Warum Europas Green Deal ein soziales Upgrade braucht

Warum Europas Green Deal ein soziales Upgrade braucht

Nachhaltigkeit: Kooperation mit Impakter Magazine
Sydney Strike | © Wikimedia Commons

Während Europa seine emissionsintensive Industrie dekarbonisiert, steht seine Klimastrategie an einem Scheideweg. Mit Arbeitsplätzen und sozialer Gerechtigkeit auf dem Spiel – kann der Übergang vertiefte Ungleichheit verhindern?

Die Bestrebungen der Europäischen Union, bis 2050 klimaneutral zu werden, benötigen einen umfassenden Ansatz, der bei Strategien zur Dekarbonisierung der Industrie auch soziale Aspekte berücksichtigt. Während Europa den Weg zum Netto‑Null‑Ziel massiv beschleunigt, wird die Frage, wer die Kosten trägt, zunehmend dringlicher. Ohne eine soziale Dimension werden Regierungen Klimapolitiken nicht umsetzen oder durchsetzen können – aufgrund mangelnder politischer Unterstützung.

Obwohl die Dekarbonisierung sauberere Luft und eine widerstandsfähigere Wirtschaft verspricht, ist der Weg dorthin steil – insbesondere für Beschäftigte und Gemeinschaften, die von energieintensiven Industrien abhängen.

Stahl-, Zement-, Aluminium- und Chemieindustrie – Säulen der europäischen Industrie – gehören gleichzeitig zu ihren größten Emittenten. Für Menschen, die auf diese Sektoren für ihre Arbeitsplätze und die regionale Prosperität angewiesen sind, könnte der grüne Wandel besonders hart treffen.

Um diesen Balanceakt zu meistern, hat die EU zunehmend das Konzept eines „gerechten Übergangs“ („just transition“) übernommen – mit dem Anliegen, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern so zu gestalten, dass soziale Ungleichheit nicht verschärft wird und gefährdete Regionen nicht zurückgelassen werden. Doch angesichts des Drucks auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und der geopolitischen Unsicherheiten im Energiesektor erweist sich die Umsetzung dieser Zusage als außerordentlich herausfordernd.

Ein unzureichender Rahmen?

Das Aushängeschild dieser Bemühungen ist der Just Transition Mechanism (JTM), der 2020 ins Leben gerufen wurde, um kohleabhängige Regionen bei der Diversifizierung ihrer Wirtschaft, der Umschulung von Arbeitskräften und der Anwerbung grüner Investitionen zu unterstützen. Ziel ist es, bis 2027 bis zu 55 Milliarden € freizusetzen – durch einen speziellen Fonds, Investitionsgarantien und Darlehen für öffentliche Projekte.

Der JTM war ein wichtiger Schritt, um die soziale Dimension der Klimapolitik zu verankern – viele Expert:innen argumentieren jedoch, dass sein Umfang bei Weitem nicht ausreiche. Sein enger regionaler Fokus schließe andere stark betroffene Sektoren – etwa energieintensive Industrien (EIIs) – aus, die ebenfalls massivem Dekarbonisierungsdruck ausgesetzt sind. In Branchen, in denen Emissionen tief in den Produktionsprozessen verankert sind, blieben Arbeitsplatzverluste und Verlagerungen ins Ausland ein hohes Risiko.

Darüber hinaus zeigt die Abhängigkeit des JTM von nationaler Kofinanzierung erhebliche Unterschiede in der fiskalischen Leistungsfähigkeit zwischen wohlhabenderen und ärmeren Mitgliedstaaten auf. Einige Regierungen könnten Schwierigkeiten haben, ambitionierte Übergangsmaßnahmen umzusetzen – insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Regionen, die bereits mit Ungleichheit und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben.

Plädoyer für einen sozialen Industriepakt

Viele Fachleute sehen den Bedarf an einem umfassenderen, integrierten europäischen Ansatz, der Dekarbonisierung mit sozialer Investition und wirtschaftlicher Resilienz verbindet. Die Europäische Kommission hat mit dem Clean Industrial Deal kürzlich einen Schritt in diese Richtung vorgeschlagen – mit Fokus auf Skalierung grüner Technologien, Stärkung von Lieferketten und Ausbau strategischer Autonomie. Doch sein Erfolg hängt entscheidend von einem ergänzenden Element ab: einem sozialen industriellen Deal.

Ein solcher Deal würde die bisherige politische Grundlage erweitern – nicht nur auf Kohleregionen, sondern auch auf energieintensive Branchen und die Automobilindustrie. Diese stehen vor einer tiefgreifenden industriellen Transformation, getrieben durch Klimaziele, Automatisierung und globalen Wettbewerb. Zu den notwendigen Maßnahmen gehörten neue finanzielle Mittel für Umschulung, Mobilität der Arbeitskräfte und inklusive Innovation – damit die grüne Wirtschaft nicht nur sauberer, sondern auch gerechter wird.

Zudem müssen Europas Arbeitsmarktdaten und Klassifikationen grüner Berufe dringend verbessert werden. Ohne präzise Messgrößen und Prognosen riskieren politische Entscheidungsträger Maßnahmen, die im Dunkeln tappen – was die Wirksamkeit sozialer und arbeitsmarktbezogener Ausgleichsmechanismen untergraben würde.

Den gerechten Übergang exportieren

Über die Grenzen Europas hinaus weiß die EU zunehmend, dass der Erfolg ihrer Klimapolitik auf internationaler Zusammenarbeit beruht. Saubere Technologien benötigen globale Lieferketten, und Europas Bedarf an grünem Wasserstoff, kritischen Mineralien und Solarteilen schafft neue geopolitische Dynamiken. In diesem Kontext sollte das Prinzip des gerechten Übergangs nicht an Europas Grenzen enden.

Zwei neue Instrumente – die Clean Trade and Investment Partnerships (CTIPs) sowie die Trans-Mediterranean Energy and Clean Tech Cooperation Initiative – zielen darauf ab, Europas Beziehungen mit rohstoffreichen, erneuerbaren Partnerländern, insbesondere in Nordafrika, zu stärken. Diese Instrumente könnten der EU den Zugang zu grünen Energiequellen wie Wasserstoff sichern – während Partnerländern Teilhabe an der Wertschöpfung ermöglicht wird.

Doch die Glaubwürdigkeit dieser Initiativen hängt davon ab, was Europa zu bieten hat. Technologietransfer, Kapazitätsaufbau und fair finanzierte Beiträge sind entscheidend, wenn die EU von extraktiven Beziehungen zu echten grünen Industriepartnerschaften übergehen will.

Italien und der Mattei-Plan: Eine mediterrane Neuausrichtung

Für Italien ergibt sich hier eine Chance: Mit dem Mattei-Plan möchte Rom seine außenpolitische Stimme stärken – insbesondere in der Mittelmeerregion und Subsahara-Afrika. Der Plan zielt darauf ab, gerechtere Partnerschaften zu schaffen, basierend auf gemeinsamen Interessen in Nachhaltigkeit, Infrastruktur und wirtschaftlicher Zukunftsperspektive. Konkret bedeutet das: Investitionen in Erneuerbare, Förderung grüner Industrialisierung und Qualifizierung von jungen Arbeitskräften in schnell wachsenden afrikanischen Volkswirtschaften.

Kritiker warnen jedoch, der Mattei-Plan könne althergebrachte Top‑Down-Strukturen reproduzieren. Vertreter:innen der Afrikanischen Union und zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten Bedenken, dass italienische und europäische Prioritäten lokale Entwicklungsziele überlagern könnten.

Bleibt der Plan jedoch wirklich auf gegenseitigem Nutzen gegründet, könnte er als Vorbild dienen – um Prinzipien eines gerechten Übergangs in die EU‑Klimapolitik außerhalb Europas zu tragen. Ein Ansatz, der über klassische Entwicklungs‑ und Handelspolitik hinausgeht und strukturelle Ungleichheiten im globalen Energiesystem adressiert.

Ein Zeitfenster zum Handeln

Die kommenden Monate bieten ein entscheidendes Zeitfenster für konkrete Maßnahmen. Wenn der Clean Industrial Deal erfolgreich sein soll, muss ihm ein solides, inklusives soziales Rahmenwerk zur Seite stehen – eines, das Menschen in den Mittelpunkt des Übergangs stellt, nicht nur Emissionen.

Mit seinem geographischen und diplomatischen Gewicht hat Italien eine einzigartige Gelegenheit, voranzugehen. Durch die Ausrichtung des Mattei-Plans an den breiteren EU‑Zielen sowie koordinierte Investitionsstrategien in Afrika und dem Mittelmeerraum kann Rom dazu beitragen, die Lücke zwischen Europas Klimazielen und seinen sozialen Verpflichtungen – im In‑ wie im Ausland – zu schließen.

Während der Block auf die Klimaziele für 2040 zurast, geht es nicht mehr um die Entscheidung, ob gehandelt wird, sondern wie sichergestellt werden kann, dass der Übergang schnell, aber auch gerecht erfolgt.

Aus dem Englischen von Liam Grunsky

Letzte Änderung: 18.08.2025  |  Erstellt am: 21.07.2025

Den Originalartikel von IMPAKTER Magazine finden Sie hier.

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