DIAGNOSE: FEENHAAR

DIAGNOSE: FEENHAAR

Stefan Wieland bei Philipp Pflug
Stefan Wieland: GEWISS KLECKS WARUM FEENHAAR 71, 2024 | © Wolfgang Günzel

Die Werke von Stefan Wieland sind kleine Bühnenbilder, dramaturgische Episoden aus buntem Acrylglas und Acrylfarbe auf Leinwand gebannt. In der Galerie von Philipp Pflug sind neue Arbeiten nun in einer großen Einzelausstellung zu sehen.

KONSEQUENT DURCHGEZOGEN. EIN GESPRÄCH ÜBER KUNST

Sie atmen die Ästhetik der Neunziger, die Bilder des Städelschule Künstlers Stefan Wieland (*1970), eine Zeit als Techno für viele ein Lebensgefühl und alles irgendwie BOLD war. Es ist Frühjahr im Jahr 2024 und zum Anlass eines Gesprächs über seine Bildserie GEWISS KLECKS WARUM FEENHAAR treffen zwei Fremde aufeinander, deren generationaler Referenzrahmen kaum weiter auseinander liegen könnte: Christoph (*1969), ein Freund des Künstlers, und die Autorin (*1994) dieses Textes.

“Wie denkt jemand deiner Generation über die Arbeiten von Stefan Wieland?”, fragt Christoph, der vor zwanzig Jahren selbst einen Text zu Wielands Arbeiten verfasste. “Kannst du etwas mit den Werken anfangen?“ Ein Räuspern. “Was bewegt dich dazu, über seine Kunst zu schreiben?” “Etwas mehr über die Kunst im Allgemeinen und die Sicht Wielands auf die Malerei im Spezifischen zu erfahren”, gebe ich (wahrheitsgemäß) zurück. Das erleichterte Aufatmen auf der anderen Seite der Telefonleitung ist hörbar. Die beiden zusammengewürfelten Gesprächspartner nähern sich einander vorsichtig an.

„Wieland sagte, in seiner Bildserie, die PPC nun ausstellt, sei keine Reaktion auf das Weltgeschehen zu finden. Das erscheint beinahe kontrapunktisch zu einer jungen Gegenwartskunst, in der viele Arbeiten sich über politische Aussagen definieren”, taste ich mich weiter vor. “Christoph, in deinem Ausstellungstext von 2003 erwähntest du noch, dass Wieland sich in seinen Bildern auf aktuelle Ereignisse bezieht. Ist die neue Bildserie auch ein Rückzug aus einem politisierten Diskursraum, der die gegenwärtige Kunstszene umtreibt?” Christoph überlegt: “In den Neunzigern war Kunst schon auch immer politisch. Nur eben chiffrierter.”

Im selben Atemzug meint er, dass Wieland aber nie eindeutig gesellschaftspolitisch gearbeitet habe – also soweit das eben gehe; unpolitisch in einem politisierten Leben. “Wielands Herangehensweise an Kunst ist seit dreißig Jahren ein technisches und Malerei immanentes Experimentieren.” Es geht ihm um die Malerei als solche. Ein aktives Machen, Basteln, Möglichkeiten ausprobieren, das ist die Essenz seiner Kunst. “Ein Experimentieren auf hohem Niveau”, ergänzt Christoph, “etwa mit Lacken oder Silikon, um die Bildoberfläche immer wieder neu zu denken”.

Dass Malerei zutiefst physisch ist, ein Grundgedanke des Action Paintings, lässt sich aus Wielands Arbeitsmethode ablesen. Allerdings ohne das Drama eines großen Gestus oder die dazugehörige Spontanität. Wielands Arbeiten wirken sehr präzise und konzentriert; er überlagert verschiedene Materialien zu mehrdimensionalen Flächen, die schließlich ein Bild ergeben. “Das passt zu deiner Beschreibung seiner künstlerischen Arbeit als Handwerk, Christoph.”

“Ja”, stimmt dieser ein und schiebt gleich hinterher: “Dabei bedarf das Handwerkliche viel Wissen und Material. Ich sehe in seinen Bildern auch starke Popart Bezüge”.

“Pop-art! Witzig, na klar, das konnte ich nicht dingfest machen.” Durch Thomas Bayrle sei bei dieser Generation an Frankfurter Künstlern oft eine Nuance des Pop vorhanden, meint mein Gesprächspartner und fügt etwas verlegen an: „Das hört Wieland vielleicht nicht so gern.” “Das ist natürlich so eine Sache”, antworte ich, “die erbetene Diagnose kann man sich schlecht aussuchen.”

Tatsächlich spielt Wieland den Pinselstrich als Symbol der Malerei rauf und runter. Nicht als sublimes, erhabenes, kalligrafisches Symbol. Er legt ihn stattdessen in einem Vielfachen übereinander und macht ihn so zu etwas Seriellem. „Ist seine beinahe bildhauerische Auseinandersetzung mit dem Pinselstrich eine Persiflage?”, frage ich erst mich selbst leise und dann Christoph etwas lauter. Unter Umständen ja, aber dabei wohl auch ein genuines Nachdenken über den Ursprung der Malerei. “Was machst du aus den Kanten, die eine prominente Rolle in Wielands Bildern einnehmen?” „Früher wären die Kanten absolut scharf gewesen”, ist sich Christoph sicher. Wohingegen sie in der aktuellen Bildserie beinah ausfransen: Wieland stimmt manche seiner Bildhintergründe auf die darauf angebrachten Acrylglas-Elemente ab: den groben Bilduntergrund aus teils zusammengetackerten Leinwänden oder Jute besprüht er etwa oder schattiert die darauf angebrachten Pinselstriche aus untermaltem Acrylglas in poppigen Farben. Hier ist eine Entwicklung über die Jahre zu sehen.

Ein kühnes Selbstvertrauen bleibt Wielands Arbeiten ‘damals’ wie heute erhalten. “Ja genau, BOLD”, stimmt Christoph zu, “und fleißig”. Das sei so eine Sache dieser Generation, die sich die Nacht um die Ohren schlage, aber morgens um sieben mit dem Arbeiten beginne. Das klingt in jungen Ohren so, als hätten sie allesamt Hemingway mit der Muttermilch aufgesogen. Da überträgt sich eine Geisteshaltung in die Ästhetik, schließe ich und Christoph fragt skeptisch: “Findest du das relevant?” “Zumindest interessant!” Christoph plagt das Gefühl, dass die Neunziger heute out seien. Ich bin mir da nicht so sicher, zumindest haben sich heute die jungen Leute auch einige Codes der 90er wieder zu eigen gemacht, sie kommentiert, verändert oder ersetzt. Es ist das übliche Spiel der Wiederkehr von Stilen und Bewegungen. Da ist es etwas Besonderes, wenn jemand sein Ding konsequent durchzieht und doch am Zeitgeist dran bleibt.

Asta von Mandelsloh

Ausstellungsansicht

Letzte Änderung: 29.03.2024  |  Erstellt am: 27.03.2024

STEFAN WIELAND
DIAGNOSE: FEENHAAR

DAUER DER AUSSTELLUNG:
BIS 18. MAI 2024

PHILIPP PFLUG CONTEMPORARY
BERLINER STRASSE 32
60311 FRANKFURT AM MAIN

www.ppcontemporary.com

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