Die kuriose Art und Weise, wie Pinguin-Kot möglicherweise die Antarktis kühlt

Diese Woche starten wir bei Faust Kultur mit einer kuriosen wissenschaftlichen Entdeckung aus dem Umweltbereich: Wissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass Ammoniak aus Pinguin-Exkrementen eine atmosphärische Kettenreaktion auslösen könnte, die zur Wolkenbildung beiträgt – mit kühlender Wirkung auf einen ansonsten rasant erwärmten Kontinent.
Im Dezember 2022 bestieg Matthew Boyer ein argentinisches Militärflugzeug zu einem der abgelegensten bewohnten Orte der Erde: der Marambio-Station an der Spitze der Antarktischen Halbinsel, wo sich der vereiste Kontinent in Richtung Südamerika erstreckt. Bereits Monate zuvor musste Boyer teure, empfindliche Messinstrumente versenden, die bei seiner Ankunft bereits beschädigt sein könnten.
„Wenn man ankommt, stehen da Kisten, die manchmal ein oder zwei Monate lang in einem kalten Lagerhaus in der Antarktis herumgestanden haben“, sagte Boyer, Doktorand in Atmosphärenwissenschaften an der Universität Helsinki. „Und wir reden hier von sehr sensibler Messtechnik.“
Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Boyer und seine Kolleg:innen entdeckten eine ungewöhnliche Eigenschaft von Pinguin-Guano. In einer am 22. Mai veröffentlichten Studie in der Fachzeitschrift Communications Earth and Environment beschreiben sie, wie Ammoniak, das aus den Ausscheidungen von 60.000 Vögeln entweicht, zur Wolkenbildung beiträgt – und dadurch möglicherweise zur Kühlung eines Kontinents beiträgt, der sich ansonsten rapide erwärmt. Allerdings sind manche Pinguinpopulationen durch den Klimawandel stark bedroht. Ein Rückgang ihrer Zahl – und damit auch ihres Guanos – könnte weniger Wolken und mehr Erwärmung bedeuten in einem ohnehin sensiblen Ökosystem, dessen Abschmelzen den weltweiten Meeresspiegel erheblich ansteigen lassen würde.
Ein besseres Verständnis dieser Dynamik könnte Wissenschaftler:innen helfen, Klimamodelle für die Antarktis präziser zu gestalten. Künftig kann etwa untersucht werden, ob bestimmte Pinguinarten mehr Ammoniak produzieren – und dadurch auch einen stärkeren Kühleffekt haben. „Das ist die eigentliche Bedeutung dieser Studie“, sagt Tamara Russell, Meeresornithologin am Scripps Institution of Oceanography, die nicht an der Forschung beteiligt war. „Sie wird die Modelle verbessern, denn wir wissen, dass manche Arten abnehmen, andere zunehmen – und das wird dort unten vieles auf unterschiedliche Weise verändern.“
Zwischen Januar und März 2023 – also im antarktischen Sommer – maßen Boyer und sein Team die Ammoniakkonzentration in der Atmosphäre mithilfe ihrer hochpräzisen Instrumente. Wenn der Wind aus Richtung einer etwa acht Kilometer entfernten Adelie-Pinguinkolonie wehte, schnellte der Ammoniakwert um das Tausendfache über den Normalwert. Selbst nachdem die Pinguine nach der Brutzeit ihre Kolonie verlassen hatten, blieb die Konzentration über einen Monat hinweg erhöht – das Guano setzte weiterhin Ammoniak frei. Dieses Gas könnte dabei helfen, das lokale Klima zu kühlen.
Die Forschenden konnten darüber hinaus nachweisen, dass Ammoniak eine atmosphärische Kettenreaktion auslöst: Auf hoher See geben winzige pflanzenartige Organismen, sogenannte Phytoplankton, das Gas Dimethylsulfid ab, das sich in der Atmosphäre in Schwefelsäure umwandelt. Ammoniak – eine Base – reagiert leicht mit dieser Säure.
Diese Reaktion führt zur schnellen Bildung von Aerosolpartikeln. Wolken entstehen, wenn sich Wasserdampf an diese Partikel anlagert – wie etwa Ruß oder Pollen. In dicht besiedelten Regionen sind solche Partikel reichlich vorhanden, da Industrie und Fahrzeuge sie als Schadstoffe freisetzen. Auch Bäume und andere Vegetation produzieren Aerosole. In der baumlosen und weitgehend vegetationsarmen Antarktis hingegen können die Aerosole aus Pinguin-Guano und Phytoplankton einen erheblichen Einfluss haben.
Im Februar 2023 registrierten Boyer und sein Team eine besonders starke Partikelbildung in Verbindung mit Pinguin-Guano. Wenige Stunden später entnahmen sie Proben eines daraus entstandenen Nebels – und fanden darin Partikel, die durch die Reaktion von Ammoniak aus dem Guano mit Schwefelsäure aus dem Plankton entstanden waren. „Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen diesen ökologischen Prozessen – zwischen Pinguinen und Phytoplankton an der Meeresoberfläche“, so Boyer. „Ihre Gase interagieren und bilden gemeinsam Partikel und Wolken.“
Doch hier wird es klimatologisch komplex. Allgemein ist bekannt, dass Wolken das Klima der Erde kühlen können, indem sie einen Teil der Sonnenstrahlung ins All zurückreflektieren. Zwar gehen Boyer und sein Team davon aus, dass durch Ammoniak verstärkte Wolken zur Kühlung dieses Teils der Antarktis beitragen, doch konnten sie diesen Kühleffekt nicht quantifizieren – hierfür wären weitere Studien nötig.
Diese Information ist entscheidend – denn der sich erwärmende Planet könnte einen Teufelskreis in Gang setzen: Steigende Meerestemperaturen erschweren Pinguinen den Zugang zu Beutetieren, Kolonien schrumpfen oder verschwinden ganz. Weniger Pinguine produzieren weniger Guano, was weniger Ammoniak und damit weniger Wolken bedeutet – und so setzt sich die Erwärmung fort, was die Tiere noch weiter unter Druck setzt.
„Wenn diese Studie korrekt ist – und sie wirkt auf mich sehr solide – dann haben wir es hier mit einem Rückkopplungseffekt zu tun, der die ohnehin laufenden Veränderungen bei den Pinguinen noch beschleunigen wird“, sagt Peter Roopnarine, Kurator für Geologie an der California Academy of Sciences.
Roopnarine meint, dass Forscher nun auch anderswo nach Vogelkolonien suchen könnten, die ebenfalls zur Wolkenbildung beitragen. Der Schutz solcher Arten – vor Umweltverschmutzung und Jagd – könnte ein natürlicher Weg sein, um globale Erwärmung zumindest teilweise auszugleichen.
Man denkt, es gehe um den Schutz der Vögel,
so Roopnarine.
Aber in Wirklichkeit geht es um viel mehr.
Aus dem Englischen von Liam Grunsky
Letzte Änderung: 04.08.2025 | Erstellt am: 21.07.2025
Den Originalartikel von Grist in Englisch finden Sie hier.
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