Europas Energiewende: Einblicke vom NetZero-Gipfel in Mailand

Der erste NetZero-Expo-Gipfel in Mailand brachte führende Nachhaltigkeitsexpert:innen zusammen, während die EU ihren Weg in Richtung Klimaneutralität bis 2050 fortsetzt.
Im Mai nahm Sarah Pennas vom Impakter Magazin am ersten NetZero Milan Expo-Summit in Mailand teil. Die Veranstaltung versammelte Fachleute aus ganz Europa, um über den Übergang zu grüner Energie zu diskutieren. Der Grundtenor unter Redner:innen und Teilnehmer:innen war eindeutig: Der Klimawandel findet bereits statt, und wir müssen nun konkrete Schritte unternehmen, um den Energiesektor grundlegend zu transformieren.
Das Konferenzmotto lautete: “Energiewende, Energiesicherheit, industrielle Wettbewerbsfähigkeit: Ein gemeinsamer Fahrplan für Europa im Zeitalter der Unsicherheit.” Der Gipfel lässt sich anhand von vier Schlüsselbegriffen zusammenfassen: Wandel, Unsicherheit, Diversifizierung und Zusammenarbeit.
Wandel
Europa hat sich in den letzten Jahren – trotz der COVID-19-Pandemie sowie anderer Naturkatastrophen und politischer Krisen – als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Dies ist vor allem der klaren Zielsetzung und Standhaftigkeit der EU zu verdanken. Die Europäische Union verfolgt konsequent ihr Ziel, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und weicht kaum von ihrer Klimapolitik ab. Dennoch befindet sich Europa nun in einer neuen Phase des Übergangs.
Marzena Rogalska von der Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission verglich diesen Wandel mit dem Heranwachsen eines Kindes zum Teenager. Sie betonte, dass dies ein entscheidender Moment sei, in dem nachhaltige Strategien in Europa von der Startphase in die Skalierung übergehen müssen. Jetzt ist die Zeit gekommen, grüne Energie weiterzuentwickeln und europaweit zu etablieren.
Im Mittelpunkt des Gipfels standen erneuerbare Energien, Dekarbonisierung und Elektrifizierung als zentrale Strategien. Davide Panzeri vom italienischen ECCO Climate Think Tank erklärte, dass die industrielle Dekarbonisierung das Herzstück dieser nächsten, schwierigeren Übergangsphase sein werde. Er forderte zudem eine konsequente Abkehr von fossilen Brennstoffen durch Dekarbonisierung und Elektrifizierung.

Ricardo Dutto, Leiter des Bereichs Industrieinfrastruktur bei IMI Corporate & Investment Banking (Intesa Sanpaolo), stellte fest, dass China die USA und Europa beim Thema Elektrifizierung bereits überholt habe. Europa müsse seine Anstrengungen verstärken, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Alessandro Noce, Generaldirektor für Energiemärkte und -infrastrukturen im italienischen Umwelt- und Energiesicherheitsministerium (MASE), sagte: “Die Transformation ist eine sehr ernste Aufgabe.” Es gehe letztlich nur darum, “das Geld aufzubringen, um das „Wie“ zu ermöglichen.”
Die Europäische Kommission hat mehr als 180 Milliarden Euro für energiebezogene Verbesserungen bereitgestellt, davon über 34 Milliarden für die zügige Umsetzung erneuerbarer Energien in ganz Europa. Dennoch reicht diese Finanzierung nicht aus, um ein solch umfangreiches Vorhaben zu realisieren. Experten auf der Konferenz sagten, dass die Verbraucher bei diesem Übergang eine Schlüsselrolle spielen werden, indem sie Projekte durch Tarife und Anreize finanzieren.
Unsicherheit
Die aktuelle US-Regierung hat zwei Dinge unmissverständlich klargemacht: Sie kürzt die Mittel für Klimaforschung und entsprechende Initiativen und lockert gleichzeitig die Beziehungen zur Europäischen Union. Das Center for Strategic and International Studies (CSIS), ein unabhängiger und überparteilicher Thinktank mit Sitz in den USA, erklärte, dass Europa und die USA in einem „post-amerikanischen Zeitalter voraussichtlich „wiederholt und dauerhaft aneinandergeraten“ werden. Diese Einschätzung teilten offenbar alle Redner:innen der Veranstaltung.
Europa ist stark von anderen Ländern abhängig, wenn es um die Versorgung mit Erdgas geht. Der Großteil der fossilen Brennstoffe wird in die EU importiert und deckt etwa 58 % des Energiebedarfs. Die Vereinigten Staaten zählen dabei zu den größten Lieferanten. Angesichts drohender Zölle und angespannten Beziehungen befindet sich die EU in einer verletzlichen Position – was den Ausbau von Elektrifizierung und erneuerbaren Energien umso dringlicher macht.
Diversifizierung
Die politische Unsicherheit erhöht das Bedürfnis nach Versorgungssicherheit und Diversifizierung. Viele Redner:innen wiesen darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine ein deutliches Beispiel dafür sei, warum Abhängigkeiten problematisch sind. Eine diversifizierte Lieferkette ist unerlässlich. Europa muss geopolitischen Risiken begegnen, indem es seine internationalen Marktstrukturen für kritische Rohstoffe stärkt.
Doch nicht nur aus sicherheitspolitischer Sicht ist Diversifizierung entscheidend – auch bei den erneuerbaren Energiequellen selbst ist sie notwendig. Der deutsche Begriff „Dunkelflaute beschreibt jene Phasen von Spätherbst bis Winter, in denen wenig Sonnenlicht und nur schwacher Wind zur Verfügung stehen. Solche Perioden betreffen große Teile Europas, insbesondere den Norden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Stromnetze europaweit modernisiert und ausgebaut werden, sodass erneuerbare Energien flexibel integriert werden können.
Ein weiteres Argument für eine Stärkung des Stromnetzes liefert der kürzliche Stromausfall auf der iberischen Halbinsel. Statt bei solchen Ereignissen auf fossile Energieträger zurückzugreifen, muss die EU ihren nachhaltigen Kurs beibehalten und grüne Energiequellen ausbauen. Ricardo Dutto von Intesa Sanpaolo forderte, dass die Europäische Union – und insbesondere Italien – eine Vervierfachung der erneuerbaren Energien anstreben sollte. Konkret bedeutet das eine Verdopplung der Windkraft und eine Verdreifachung der Solarenergie.
Zusammenarbeit
Die wohl häufigste Botschaft auf dem Gipfel war die Notwendigkeit von Zusammenarbeit. Norela Constantinescu, Direktorin für Innovation und Technologie bei der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, betonte, dass die EU zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und um sicherzustellen, dass „niemand zurückgelassen wird“, „koordinierte Maßnahmen in den Bereichen Innovation, Qualifikation, industrielle Entwicklung und soziale Inklusion“ ergreifen müsse.

Dies ist kein Thema, das nur Nachhaltigkeitsexpert:innen betrifft. Menschen und Fachkräfte aus allen Branchen müssen ihre Anstrengungen und Investitionen auf grüne Energie konzentrieren. Davide Panzeri vom ECCO Climate Think Tank unterstrich, dass die Stimme der Wirtschaft in diesem Wandel entscheidend sei. Gerade jetzt seien Investitionen in Nachhaltigkeit von größter Bedeutung. Sobald Unternehmen investieren, lasse sich nicht mehr vorhersagen, wie weit Innovationen gehen können.
Marzena Rogalska von der Europäischen Kommission brachte es auf den Punkt: „Wenn wir scheitern, hat niemand Erfolg.“ Die Europäische Union ist eine treibende Kraft in der Energiewende. Sie muss ihr Tempo beibehalten und andere Länder weltweit bei diesem bedeutenden Schritt für die Menschheit und den Planeten unterstützen.
Italiens Rolle in der Energiewende
Da der NetZero-Gipfel in Mailand stattfand, lag ein besonderer Fokus auf Italien und der Rolle des Landes im Übergang zu grüner Energie. Italien ist nach Deutschland der zweitgrößte Exporteur industrieller Güter in Europa. Diese starke Industriebasis versetzt das Land in eine Schlüsselposition für tiefgreifende Veränderungen.
Alessandro Noce vom Ministerium für Umwelt und Energiesicherheit (MASE) betonte, dass in Italien jährlich rund 310 Terawattstunden (TWh) Energie verbraucht werden, davon entfallen 140 TWh auf die Industrie. Diese Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit einer umfassenden Elektrifizierung in Italien – weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien.

Allerdings könnte das Land mit Widerstand konfrontiert sein. Am Samstag äußerte Premierministerin Giorgia Meloni, dass der Übergang zu grüner Energie zu einer „industriellen Desertifikation führen könne. Sie warnte davor, dass die europäische Industrieproduktion durch den Elektrifizierungsdruck massiv geschwächt werden könnte, und kritisierte die strikte Klimapolitik der EU.
Trotz dieser Bedenken war die Stimmung beim NetZero-Gipfel in Mailand durchweg positiv. Sowohl Redner:innen als auch Teilnehmer:innen zeigten sich zuversichtlich, dass ein klimaneutrales Europa bis 2050 erreichbar sei. Nun liegt es an allen, ihren Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels zu leisten.
Aus dem Englischen von Liam Grunsky
Letzte Änderung: 07.07.2025 | Erstellt am: 23.06.2025
Den Originalartikel von IMPAKTER Magazine finden Sie hier.
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