TIERE SCHAUEN DICH AN!

TIERE SCHAUEN DICH AN!

Fotografie-Ausstellung in Wiesbaden
Max Baur: Siamkatze, Wernigerode, 1927 | © Kleinschmidt Fine Photographs e. K.

Tiere schauen uns an. Warum tun Sie das? Sie schauen uns an, damit wir Menschen sie sehen. Tiere wollen, indem sie uns direkt anschauen, dass wir ihren Blick erwidern. Der Frage warum wir Tiere ansehen, ging der Kunstkritiker John Berger nach. Das Tier ist – so Berger – die erste Metapher für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, weil ihre Beziehung eine Metaphorische ist. Die Begegnung von tierischem und menschlichem Blick konstituiert erst Differenz und Gemeinsamkeit.

Tiere schauen uns an. Warum tun Sie das? Sie schauen uns an, damit wir Menschen sie sehen. Tiere wollen, indem sie uns anschauen, dass wir ihren Blick erwidern. Sie bieten uns ihre Gesellschaft an. Ohne diesen wortlosen Dialog mit dem Tier ist der Mensch nur einsam in der Welt. Jedes Tier birgt ein Geheimnis, das es niemals offenbart. Tiere sind darum Boten der Ahnen und Götter in vielen Kulturen. Damit üben sie eine magische Funktion für uns aus. John Berger fragte sich einst in seinem berühmten Essay: Warum sehen wir Tiere an? Seine kurze Antwort lautet so: Indem wir Tiere ansehen, erkennen wir uns selbst im Fremden wieder. Tiere verbinden von jeher die Menschen mit ihrer Herkunft, ihrem Ursprung. Wie ein letzter wortloser Zeuge aus ferner Vorzeit, aus einer Welt, die nur dem ‚Zeigen’, nicht aber dem ‚Sagen’ traut.

Ein Tier zeigt uns stets an, wenn es in unsere Obhut will. Ist es hungrig, kratflos gar, in Not versehrt oder sogar verletzt? So sucht es den Blick, den Kontakt zu uns, die Wärme. Tiere haben Gründe, warum sie in die Nähe des Menschen wollen. Dem Wetter und Wind, der Kälte und Sonne Tag und Nacht ausgesetzt, haben sie viel Hunger. Meist auch sind sie auf der Flucht. Immer suchen sie Futter, Raum, Ruhe, Schutz und Wärme. Natürlich verfügen sie über einen guten Instinkt, wer ihnen dabei helfen kann. Menschen haben dies alles in der Regel. Tiere der Wildnis fordern von uns Geduld. Sie sind schlau, scheu und stark. Und sie lieben den Menschen, der Sanftmut zeigt, weil eben dieser so ihre Wildheit achtet und erkennt.

Die Geschichte des Dialogs zwischen Mensch und Tier ist unheilvoll für letztere. Die Historie zeigt: Der Mensch sieht im Tier zumeist nur öde sein „Recht”, sich das Tier untertan zu machen. Von „Hegen” oder „Hüten” der Tiere, wovon das Bibelwort spricht, war bald keine Rede mehr. Gottes Wort wurde zuoft missachtet: Es regnete ohne Unterlaß; und die Sintflut kam. Allein die Arche Noah verhieß Hoffnung für Mensch und alle Tierarten. Endet die Geschichte des Dialogs zwischen Mensch und Kreatur vor allem als Geschichte der Gewalt?

Meist geprägt von derlei Unterjochung, Überwältigung und Unterwerfung missachten wir ohne Not jene Geschöpfe: Wir schänden, schinden und schächten Tiere. Wir töten und wir essen sie. Wir brauchen sie als Lastträger, Nahrung, wegen ihrer Häute. Wir quälen sie dubioser Erkenntnis wegen – wie etwa Mäuse und Ratten im Labor. Küken werden grausam geschreddert – millionenfach. Und immer müssen sie für eine Instrumentalisierung herhalten. Sogar in bettreifer Zierde als Kuscheltier vegetiert der Teddybär. Noch im Comic ist das so. Walt Disney lässt im Kitsch grüßen. Auf Augenhöhe geht da nicht.

Doch diese Donald Duck Story kommt an ihr Ende. Denn in naher Zukunft gibt es alsbald keine Wildtiere mehr. Der rohe Mensch hat längst seinen Ursprung vergessen. Einst lebte er friedlich mit den Tieren in der Welt. Das ist mit Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies perdu. Adam und Eva fahren heuer SUV mit Breitreifen und halten blind drauf. Alles Getier, was ihnen unter die Räder kommt, ist Matsch. Tote Tiere pflastern den Weg. So weit nach Arkadien.. Dabei gab schon der weltweit erste Liebesroman und Hirtenroman des Griechen Longos zum Ende des 2. Jahrhunderts mit Daphne und Cloé gleichsam den Paradefall der Bukolik ab in der Spätantike – bis heute unerreicht: und Beispiel, was Tierliebe adelt.

Heute werden Tiere in bislang nie gekannter Achtlosigkeit und Gleichgültigkeit vergrämt. Von Eltern etwa, denen ihr Handy wichtiger ist als ihr Kind – oder eben das Tier. Mit dem iPhone vor dem Kopf sieht man nichts. Ein Medium allein nimmt nicht wahr. Darum öfter gequält und gestalkt von um Aufmerksamkeit buhlenden, weil nicht beachteten Plagen. Noch eifrig verjagt von Beamten, Bürokraten, Gärtnern und Polizisten, selbige pflichtgemäß ungerührt, die ihren Dienst zwar für das Gemeinwohl, nicht aber für das Tierwohl tun. Oder von Tierhassern verfolgt, zudem häufig mit Rachsucht, mitunter von allerlei Spießern, nicht selten gar gehetzt von deren Hunden, die von der sonst 50 Meter langen Leine sind, wie ihre gern arglos tuenden Frauchen und Herrchen: Der spielt nur!

Die Tiere sprechen nicht zu uns. Zumindest verstehen wir sie in der Regel nicht. Sie klagen nicht. Sie bleiben zu alledem stumm. Das haben Werke wie Tiere gemein: Sie reden nicht, sie zeigen nur still. Aber sie zeigen sich uns Menschen, wie wir sie ansehen und erkennen sollen: frei! Warum achten wir sie nicht? In einem Frühwerk aus dem Jahr 2000 fragt sich Jan Wenzel im Bildtitel: How to catch a Bird? Die Antwort ist damals filmisch-stotternd-stumme Prosa aus dem Passbild-Automaten. Sie lautet schlicht: gar nicht! Zumindest nicht, solang und soweit der Vogel noch lebt. Erst, wenn seine Zeit um und vorbei, er also nicht [mehr] ist, lässt er sich fangen: So gefangen allein im Käfig der Ewigkeit. Als das Millenium sich selber als Kunst im Großformat feiert, startet er mit einer Werkserie, die an Winzigkeit im Format nicht zu unterbieten ist. Titel: Tote Tiere. Kurz gesagt, geht es darin darum, wie das zur Schönheit gewordene Ornament im Tod des Tieres sich erst zeigt. Unter der Oberfläche scheinbarer Kälte in der Betrachtung verbirgt sich jene wundersam schöne Paradoxie der Freiheit, die der Wildheit radikal bedarf, die alle Tierwürde bedingt.

Die Würde der Tiere ist offenbar trotz Artikel 20a GG jederzeit und ubiquitär antastbar. Am Umgang mit den Tieren wird unsere Epoche sich einst messen müssen. Und ja: es gibt Nutztiere, die haben viel zu tun. Dann gibt es Haustiere, die haben es – zumeist – gut. Der Jurist nennt sie nicht ohne Grund ‘Luxustiere’. Und da gibt es noch die Wildtiere, die wie Waschbär, Wildgans und Wolf zum Abschuss frei gegeben sind: Jagdwild ohne Lobby! Jäger indes stellen darob – sie schwimmen gern und sooft mit dem Strom – nicht immer eine üble Lobby für sich. Dem Jäger I (2000) im Bild oben warf man gar vor, er habe Wildvögel leiden lassen, was für ein zartes Gemüt zu viel war. Das war üble Nachrede. Er beging Suizid.

Achtung und Respekt vor der Natur fehlen indes überall auf der Welt. Die Umwelt geht so vor die Hunde. Die wahre Plage auf dem Planeten Erde sind wir aber wohl selber. Die ‘Krone’ der Schöpfung gibt sich derweil ätzend und armselig. Allein der Mensch kennt Krieg und Lüge. Er sagt zum Vorteil nur, was nicht ist. Überall herrscht also, ganz medioker, große Ungerührtheit. Dieser Anschein von gehabter und gestellter Coolness ist ein bloß genuin übler Reflex steten Lügens – Gestus der Gestrigen aus der Generation Immersatt. Auch Digitaliserung fördert sie. Die Kunst geht allein in Zeiten des Wohlstands diesen bequemen Irrweg. Woher rührt und vor allem wohin führt er uns? Warum diese Brutalität in der Tierhaltung? Wieso diese Bestialität überall bei der blinden Zerstörung von Lebensraum. Und wer führt hier Krieg gegen wen?

Dass der ‘Krone der Schöpfung’ keine Krone gebührt, das wissen wir längst aus dem Staatsroman Gullivers Reisen von Jonathan Swift. Im vierten Teil seines Reiseberichts, der betitelt ist mit ‘Reise nach dem Lande der Houyhnhnms’ trifft Lemuel Gulliver, als Schiffsarzt zu fernen Völkern unterwegs, auf seltsame Pferdewesen, die ihn in jeder Sekunde seines Daseins lehren, wie überlegen ihre Rasse gegenüber dem Menschen ist: Sie sind anmutig, gelehrig, rational und dabei voller Sanftheit, Scharfsinn und Schönheit – letztere nur von ihrem Gerechtigkeitssinn und ihrer sagenhaften Pferdestärke überboten. Es ist Swifts Verdienst im Jahr 1726 – mitten hinein in das hehre Zeitalter der Aufklärung – den Bürger im Ausgang aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit just dahin, in den Staub selbiger, zu stoßen. Als nämlich Gulliver, alsdann Kapitän, auf der Insel auf jene Yahoos, stinkig-stumpf-stupide Affenwesen im Rudel trifft, da räsoniert er kraft einer nicht zu leugnenden Ähnlichkeit, dem das Grausen jäh zur Selbsterkenntnis hilft, ja reift, diese also seien Wesen wie er.

Roger Ballen: Puppies in Fishtanks, 2000 | © Foto: Kleinschmidt Fine Photographs e. K.

Gullivers Abscheu vor der eigenen Gattung taugt fortan zum Paradigma, darin seiner Zeit weit, weit voraus – der indes mit einigen Zeitaltern Nachlauf. Auch die Ausstellung zeigt uns Hybris und letzte Idyllen, die wir fraglos mit im Auge haben, neben dem Scheitern im Dialog zwischen Mensch und Tier, der letzthin besonders fraglich bleibt. So gesehen ist das ‘Getriebschwein’ der Yvonne Diefenbach, das im Mittelleib künstlich, kunstvoll getrieben scheint, als Beispiel gar nicht unzeitgemäß. Dabei wirkt die technoide Prophetie auf das Wohl des Tieres ganz ungut. Die Sichtweisen sind im Übrigen prominent divers ins Werk gesetzt und reichen – freilich in Auswahl nur Weniger – von dem Inbild aller Fotoreporter Paul Almasy über die bizarren Kammerspiele mit Tieren des Roger Ballen bis hin zu jener Siamkatze von Max Baur. Sie etwa ist eine Sphinx, die den Betrachter seltsam in den Bann zieht, ihr Rätsel so im Blick birgt. Sie zeigt, offenbart sogar teils, sich stumm.

Andacht, Demut, Mitleid oder das Sehen selber als Prozess – das sind die Quellen der Kunst, die niemals versiegen. Zum Teufel also mit der Ungerührtheit. Sie ist hohl. Geboten sind Achtung und Respekt vor der Schöpfung. Wir leihen und teilen die Welt von und mit den Tieren. Die Zoos der Welt sind die wohl traurigste Sammlung ungeteilter, gebrochener Blicke. Das Zootier zieht sich in sich zurück. Es blickt uns nicht an. Es schaut total apathisch, gleichgültig, teilnahmslos ins Leere – wie durch uns hindurch. Denn es lebt dort sozial prekär am Minimum. Solang aber ein Wildtier uns ansieht, gilt der Gesellschaftsvertrag. Der ist das Geheimnis von Mensch und Tier. In der Genesis haben Tiere, 1. Mose 20-25, sogar ältere Rechte und ausdrücklich Gottes ersten Segen. Mit diesem Zuspruch des ersten Segens finden die Tiere nicht nur fernab Gottes Gnade, sondern vielmehr explizit dessen oberste Billigung. Gott adelt den Urzustand, den jede Kreatur verkörpert.

Erst die Segnung aller Tiere, “ein jedes nach seiner Art”, sichert das Programm der Schöpfung ab, indem jene wie ein Gesetz fortwirkt, ist sie damit quasi der erste göttliche rituelle ‘Rechtsakt’. Fische, Insekten, Vögel, Säugetiere: Sie kommen vor Adam und Eva auf die Welt – am 5. Tag der Schöpfung als Fische im Wasser und Vögel im Himmel und am 6. Tag als Tiere der Erde. Allen Tieren gemein ist: Sie haben zwei Augen. Diese schauen Dich an. Tiere beobachten genau. Sie registrieren ihre Umwelt überaus scharf. Aufmerksam wie ein Seismograph. Manchmal warnen sie uns auch nur mit ihrer Flucht. Ohne die Tiere in Freiheit – als Wildtiere der Welt – ist der Mensch bald am Ende der Geschichte: und allein.

Text: Klaus Kleinschmidt

Letzte Änderung: 28.12.2023  |  Erstellt am: 28.12.2023

Gruppenausstellung
TIERE SCHAUEN DICH AN!

Mit Werken von:

Paul ALMASY
Roger BALLEN
Max BAUR
Yvonne DIEFENBACH
Walter HEGE
Eleanor MACNAIR
Ramune PIGAGAITE

Dauer der Ausstellung:
bis 26. Januar 2024

Kleinschmidt Fine Photographs
Steubenstraße 17
65189 Wiesbaden

www.klauskleinschmidt.de

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