Odyssée privée

Odyssée privée

Barbarossamuseum Gelnhausen
Sarah Schoderer: Lärmende Poesie, 2022, Öl und Acryl auf Holz, 55 x 43 cm

Das FRANK* Netzwerk ist konzipiert als lose Gemeinschaft von Künstlerinnen, die in verschiedener Weise mit der Stadt Frankfurt verbunden sind. Was alle verbindet, ist die die jeweils individuelle, vertiefte Auseinandersetzung mit der Malerei. Diese macht das Netzwerk für Ausstellungen produktiv: als Schnittstelle, Reibungspunkt und Grundlage für Austausch. Dabei erstreckt sich die technische Bandbreite von einer eher traditionellen Umsetzung in Öl, Acryl oder Tusche auf Leinwand hin zu Positionen, die Malerei in den Raum erweitern. Derzeit im Netzwerk vertreten sind E.M.C. Collard, Isabel Friedrich, Ekaterina Leo, Justine Otto, Julia Roppel, Sarah Schoderer, Eva Schwab, Sigi am Thor, Tatiana Urban und Toni Wombacher.

Die Ausstellung “Odyssée privée”, die vom 28.04.-28.05.23 im Museum Gelnhausen zu sehen ist, nahm ihren gedanklichen Anfang am Eisernen Steg in Frankfurt. Dort liest man in großen griechischen Lettern ein Zitat aus Homers Odyssee: “Auf weinfarbenem Meer, segelnd zu anderssprachigen Menschen”. Dieses traumähnliche Bild aus den Abenteuern des Königs Odysseus war Impulsgeber für eine Schau, die von der „privaten Odyssee“ des Kunstschaffens und dem persönlichen Lebensweg des/der Einzelnen in einer Ära multipler Krisen handelt. Es geht um Irrwege, auf denen man sich verliert und findet, Turbulenzen und Resilienz, das Eigene und das Fremde. Und um die Möglichkeit, mit und durch Kunst zwischenmenschliche Verbindungen zu wagen und Gemeinsamkeiten zu finden.

Das Wort “privée”, das im Französischen für Privateigentum, Privatsphäre, ein Abgrenzen nach außen steht, regt Fragen nach dem eigenen, häuslichen Raum an, der gerade in der Pandemiezeit oft überstrapaziert wurde: In der Intimität des kollektiven Alleingangs, die uns durch Corona auferlegt wurde, war die „Odyssee“ der ureigenen, innerlichen Lebensreise mit ihren Höhen und Tiefen den Menschen nicht immer ins Gesicht geschrieben – vor allem dann nicht, wenn das besagte Gesicht einem auf Instagram facegetuned entgegen lächelte. Auch Anklänge nach den verschwimmenden Grenzen des Privaten zum Öffentlichen in unserer Zeit zunehmend hyper-transparenter und durch KI und Einflussnahme auch schon teilweise unwahrhaftiger Medien, in der Privatsphäre neu definiert werden muss, finden sich im Titel wieder.

E.M.C. Collard: strawberries contre-jour, sunrise, 2023, Öl und Acryl und Pigment auf Leinwand, 40 x 50 cm

In der umarmungsarmen post-Covid Zeit soll jetzt gerade die Malerei, die seit der Antike (und noch länger) darauf beruht, dass eine Oberfläche an jeder Stelle mit einem Pinsel durchgekitzelt wurde, etwas Wahrhaftigkeit, Haptik und Wärme bieten. Oder vielleicht doch noch mehr Verwirrung? Im Gemälde Hunting ground I von Ekaterina Leo, das die Poster und Ankündigungen zur Ausstellung ziert, pirscht sich ein Jäger auf einem Ruderboot durch seichtes, neonfarbenes Gewässer. Dabei starrt er durch einen überdimensionierten Gewehrlauf, der ein Ziel außerhalb der Komposition anvisiert – ungefähr auf Höhe unseres rechten Schulterblatts, wenn wir direkt vor dem Bild stehen. Die Landschaft um ihn herum löst sich auf, Wasser und Himmel gehen ineinander über: der Jäger dagegen ist fokussiert und klar, nur auf seine Aufgabe konzentriert. Die Künstlerin fängt in ihrem Werk menschähnliche Wesen und in Metamorphose begriffene Tiere in einem schnellen, pastosen Farbauftrag ein: oft scheinen diese wie aus Träumen entsprungen, zwiespältig, hintergründig.

Im Gegensatz dazu stehen die hyperrealen Erdbeeren und seidigen Regenwürmer auf glitzerndem Grund von E.M.C. Collard: dünnschichtig aufgetragene Farbe und Glimmerpigment nehmen uns mit auf eine Reise aus dem Schlamm in den rosaroten Sonnenaufgang, hier ist alles prall und soft, man wiegt sich in surreal-lieblicher Sicherheit. Bei Sarah Schoderer geht es dann etwas derber zu: hier macht sich die gemeine Großstadttaube auf die Reise in einen bunten Technosplitter-Himmel. Ihr Federkleid schillert dabei verführerisch, ihr Blick lässt wissen: ‚I’m the main character‘. Schoderers Bildgegenstände sind oft übersehene, unscheinbare Figuren oder Objekte, die die Künstlerin aus ihrer Umgebung löst, um uns einen neuen, unverstellten Blick auf sie zu ermöglichen.

Im Zusammenspiel der Werke ergeben sich neue Geschichten, zwischen Installation und Foto-Objekt (Toni Wombacher, Sigi am Thor), filigranen abstrakt-pflanzlichen Strukturen und Landschaftsdarstellungen (Tatiana Urban, Julia Roppel), realistisch gemalten Figuren in Traumlandschaften, in-Auflösung-befindlichen Portraits und cartoonigen Gestalten auf ungewohntem, teils zart-auseinanderfallendem Untergrund (Isabel Friedrich, Justine Otto, Eva Schwab). Dass ausgerechnet der ursprünglich 1868 von Frankfurter Bürgern selbst finanzierte Eiserne Steg den Anfangspunkt bildete, ist irgendwie passend: es geht ums do-it-yourself, ums Teilen – von persönlichen Ideen, Sehnsüchten und Verbindungen, die wir durch Bilder, die in einer verunsichernden Zeit einen Nerv treffen, eingehen können. Das Bild ist der Brückenschlag.

Letzte Änderung: 23.04.2023  |  Erstellt am: 20.04.2023

Odyssée privée

mit:
E.M.C. Collard
Isabel Friedrich
Ekaterina Leo
Justine Otto
Julia Roppel
Sarah Schoderer
Eva Schwab
Sigi am Thor
Tatiana Urban
Toni Wombacher

Eröffnung
28. April 2023, 19 – 21 Uhr

Dauer der Ausstellung
28.04. – 28.05.2023

Museum Gelnhausen
Stadtschreiberei 3
63571 Gelnhausen

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10:30 – 16:30 Uhr

www.frankstern.de

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