentration auf einen Gegenstand, die dann in die Tiefe führt.
Wolfram Ebersbach: Ja, genau. So war das für mich auch mit dem Bahnhof. Als ich mich nach langer Beobachtung mit einem länglichen Aquarellblock hingesetzt habe, da hat mir richtig das Herz geflattert. Ich war aufgeregt und zudem haben mir die Menschen über die Schulter geguckt. Das war mir peinlich.
Matthias Weischer: Im Atelier ist man geschützt und wenn man vor Ort draußen arbeitet, sind da immer Leute. Gleichzeitig muss man sich konzentrieren, den Gegenstand verinnerlichen, um die Formel zu knacken. Wenn dieser Moment eintritt, merkt man das sofort. Dann muss man gar nicht mehr so viel hingucken, nur noch förmlich zur Bestätigung. Das ist auch der Moment, wo man auf dem Blatt oder der Leinwand freier wird. Es geht schließlich nicht um ein mimetisches Abkupfern, sondern um die essenzielle Erfassung eines Objektes, die eigene Interpretation. Daher freue ich auch über das kommende Alter. Die dreißig Jahre, die zwischen uns liegen, bedeuten nicht nur ganz unterschiedliche sozialgeschichtliche Prägungen, sondern auch dreißig Jahre mehr Malerei-Erfahrung. Jahre, in denen man mehr verinnerlichen kann und dann auf diese Erfahrung zurückgreift. Das würde nicht passieren, wenn man nur vom Foto abmalen würde. Man würde nicht zu dem gleichen verinnerlichten und auch abrufbaren Verständnis kommen. Das ist der eigentliche kreative Prozess, man malt nicht einfach nur ab. Man fliegt förmlich und muss letztlich auch nicht mehr komponieren.
Wolfram Ebersbach: Genau. Man kann dann auch nicht mehr erklären, wann ein Bild fertig ist, man weiß es einfach und es stimmt.
Matthias Weischer: Das hat weniger mit Wissen zu tun, als mit Erfahrung und mit Gefühl. Man gibt etwas von sich selbst in das Bild, es drückt eine Beziehung zwischen dir und dem Gegenstand aus. Schließlich vermittelt das auch das Bild selbst. Mit den Leipzig-Bildern von dir, Wolfram, geht es mir immer so. Wenn ich sie mir intensiv angucke und dann durch die Stadt gehe, sehe ich sie mit anderen Augen. Du verleihst mir einen anderen Blick auf die Dinge. Das würde nicht passieren, wenn du nur vom Foto abmalen würdest. Es ist einfach eine andere Raumauffassung und damit meine ich nicht nur die Perspektive, sondern vor allem auch die Emotionen, die mit den dargestellten Dingen verbunden sind. Das ist vermutlich, ganz allgemein gesagt, das, was Malerei, was Kunst mit einem macht, dass man irgendwie verändert auf die Welt guckt.
Wolfram Ebersbach: Das ist richtig und letztlich aber auch Motiv-unabhängig. In dieser Ausstellung zeige ich fast ausschließlich städtische Ansichten, aber früher habe ich fast nur Landschaften gemalt. Zum Beispiel habe ich ein Braunkohleabbaugebiet gemalt. Ich fand das faszinierend, surreal, wie ein Albtraum. Diese riesige Schlucht, der Raum, der da entstanden ist, das Loch, das sich in der Erde aufgetan hat. Insofern würde ich sagen, dass es sich gar nicht unbedingt besonders unterscheidet, ob man Landschaften malt, Berge, Schluchten oder Stadtlandschaften. Eine riesige Wand oder eine Ebene sind letztlich alles Flächen und Lichtfecken, die darauf fallen. Für mich ist das beides ein Spiel zwischen hell und dunkel, nur dass Städte geordneter sind und die Natur chaotischer.
Matthias Weischer: Genau deshalb habe ich japanische Gärten gemalt. Sie sind zwar Natur, aber alles ist geplant: Selbst die Blickwinkel, die man einnehmen kann, jeder Stamm, jeder Ast, ist streng gestaltet.
Wolfram Ebersbach: Was mich an Malerei fasziniert, ist die objektive Abstraktion. Die Abbildung mit Dunkelheiten, mit Schwärzen, mit Licht, Weiß-Weiß-Verbindungen, die Gegenstände gliedern wie eine Skulptur. Das ist Magie und es bleibt ein Geheimnis.
Letzte Änderung: 28.05.2024 | Erstellt am: 28.05.2024
Kunstausstellung
43/73
WOLFRAM EBERSBACH
MATTHIAS WEISCHER
Wann
Die Ausstellung wird gezeigt vom
19. April bis 12. Juni 2024
Wo
Marburger Kunstverein
Gerhard-Jahn-Platz 5 (Biegenstraße 11)
35037 Marburg
Eintritt frei
Öffentliche Führungen
jeden Samstag ab 16 Uhr
mit Sarah Steger
Finissage
Mittwoch, 12. Juni 2024, 18 Uhr
Rundgang durch die Ausstellung und
Gespräch mit den Künstlern
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