Nach der Coronapandemie stieg das Interesse an der Wellness-Branche schlagartig an. Wellness wurde zu einem hochaktuellen Thema in den Printmedien, im Fernsehen und in den sozialen Medien, denn die Pandemie hatte als krasser Kontrast den Wert von körperlicher und seelischer Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt. Sarah C. Schuster berichtet in einem dreiteiligen Essay über eine Reise in den Thailändischen Regenwald, zurück zu sich selbst und zu ihrer eigenen Gesundheit.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stieg die weltweite Prävalenz von Angstzuständen und Depressionen im ersten Jahr der Coronapandemie um 25 %. Nachdem die komplette Welt zusammengebrochen war, schienen wir schließlich kollektiv zu begreifen, dass es genau jetzt an der Zeit war, zu handeln und proaktiv Verantwortung für unsere eigene Gesundheit und unser Wohlbefinden zu übernehmen.
Mein Problem begann allerdings schon vor der Pandemie. Die energieraubende Art des „Funktionierens“, komme, was wolle, führte mich in die zunehmende Selbstisolation und machte mich blind für meine eigenen Bedürfnisse und meine sich stetig verschlechternde Gesundheit. Angesichts der vielen Konflikte, mit denen die Welt konfrontiert war, Gesundheits- und Klimakrise, Krieg und Terror, schien es unmöglich, nicht an Hoffnungslosigkeit zu verzweifeln. Meine Vereinsamung verfolgte mich wie ein Schatten, der meine Ängste verstärkte und meine Depression nährte. Ich war auf der Suche nach einem Weg, der anders war als alle anderen zuvor. Zu meiner Überraschung lag es nicht an mir, etwas zu finden, sondern von Kamalaya, dem Wellness-Sanctuary und holistischen Spa-Resort an der Südküste von Koh Samui, gefunden zu werden.
An einem gewöhnlichen Sommertag musste ich eine Entscheidung treffen. Ich fühlte mich an diesem Tag nicht gut. Das Gegenteil von gut, um ehrlich zu sein, wie an so vielen Tagen zuvor, an denen ich mich nicht entspannen und erholen konnte. Mein üblicher Ansatz war es, meine Ernährung zu vernachlässigen, vegetarisches oder veganes (nichtsdestoweniger) Junkfood zu bestellen und mich mit Zigaretten und After-Work-Drinks zu betäuben, um meine innere Stimme zu übertönen. Wie sich herausstellte, findet die innere Stimme immer einen Weg, um gehört zu werden.
Meine erste Panikattacke brachte mich direkt ins Krankenhaus. Ich war überzeugt, dass ich an einem Herzinfarkt sterben würde. Danach schlich sich ein allgegenwärtiges Angstgefühl langsam, aber sicher in mein Leben und versperrte einen Ort nach dem andern, an dem ich mich hätte sicher fühlen können und zur Ruhe kommen konnte.
Jetzt oder nie. Ich war erschöpft und träumte von der thailändischen Natur und Tierwelt, als das Wort „Kamalaya“ auf dem Bildschirm meines Laptops erschien: Kamalaya kann als „Lotusreich“ übersetzt werden. Lotusblumen sind widerstandsfähig und blühen selbst in schlammigen Gewässern in einzigartiger Schönheit, was mich ansprach. Die Kamalaya-Philosophie „Fühle das Potenzial des Lebens“ klang verheißungsvoll. Ich würde bald herausfinden, dass dieses Motto als ein Versprechen zu verstehen war, und dass Kamalaya alles geben würde, um mir dabei zu helfen, es zu halten.
Es ist Zeit, (weiter) zu gehen
Als ich las, was Kamalaya zu bieten hatte, erfuhr ich nicht nur von Kamalayas ganzheitlichem Gesundheitsprogramm, das sich auf persönliches Wohlbefinden und Selbsterfüllung konzentriert, sondern auch von dessen Rolle als integraler Teil der Insel und der lokalen Community. Umso mehr ich mich mit den verschiedenen angebotenen Inhalten befasste, desto geringer wurde mein Zweifel daran, etwas verändern zu können. Der einfache Gedanke, aufzustehen, schien nahezu unmöglich, aber ich war fest entschlossen, wieder zu tanzen. Ich erinnerte mich daran, wie sorglos ich als Kind Handstandüberschläge geübt hatte, an den Schweiß und die Tränen, die zu meiner ersten Doppelpirouette im Ballettunterricht führten, und daran, wie anders sich die Welt anfühlte, wenn sie auf dem Kopf stand und ich mich frei drehte.
Doch mein inneres Alarmsystem war angeschlagen. Mein Gehirn sandte meinem Körper pausenlos Signale, Warnungen vor realen oder scheinbaren Gefahren, vor denen ich die Flucht ergreifen sollte, Bedrohungen, die gar nicht mehr existierten. Alles wurde gefährlich. Diese Reaktion war nicht rational, sondern instinktiv. Wir reißen uns jeden Tag zusammen, aber wenn sich unser Körper nicht beruhigt, können wir vor lauter Stress nichts aus unseren Erfahrungen lernen. Anstelle eines Auf und Ab von Anstrengung und Entspannung haben wir mit Stagnation, körperlicher und geistiger Anspannung, Erschöpfung und Schmerzen zu kämpfen: Rücken- und Nackenschmerzen, Kopfschmerzen und so weiter. Als ich das Comprehensive Optimal Fitness Program entdeckte, sah ich meine ersten, kleinen Schritte in Richtung Heilung.
Einen Monat später, während ich auf das Taxi warte, das mich und mein altes Gepäck zum Flughafen bringt, rauche ich meine letzte Zigarette. Wir alle reisen mit unserem ganz eigenen Gepäck, unseren Problemen aus vergangenen Tagen, die wir nicht aufgegeben haben. Die Hauptaufgabe unseres Gehirns besteht nicht darin, uns klug aussehen zu lassen, sondern unser Überleben zu sichern. Nach stressigen oder schmerzhaften Ereignissen verändert sich unser Nervensystem; wir erleben die Welt danach anders. Wenn Amygdala, der älteste Teil unseres Gehirns, die Kontrolle übernimmt, schaltet sich das Bewusstsein teilweise ab. Unser Körper arbeitet im Überlebensmodus: Kampf, Flucht oder Erstarren. Es gibt bloß eine Sache, die unser Verstand uns nicht diktiert: zu fühlen. Unter Stress koppeln wir uns von unserem Körper und unseren Empfindungen ab.
Das Taxi hält am Flughafen und ich lasse mein altes Leben hinter mir. Niemand hat es bemerkt, aber die Person, die aus Thailand zurückkam, war jemand anders, nämlich die Erzählerin der Geschichte, die Du gerade liest, diejenige, die sich ihrer Dunkelheit stellte. Das Schwierigste am Heilungsprozess ist es, sich mit dem eigenen Körper und Geist anzufreunden oder wieder zu befreunden und Frieden mit sich selbst zu schließen. Auf dem Weg zum Gate mache ich an einer Wechselstube Halt, um Euros in Bhat zu tauschen. „Thai Bhat?“, fragt die Frau am Schalter. „Ja, ich bin auf dem Weg nach Koh Samui“, antworte ich. Ihre Augen leuchten auf. Sie sagt, dass sich sogar der Flughafen von Koh Samui schon wie eine Oase anfühlt.
Die Reise ist lang, und ich schlafe die meiste Zeit davon. Die Boeing 777-300 hat Sterne an der Decke, die während des Nachtfluges scheinen. Ich weiß nicht, warum ich auf Schiffen oder in Flugzeugen am besten schlafe. Zwischenstopp in Dubai. An Bord des Airbus 380-800 will ich den Blick nicht vom Meer nehmen, weil ich glaube, einen riesigen Wal zu sehen, aber stattdessen erhasche ich einen flüchtigen Blick auf die Schatten meiner Vergangenheit. Zwischenstopp in Bangkok. Kurz bevor das Flugzeug in Koh Samui landet, sehe ich eine riesige Reklametafel, auf der eine große Wasserfläche abgebildet ist. Ich weiß nicht mehr, ob es ein See oder der Ozean war. Auf dem Schild steht: „Das ist das Leben“. Und ich denke: Ich bin aus einem bestimmten Grund hier; es ist so etwas wie ein Gefühl der Befreiung.
Während ich auf mein Gepäck warte, umweht mich eine warme Inselbrise und das lebhafte Rauschen der Palmen. Meine körperlichen Eindrücke unterscheiden sich nicht von denen der regungslosen Eidechse, die mir gegenüber in der Sonne sitzt. Als ich am Gepäckband 2 für internationale Flüge stehe, spüre ich, dass uns beide nichts mehr trennt. Wir sind eins. Ich bin angekommen.
Der Transfer vom Flughafen ist gut organisiert. Im klimatisierten Van begrüßen mich kühles Wasser, beruhigende Musik und eine Informationsmappe über Kamalaya. Der Duft von Kräutern und ein kühles, nasses Handtuch helfen, die Müdigkeit von der langen Reise von Frankfurt zur bildschönen Insel Samui zu vertreiben. Die 45-minütige Fahrt nach Kamalaya ist genau das, was ich brauche, um all die Gedanken loszuwerden, die ich nicht mitnehmen möchte, wie eine Schlange, die sich ihrer alten Haut entledigt. Ich habe Angst davor, neue Menschen oder Menschen im Allgemeinen zu treffen. Würde ich, könnte ich lernen, wieder der Güte eines Menschen zu vertrauen? Noch bin ich zu verletzt, um zu lächeln. Doch all das wird sich in den nächsten zwei Wochen ändern.
Ein willkommenes Zuhause
Es ist wahnsinnig einfach, sich in Kamalaya zu verlieben. Von meinem Zimmer in Hanglage aus habe ich den spektakulärsten Blick auf den Golf von Thailand. Das Herz von Kamalaya ist eine alte Mönchshöhle, die mit verschiedenen Gaben gefüllt ist: Miniaturboote, Essen und Trinken, Geschenke der Dankbarkeit und viele, viele Gebete. Jeder, wirklich jeder lebende Organismus lebt hier in Harmonie mit der Natur und allem anderen.
An meinem ersten Tag reduziert sich meine durchschnittliche Bildschirmzeit um 76 %. Das digitale Detox ist Teil des Prozesses, in dem ich lerne, mich zu entspannen und für eine Weile aus dem Social-Media-Karussell auszusteigen. Verpasse ich eine Fotogelegenheit, einen Instagram-Post? Das tue ich, aber bin ich froh, dass ich das Foto nicht gemacht habe? Auf jeden Fall. Ich schreibe in ein Papiernotizbuch, schaue mir den atemberaubenden Sonnenuntergang an und bin lediglich ein bescheidener Teil der Insel.
Auf meinem Programm steht Personal Training im gut ausgestatteten Shakti Fitness Center. Beim Aufwärmen lasse ich meine Gedanken mit den Wolken über dem Ozean in die Ferne schweifen. Während der Trainings-Sets gibt es nichts anderes als völlig präsent zu sein, keine Sorgen, keine Angst. Ich bin bereit, die Kontrolle über meinen Körper zu übernehmen und das Brennen in meinen Muskeln zu spüren. Die innere Wärme tröstet mich. Es fühlt sich an wie eine Rückkehr nach Hause, wie damals, nachdem ich als Kind zu lange draußen gespielt hatte. Die persönlichen Yogasessions finden in einem hölzernen, offenen Yogapavillon statt, umgeben von sanftem Wind und friedvoller Natur. Es ist schwer zu erklären, aber alles fühlt sich hier einfach anders an, sogar der tropische Regen; alles ist nährend und reichhaltig.
Die Gebetsfahnen helfen meinen Gedanken, den Himmel zu erreichen. Wenn ich im Lap Pool schwimme oder mich zur Abkühlung im Wasser treiben lasse, sehe ich sie im Wind tanzen. Der Kamalaya-Strand ist ein reiner Erholungsstrand. Er ist ideal, um sich zu sonnen oder am Strand spazieren zu gehen, aber zum Schwimmen eignet er sich nicht, da tagsüber Ebbe und nachts Flut ist. In der Nacht drückt die Flut das Wasser durch das Korallenriff, das den Strand wie eine natürliche Barriere umgibt, zurück ans Land.
Das bergige Terrain bietet eine Aussicht, die normalerweise Vögeln vorbehalten ist. Ohne Flügel ist das Begehen der steinernen Wege sehr anstrengend. Meine Beine kämpfen anfangs, aber ich gewöhne mich schnell daran. Die atemberaubend schöne felsige Umgebung beheimatet viele verschiedene Tempel, die von ihren Göttern beschützt werden. Besonders befreiend war der so genannte Super-Stretch. Dabei handelt es sich um eine tiefe Dehnung, die ich nur mit Hilfe meiner erfahrenen Trainer und ihrer unterstützenden Hand erreichen konnte. Stell Dir vor, Du hältst zu viele Dinge fest. Es wird unmöglich, eine Tür zu öffnen, obwohl sie nicht verschlossen ist. Die Trainer halfen mir, diese Tür zu öffnen, hinter der ich neue Räume in meinem Körper fand, in denen alte und chronische Spannungen nichts zu suchen hatten. Ich bin von Heilern umgeben. Wo zuvor Schmerz war, finde ich neuen Atem.
Schon die erste Massage am Tag meiner Ankunft schien alte körperliche Traumata zu verrücken und meinen Körper in einer stärkeren Form neu anzuordnen, Raum und Energie für Neues zu schaffen. Ich spüre, wie ich die sich seit Jahren wiederholenden schlechten, scheinbar zwanghaften Gewohnheiten mit jeder Behandlung mehr aufgebe. Die Wechsel von sportlicher Anspannung und müder Entspannung stärken meinen Körper, dem es endlich gelingt, sich wirklich zu entspannen. Dank der anspruchsvollen Fitness- und Yogaübungen und des „Kissenmenüs“, mit dem für unterschiedliche Schlaftypen diverse Kissenformen angeboten werden, schlafe ich wie ein Stein. Das Wellness-Sanctuary verfügt über zahlreiche Ruhebereiche, um sich zu regenerieren. Vor und nach den Behandlungen gibt es Tee: mein Liebling ist Maulbeertee.
An meinem Geburtstag treffe ich Big Buddha. Das Kamalaya-Team hat für mich umgeplant und es mir ermöglicht. Der Reiseleiter der Inseltour ist freundlich und geduldig. Der andere Gast, der an der Tour teilnimmt, hatte mich ein paar Tage zuvor nach dem Titel des Buches gefragt, das ich gerade lese. Ich bin dankbar für ihre Gesellschaft. Nach dem Besuch des Na Muang-Wasserfalls und des Großvater- und Großmutterfelsens nehmen wir uns Zeit und schlagen die Glocken des Tempels. Ich bringe Buddha Blumen dar und offenbare ihm einen Wunsch. Er ist 12 Meter groß, und ich bin glücklich. Wir beenden die Tour mit Kokosnusssaft am Strand von Fisherman‘s Village.
Während meines Aufenthalts fange ich an, das Essen wieder zu genießen, richtiges Essen in Form von regelmäßigen, gesunden Mahlzeiten. Das Detox-Menü ist wie ein Wunschzettel für den Körper. Der „Kamalaya Detox Juice“ ist ein Muss: eine Mischung aus Kokosnusssaft, Basilikum und Ananas. Er schmeckt frisch und grün wie die Insel selbst. Alle Zellen meines Körpers werden mit Vitaminen durchflutet. Wie kann alles nur so gut schmecken? Ich nehme am „Detox-Kochkurs“ teil, um es herauszufinden und neue Rezepte und Skills mit nach Hause zu nehmen.
Wenn ich auf Kamalaya zurückblicke, war ich zwar allein mit mir, aber nicht einsam. Umgeben von Kamalayas Natur und der Freundlichkeit anderer Menschen, konnte ich meine sozialen Kompetenzen langsam wieder aufbauen. Ich fühlte mich wieder zu anderen Menschen hingezogen, unterhielt mich mit ihnen, tauschte Gedanken aus und begrüßte alle, die ich traf, mit einem Lächeln. Für Alleinreisende wie mich bot der Gemeinschaftstisch im Soma-Restaurant einen Ort, an dem man beim Frühstück und Abendessen mit anderen in Kontakt treten konnte. Kamalaya schafft Freundschaften, erzählte man mir. Ich erinnere mich an die unglaublichen Menschen, die ich dort kennengelernt habe: andere Gäste, die „Hosts“, die sich um das Wohlergehen der Gäste kümmern, die Trainer, Lehrer und unterschiedlichen Masseure und Physiotherapeuten, die Mentoren und schließlich die Gründer und Besitzer von Kamalaya selbst.
Letzte Änderung: 27.05.2024 | Erstellt am: 20.05.2024
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