ONE WOMAN SHOW

ONE WOMAN SHOW

Fotografie gezaubert aus Knete: die wunderbare Sicht der Eleanor Macnair
Eleanor Macnair: aus der Serie 'Signs', 2023 (Keith Arnatt: I'm A Real Artist, 1972) | © Kleinschmidt Fine Photographs

"Es geschehen immer noch Zeichen und Wunder. Erstere stammen von der britischen Künstlerin Eleanor Macnair und letztere sind ihre Geschöpfe. SIGNS heißt da die brandneue Ausstellung der wunderbaren Eleonor Macnair lapidar. Der Titel ist eine Huldigung an das große Vorbild Gillian Wearing, der Meisterin der Masken wie des Vexierbilds, deren ähnlich tönende Werkserie im Originaltitel ungleich länger ausläuft. Ihre neuen Werke sind in der Wiesbadener Galerie von Klaus Kleinschmidt zu sehen.

Der Ausstellungstitel SIGNS ist mehr als nur eine griffige Kurzformel. SIGNS stellt ein ganzes Konzept dar: Was Fotografie war, dann in Nachahmung Knetbild ist, wird wieder zur Fotografie.

Eleanor Macnair ist damit – neben der ebenso großen Knete-Artistin Nathalie Djurberg – das weibliche Pendant im Trio und Demiurgin in der Kunstwelt der zeitgenössischen Fotokunst. Frank-frech-fröhlich hat sie allerlei Ikonen der Fotohistorie – gewissermaßen nach der Fotografie – geknetet und gewalkt. Und mit dieser ihrer Fingerfertigkeit der Transformation deren Werke wie deren Stellung neu gedeutet und gewichtet. So entstand über die Jahre eine Art Who is Who der Fotografie. Das Konzept ist genial wie simpel: Nach dem Original [Fotografie] wird zuerst mal ein Knetbild gemacht. Nach dessen Fertigstellung und Vollendung wird das Knetwerk, das auf eine berühmte Ikone der Fotografie rekurriert, noch an der Wand ins Porträtlicht gesetzt und schließlich fotografiert. Das Original aus Knete wird am Ende zerstört und als Masse nach Farben sortiert recycelt. Die doppelte Umwandlung bewirkt so eine Reflexion von Form und Inhalt zudem. Das finale Werk gleicht nicht selten einer Offenbarung.

Eleanor Macnair knetet und kreiert – seitdem ihr eines späten Abends im Jahr 2013 in London beim Workout nach Feierabend diese verrückte Idee zum Relaxen überkam. Ihren Job in der National Portrait Gallery hatte sie just beendet. Tagsüber nun im Job im Science Museum noch die Ikone vor Augen, abends das Werk flugs auf dem Küchenbrett geknetet. Und sie tut das alsbald ganz furios. Ihre Figuren fühlen beinah mit ihr mit: Enttäuschung findet sublim ins Antlitz, Melancholie subtil in die Pupillen, Traurigkeit superb in den Blick. Noch den Anflug zarter Verbitterung zaubert sie um den Mund oder den Hauch jäh aufkommender Frustration in die Wangen ihrer Knetfiguren hinein. Das Ergebnis übertrifft mitunter das ohnehin schon oft gloriose Vorbild, das als Porträt die Vorlage bildet. Das meist kunterbunt gehaltene Knetbild aus Kinderknete lässt den Betrachter verblüfft zurück: Wie wunderbar! Ist das schon Magie oder noch Photographs rendered in Play-Doh?

Derweil sind so viele Ikonen aus dem Olymp der Fotografie vertreten. Darunter auch Künstler der Galerie. Die ganze Liste an Knetwerk von 2013 bis 2023 ist dabei längst sechs veritable One Woman Shows lang. Nebenbei lernt der Bewunderer wie im Spiel ‚ihre’ Fotogeschichte. Nicht ganz ohne Stolz verweisen wir darauf, dass die Künstlerin in der Ausstellung ‘Home Sweet Home’ bald mit drei Werken zwischen einer runden Hundertschaft berühmter Originale der Moderne, jene verbürgt ganz echt-seriös in Ölfarbe oder in Ölkreide, von Beckmann, Bonnard, Degas, Chagall, Kirchner, Kollwitz, Macke, Modersohn-Becker, Munch, Münter, Pechstein, Picasso bis Schmidt-Rotluff und weiteren in Ingelheim hängt. Auch die andere Knetvirtuosin, Nathalie Djurberg, ist dort mit dabei.

Eleanor Macnair: aus der Serie 'Signs', 2023 (Martin Parr: I am Really Cross, Anti Brexit Marsch, Bristol, 2019) | © Foto: Kleinschmidt Fine Photographs

Vom Dichter, Poeten, Maler, Zeichner Wilhelm Busch [1832-1908] stammt das Bonmot als Reim: “Wie wohl ist dem, der dann und wann, sich etwas Schönes dichten kann.” Er konnte bissig sein. Bilder mit Humor und Reimen waren sein Elixier. Mit Replik auf ihn lässt sich über die so wunderbare Eleanor Macnair sagen: Auch sie ist mit ganzer Seele Dichterin. Nur, dass sie sich in Knete ausdrückt. Ihre Werke sind Poesie mit einer extra Portion Prosa darin. In SIGNS trägt der Bürger die Botschaft direkt als Programm der Ästhetik bei. Der steht also in bester politischer Tradition der Angelsachsen für seine Sache ein. Das ist nicht untypisch für den Empirismus der Briten im Diskurs der Kunst. Und gut so.

Die Frau hält im Frust ihr Schild hoch. Darauf steht: “I am Really Cross.“ Martin Parr fing das Bild ein, als die geladene Stimmung vor dem Brexit 2019 in Bristol kippt. Eleanor Macnair griff das Foto als Idee für ihr Werk sofort auf. 2023 knetet sie los. Mit Hackbrett, Weinflasche, Werkmesser. Alltag, Ästhetik, Politik bilden ein Scharnier im Werk von Eleanor Macnair. Alles Krude taugt zum Credo: gegen Armut, Apartheid, Brexit, Eliten, Gewalt, Justiz, Krieg, Manipulation, Nationalismus, Populismus, Rassismus, Sexismus, Staat, Willkür. Auf dem Banner findet noch jede Form der Unfreiheit, Ungerechtigkeit, Ungleichheit oder Unterwerfung zur Polis. Das Rohe und das Zarte, Diktatoren und Kunst, stehen sich in der Ära Erdogan, Orban, Putin, Trump, Wilders folglich frontal im Argwohn gegenüber. SIGNS ist da im Wortsinn Aufstand und Demonstration der Unbotmäßigen im Kulturkampf für die Demokratie gegen Diktatoren. Darf Kunst so plakativ sein? „Darf?“ Sie muss. Stand up!

Wer nun allerdings glaubt, Eleanor Macnair sendet in ihrer aktuellen Werkserie SIGNS nur schlicht simple Botschaften mit politischen Statements aus, der sieht sich abermals auf dem Irrweg. Denn die leicht lesbaren Botschaften, so plakativ sie auch, in Versalien zumal, auf dem Banner prangen, sind oftmals voller Ambivalenz, Humor, Ironie oder Komik. Das tritt in den Werken von Keith Arnatt, William Carnago, André Tót, Diane Wakoski und Gillian Wearing deutlich zutage: Deren Botschaften wie “I ‘M A Real Artist“ (Arnatt) und „This Area Will Gentrify Soon” (Camargo) und “Nowhere” (Tót) und „No More Art“ (Wakoski) und “I ‘M Desperate” (Wearing) sind doppeldeutig und also keineswegs wörtlich zu nehmen. Im Gegenteil: Diese stehen sogar diametral zur Bildaussage. Sind also eher Comics mit Bildwitz und Sprachwitz – wie etwa die von Robert Crumb. Hier nur eben solche in Wort und Knete.”

Klaus Kleinschmidt

Letzte Änderung: 09.02.2024  |  Erstellt am: 09.02.2024

ELEANOR MACNAIR:
One Woman Show

SIGNS
Photographs rendered in Play-Doh

Eröffnung:
16. Februar 2024
18-20 Uhr

Dauer der Ausstellung:
9. Februar – 22. März 2024

Kleinschmidt Fine Photographs e. K.
Steubenstraße 17
65189 Wiesbaden

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