Keine Einigung für das globale 1,5-Billionen-Dollar-Plastikproblem

Trotz monatelanger Verhandlungen in Genf bleibt das globale Plastikproblem ungelöst: 184 Staaten konnten sich nicht auf ein Abkommen einigen – während jährlich 500 Millionen Tonnen Plastik produziert werden und die Schäden für Umwelt und Gesundheit explodieren.
Vom 5. bis zum 15. August versammelten sich Vertreter:innen aus 184 Ländern in Genf, Schweiz, um das globale Plastikproblem zu erörtern. Die Beratungen führten letztlich zu keiner Einigung.
An einem Strand in Vung Tau, Vietnam, steht ein Mann, trinkt seinen Saft aus Plastikflasche leer und wirft diese – statt einen Müllbehälter zu suchen – einfach ins Meer. Warum sich die Mühe machen, wenn sie wahrscheinlich sowieso im Meer landen wird?
Vietnam ist Opfer der weltweiten Plastikverschmutzung und zugleich ein erheblicher Teil des Problems. Entlang der Küste sind die Strände mit Plastikmüll übersät. In einer aktuellen Studie wurden über 16.000 Gegenstände an 21 vietnamesischen Stränden erfasst – 96,48 % davon waren Plastik.
Die Plastikverschmutzungskrise wächst stetig – nicht nur in Vietnam, sondern weltweit. Mehr denn je sind Regierungen gefordert, in dieses gigantische Problem einzugreifen. Als am vergangenen Freitag die zehntägigen Vertragsgespräche in Genf endeten, blickte die Welt gespannt auf die Zukunft der Plastikregulierung. Das Ergebnis war jedoch zutiefst enttäuschend.
Das wachsende Plastikproblem
Jyoti Mathur-Filipp, Exekutivsekretärin des zwischenstaatlichen Verhandlungsausschusses (INC) für Plastikverschmutzung, erklärte: „Allein im Jahr 2024 wird die Menschheit voraussichtlich über 500 Millionen Tonnen Plastik verbrauchen. Davon werden 399 Millionen Tonnen zu Abfall.“ Mathur-Filipp leitete die Gespräche in Genf.
Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) wird sich die Plastikverschmutzung bis 2060 verdreifachen. Vom Mount Everest bis in die Tiefen des Marianengrabens – Plastik verschmutzt jeden Winkel unseres Planeten. Von den Milliarden Tonnen Plastikabfall werden weniger als 10 % recycelt.

Seit Beginn der Vertragsgespräche 2022 wurden über 30 Millionen Tonnen Plastik in die Weltmeere entsorgt. Die UNEP verglich diese Belastung mit 2.000 Müllwagen, die Tag für Tag Plastik in Flüsse und Ozeane kippen.
Eine der größten Sorgen im Zusammenhang mit dem globalen Plastikproblem ist das Austreten in die Umwelt – und die Folgen für die Gesundheit von Menschen und Tieren gleichermaßen.
Plastik und Gesundheit
Plastikverschmutzung verursacht jährlich gesundheitliche Schäden im Wert von 1,5 Billionen US-Dollar, so ein neuer Bericht der renommierten Fachzeitschrift The Lancet.
Der gesamte Lebenszyklus eines Einwegplastikprodukts ist für den Menschen schädlich. Schon in der Produktion werden große Mengen fossiler Brennstoffe eingesetzt, was enorme CO₂-Emissionen verursacht. 2019 erzeugte die Plastikproduktion rund 1,8 Milliarden Tonnen CO₂ – etwa 3,4 % der weltweiten Gesamtemissionen. Mit steigender Produktion dürfte dieser Wert weiter zunehmen.
Zudem sind Kunststoffe voller Chemikalien. Eine Studie identifizierte 16.325 verschiedene Substanzen in Plastik – teils absichtlich hinzugefügt, teils unbeabsichtigt während der Herstellung eingebracht. Das erschwert ein fachgerechtes Recycling erheblich. Wiederverwendung und Verbrennung können diese Stoffe freisetzen – ins Wasser oder in die Luft.
Weil Plastik so schwer zu recyceln ist, wird es viel zu oft zu Abfall. Gelangt eine Tüte oder Flasche ins Meer, zerfällt sie in Mikro- oder Nanoplastik. Fische fressen diese Partikel – und so gelangen sie schließlich auch auf unsere Teller.

Eine weitere Eintrittspforte sind Luft und Trinkwasser. Laut einer Studie von 2019 nehmen Erwachsene jährlich 39.000 bis 52.000 Mikroplastikpartikel auf. Wissenschaftler:innen haben diese bereits im Blut, in Organen und sogar in Muttermilch nachgewiesen.
Professor Philip Landrigan, Hauptautor des neuen Berichts, Kinderarzt und Epidemiologe am Boston College (USA), erklärte:
„Die Folgen treffen besonders verletzliche Gruppen – vor allem Säuglinge und Kinder. Sie verursachen enorme Kosten für die Gesellschaft. Es liegt an uns, entsprechend zu handeln.“
Der Globale Plastikvertrag: INC-5.2
Inger Andersen, Exekutivdirektorin des UNEP, stellte klar: „Wir können uns nicht allein durch Recycling aus der Plastikverschmutzung befreien. Wir brauchen eine systemische Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft.“
Da die Plastikverschmutzung weltweit anhält, war der Handlungsdruck auf Regierungen nie größer. Die INC-5.2-Gespräche in Genf waren bereits die sechste Verhandlungsrunde seit 2022. Die Welt wirkt gespaltener denn je.
Die INC-5-Verhandlungen fanden im November 2024 in Busan, Südkorea, statt. Sie sollten den Abschluss bilden, doch viele Staaten konnten sich nicht auf zentrale Punkte einigen.
In den vergangenen zwei Wochen kamen Diplomaten aus aller Welt in der Schweiz zusammen, in der Hoffnung auf einen Konsens zur Plastikregulierung.
Bei der Eröffnung am 4. August erklärte der INC-Vorsitzende Luis Vayas Valdivieso:
„Wir stehen vor einer globalen Krise – Plastikverschmutzung zerstört Ökosysteme, verschmutzt Ozeane und Flüsse, bedroht die Biodiversität, gefährdet die menschliche Gesundheit und trifft die Schwächsten am härtesten. Die Dringlichkeit ist real. Die Beweise sind eindeutig. Die Verantwortung liegt bei uns.“
Inger Andersen knüpfte daran an: „Fast dreieinhalb Jahre sind seit der historischen Annahme der UN-Resolution 5/14 vergangen. Es ist höchste Zeit, dass die Mitgliedsstaaten das Abkommen zum Abschluss bringen.“
Die Staaten zogen sich in Arbeitsgruppen zurück. Eigentlich hätte während der zehn Tage eine Einigung erzielt werden sollen – doch am Ende herrschte Stillstand.
Viele Länder bezeichneten den ersten Vertragsentwurf als „inakzeptabel“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf LinkedIn: „Der Mangel an Ambition im gestern vorgelegten Text für die Vereinten Nationen ist inakzeptabel.“
Die Europäische Union, das Vereinigte Königreich, Kanada sowie Länder in Afrika und Südamerika bildeten eine informelle Gruppe, die „High Ambition Coalition“. Sie setzt sich für den Ausstieg aus Chemikalien in der Plastikproduktion und für eine Reduzierung der Produktion insgesamt ein.
Die Position der USA und anderer Gegengruppen

Schon in Busan hatten sich über 100 Länder für eine Begrenzung der weltweiten Plastikproduktion ausgesprochen. Doch Einigkeit blieb aus – weshalb die Verhandlungen auf diesen Sommer verschoben wurden.
Auch diesmal bekannten sich über 100 Länder zu Produktionslimits und verbesserten Recycling- und Entsorgungsstrukturen. Doch viele ölproduzierende Staaten wollen, dass sich das Abkommen ausschließlich auf Recycling und Aufräumarbeiten beschränkt – ohne Produktionsbeschränkungen.
Russland und Saudi-Arabien blockierten bereits 2024 in Busan. Beide fürchten die wirtschaftlichen Folgen, da die Nachfrage nach fossilen Rohstoffen für Plastik erheblich sinken würde.
In Genf formierte sich nun die „Like-Minded Group“ aus Kuwait, Malaysia, Iran und anderen – in direkter Opposition zur „High Ambition Coalition“. Sie forderte eine deutliche Abschwächung des Vertrags.
Das US-Außenministerium erklärte vor den Gesprächen, man unterstütze ein Abkommen, „das die nationale Souveränität respektiert und sich auf die Reduzierung der Plastikverschmutzung konzentriert, ohne Produzierende übermäßig einzuschränken.“
US-Präsident Donald Trump schrieb zudem Briefe an mehrere Länder und forderte sie auf, Limits bei der Plastikproduktion und strengere Regeln für chemische Zusatzstoffe abzulehnen.
Zaynab Sadan, Leiterin der globalen Plastikpolitik beim WWF, erklärte:
„In einer Welt mit zunehmend wechselhafter Politik stehen diese Verhandlungen auf Messers Schneide. Ölproduzierende Länder nutzen das Konsensprinzip nicht, um Einigung zu schaffen, sondern um sie zu sabotieren. Das ist kein Multilateralismus – das ist Obstruktion.“
Die Zukunft des Plastiks
Ob die Gespräche künftig fortgesetzt werden, bleibt unklar – doch die Rolle der Regierungen bei Produktion und Entsorgung bleibt zentral.
Graham Forbes, Leiter der globalen Plastik-Kampagne bei Greenpeace USA, sagte: „Dass in Genf keine Einigung erzielt wurde, muss ein Weckruf sein: Plastikverschmutzung zu beenden heißt, die fossilen Interessen frontal anzugehen.“
Der Bedarf an einem globalen Plastikvertrag bleibt bestehen. Nur durch internationale Kooperation kann das Problem gelöst werden – wenn Regierungen die Regeln auch tatsächlich umsetzen. Verbesserte Abfallwirtschaft, staatliche Anreize und Investitionen in umweltfreundliche Technologien sind dafür entscheidend.
Auch technologische Lösungen gibt es. Forscher:innen und Innovator:innen entwickeln ständig Alternativen – von Edelstahlstrohhalmen bis zu kompostierbaren Verpackungen. Mit systematischer staatlicher Unterstützung könnten diese Alternativen einen entscheidenden Beitrag leisten.
Die 20-jährige Australierin Maisy Whitehead, Studentin an der University of York, entwickelt derzeit ein Biopolymer, das Plastikverpackungen ersetzen könnte. Sie gründete in Großbritannien das Start-up VegoPak und hat ein Patent beantragt.
In China läuft die Initiative „Bambus als Ersatz für Plastik“. Daraus werden Strohhalme, Einwegbesteck und Verpackungen hergestellt. Das US-Unternehmen Sway nutzt Algen, um Alternativen zu Plastiktüten zu entwickeln.
Doch all das sind kleine Schritte. Angesichts der gewaltigen Dimension wird es Jahre dauern, das Problem zu beheben. Besonders betroffene Gemeinschaften, die im Plastikmüll zu ersticken drohen, brauchen dringend Entlastung. Die Notwendigkeit eines klaren, durchsetzbaren Vertrags ist heute größer denn je – und gleichzeitig vielleicht unerreichbarer denn je.
_Aus dem Englischen von Liam Grunsky
Letzte Änderung: 25.08.2025 | Erstellt am: 15.01.2025
Den Originalartikel von IMPAKTER Magazine finden Sie hier.
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