UNESCO Weltkulturerbe in Haiti niedergebrannt

Das legendäre Hotel Oloffson – Symbol haitianischer Geschichte, Exil der Künstler und literarischer Schauplatz – ist zerstört. Inmitten von Gewalt, Chaos und Hoffnungslosigkeit fiel Haitis wohl berühmtestes Hotel der Brandstiftung zum Opfer. Ein Nachruf von Uli Aumüller auf ein magisches Refugium, das einst als kulturelle Oase über Jahrzehnte allen Stürmen standhielt – bis jetzt.
„Etwas oberhalb des Zentrums von Port¬ au Prince, der verelendeten Hauptstadt von Haiti, versteckt sich in einem Park hinter Königspalmen und Mangobäumen das Grandhotel Oloffson. Schneeweiß, verspielt und zart wie Spitzenklöppelei taucht es hinter dem üppigen Grün auf, und man ist verzaubert.
In der Hitze des Tages dämmert das Oloffson vor sich hin und erwacht erst bei Sonnenuntergang, wenn sich Hotelgäste und reiche Haitianer – Geschäftsleute, Politiker, Künstler, Gangster – zum Sundowner unter den Ventilatoren der Bar oder auf der Terrasse versammeln. Nach einem Tag im stickigen Gewühl und Schmutz der Straßen, wo ein ganzes Volk ums Überleben kämpft, erscheint das Oloffson wie eine kühle Oase der Ruhe und des Luxus. Die Wände der Bar und der schönen Hotelhalle mit ihren leichten Korbmöbeln sind gepflastert mit Bildern haitianischer Naiver aus der Kunstsammlung des Managers Richard Morse. Magische Stunden, in denen sich Realität, Fiktion und Traum zu vermischen scheinen.“
So erlebte ich das Oloffson bei meinem letzten Besuch 2012. Das alles gibt es nun nicht mehr. Seit dem Mord an Jovenel Moïse 2021, dem letzten gewählten Präsidenten, versinkt Haiti tiefer und tiefer im Chaos. Die Hauptstadt wird weitgehend von kriminellen Gangs kontrolliert, die morden, kidnappen, vergewaltigen, brandschatzen, abertausende Bewohner aus ihren Häusern verjagen oder aus Angst vor dem Bandenterror in die Flucht treiben. Auch Richard Morse und seine Familie waren schon vor drei Jahren in die USA gegangen. Einige Angestellte hatten das Hotel noch bis letzten Winter weiterbetrieben, dann aber wegen der ständigen Bedrohung durch die sich untereinander bekriegenden Banden aufgeben müssen. So kam zum Glück niemand zu Schaden, als das Hotel in der Nacht zum 6. Juli niedergebrannt wurde. Verantwortlich für die Brandstiftung sind vermutlich Bandenmitglieder.
Um die Jahrhundertwende als Villa von Démosthènes Sam, Cousin eines der ephemeren Präsidenten Haitis, aus Holz im sogenannten Gingerbreadstil erbaut, wurde das Herrenhaus ab 1915 unter der bis 1934 andauernden amerikanischen Besatzung Casino und Militärhospital. Danach wandelte die deutsch haitianische Familie Oloffson das Haus in ein Hotel mit zwanzig Zimmern um. Zum „Chelsea Hotel der Karibik“ wurde es in den 50er Jahren unter der Ägide des französischen Hollywoodfotografen Roger Coster, der dem Haus seinen exquisiten tropischen Stil verlieh und Stars wie John Barrymore, Humphrey Bogart, Ann Bancroft und Marlon Brando dorthin lockte. Mit ihrem Glamour schufen sie den Mythos Hotel Oloffson. Endgültig weltberühmt machte es Graham Greene 1966 als Schauplatz seines Politthrillers Die Stunde der Komödianten, verfilmt mit Elizabeth Taylor, Richard Burton und Peter Ustinov.
Nachdem das Haus wegen der anhaltenden politischen Unruhen und wegen Aids, das sich angeblich von Haiti aus verbreitet haben soll, lange leer gestanden hatte, konnte der amerikanisch haitianische Ethnologe und Musiker Richard Auguste Morse mit Hilfe seines Halbbruders und Hotelerben Jean Max Sam das Hotel dann 1987 nach der Vertreibung des Diktators Jean Claude Duvalier, „Baby Doc“, wiedereröffnen. Es kamen zwar keine Touristen mehr aus dem Ausland, aber umso mehr Mitarbeiter von NGOs, Journalisten und ab und zu Celebrities wie Bill Clinton, Jonathan Demme, Sean Penn, Ben Stiller. Morse und seine haitianische Frau Lunise gründeten die Rasin-Musikgruppe RAM: seine Initialen. Ihre frenetischen Voodoo Rockkonzerte füllten das Haus jeden Donnerstag zum Bersten – eines der wenigen gesellschaftlichen Events in Port au Prince, das Einheimische und Ausländer zusammenbrachte, und eine unvergessliche Erinnerung für die Gäste.
Das Hotel Oloffson, seit 130 Jahren Zeuge der wechselvollen, oft gewaltsamen Geschichte Haitis, hat Krisen, Katastrophen, Diktaturen, Umstürze erlebt, sogar das verheerende Erdbeben von 2010 hat es fast unbeschadet überstanden. Dass es nun in einer der mörderischsten, hoffnungslosesten Perioden der haitianischen Geschichte in Schutt und Asche gelegt wurde, beweist einmal mehr die Diagnose eines Stammgasts im Oloffson, des amerikanischen Schriftstellers Herbert Gold in seinem Travelogue: Haiti. Best Nightmare on Earth: „Aus Magic Island ist Tragic Island geworden.“
Letzte Änderung: 14.08.2025 | Erstellt am: 14.08.2025
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