Nie wieder leise

Nie wieder leise

Zusammen gegen Rechts
Zusammen gegen RECHTS | © Manfred Zapp

Die große Kundgebung gegen Rechts am Römer, an der mehr als 35.000 Menschen aus Frankfurt und dem Umland teilnahmen, zeigt, dass diese alarmiert sind angesichts der jüngsten politischen Entwicklung und der Deportations-Fantasien des Potsdamer Treffens. Die gemeinsame Ansprache der Autorinnen Eleonore Wiedenroth-Coulibaly und Hadija Haruna-Oelker ist hier nachzulesen.

Ich bin Eleonore, Mitgründerin der ISD – Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, einer Selbstorganisation, die es nun seit fast 40 Jahren gibt. Ich grüße all die Verbündeten, die Wege mit mir/uns teilen und von denen heute viele auch hier auf dem Römer sind. Wir sind vielfältig und wir wollen zusammenleben.

Ich bin Hadija, gewachsen in der ISD, die mir geholfen hat, als Mensch selbstbestärkt zu wachsen und als Journalistin heute differenzierend über unsere gesellschaftlichen Zustände berichten zu können. Wir beide sprechen nicht in Vertretung aller Schwarzer Menschen in Deutschland. Denn wir sind verschieden, unterschiedlich in der Gesellschaft positioniert: light-skinned, dark-skinned, Schwarz mit und ohne deutsche Papiere, hier geboren und migriert. All das, was die Deportationsplanung der AfD wahrnehmbar gemacht hat. Aber wir lassen uns nicht separieren und nach Nutzen sortieren. Als Schwarze Geschwister stehen wir im Bündnis mit anderen, die abgewertet werden. Wir sind Schwarze und migrantisierte Menschen, Rom*nja, Juden und Jüdinnen, geflüchtete, behinderte und queere Personen, Muslim*innen und als solche gelesene und viele andere. Für uns ist der Hass nicht neu. Wir sehen den so genannten „Rechtsruck” schon lange – und vor allem die schleichende Normalisierung der AfD, die sich seit über zehn Jahren vollzieht.

Eleonore: Es macht Angst. Aber wir müssen nicht überrascht sein oder überrascht tun, jedes Mal wenn wir erfahren, wie gut rechte Kräfte vernetzt sind und wie sie selbstbewusst darauf hinarbeiten, die Macht (wieder) zu übernehmen – und dies zunächst mit demokratischen Mitteln wie Wahlen und Parteiarbeit. Die Ideologien der Rechtsaußen-Kräfte, der sogenannten Identitären Bewegung und der Werteunion sind bekannt und nachzulesen. Wir müssen die Gefahr ernst nehmen. Wir geben uns Mut, denn wir wissen: Es geht anders, und wir können anders.

Hadija: Und das bedeutet, sich mit den unterschiedlichen Formen von Rassismus und Antisemitismus zu beschäftigen, die sich seit 1945 nur in der Form gewandelt haben. Und mit dem „Versöhnungstheater“ aufzuhören, wie der Autor Max Czollek die Gesten einer deutschen Selbstvergewisserung nennt, durch die viele glauben, dass in Deutschland der Nationalsozialismus mustergültig aufgearbeitet wurde. Denn unsere viel gefeierte Erinnerungskultur hat Leerstellen. Sie kümmert sich nicht um die Kontinuität der Gewalt.
Erinnern wir uns an die 90er Jahre. So viele nehmen die AfD immer noch nicht ernst, unterschätzen und normalisieren sie.

Es ist beängstigend, dass sich ein öffentlicher Mainstream und der mediale Diskurs so sehr an ihre Politiken gewöhnt hat und gleichzeitig ihr strategisches Vorgehen so wenig durchschaut und diskutiert. Es ist eine Strategie der Selbstverharmlosung als bürgerliche Partei, die ja demokratisch gewählt wurde. Das zu glauben, ist gefährlich. Darum braucht es eine Berichterstattung über die AfD, die anders ist als bisher. Keine Schlagzeilen-Hascherei, menschelnde Gespräche oder gar nicht mehr berichten. Einen menschenrechtsbasierten Journalismus. Es braucht Kontext. Mehr Hintergrund, der über die Netzwerke, Strategien und die Unterstützer*innen auch aus unserer Mitte aufklärt. Beschäftigen wir uns vertiefend. Mit Rassismus und Antisemitismus. Vorgestern sah ich auf Insta den Spruch eines Plakates, darauf stand: „Jetzt können wir endlich herausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten.”

Eleonore: Was können wir noch tun? Erhebt eure Stimmen gegen rassistische Vertreibungsphantasien und gegen noch so viel mehr Unmenschlichkeit. Tut dies immer und überall, im persönlichen Umfeld, in den Medien, im öffentlichen Raum, so wie wir dies hier und heute tun. Schreibt, diskutiert, macht Politik auf jeder Ebene, überall da, wo ihr seid. Wirkt hinein in die Parteienlandschaft, durch euer Kreuz auf dem Wahlzettel, durch euer aktives Interesse an Kommunalpolitik, Landespolitik, Bundespolitik, EU-Politik. Schreibt an die Abgeordneten in den Parlamenten oder steigt selbst in die Parteipolitik ein. Demokratie ist nur wehrhaft, wenn wir sie einüben.

Hadija: Fangen wir dabei mit unserer Sprache an. Weil wir daran beteiligt sind, dass sich die Grenzen des Sagbaren in Deutschland zum Unsagbarem verschoben haben. Es muss klar werden, dass diskriminierende Sprache und Framings rassistische Meinungen befeuern, was Rechten hilft. Schon lange profitiert die AfD von den unsäglichen Debatten über einen vermeintlichen Kulturkampf. Streiten wir also nicht über unsere Identitäten, sondern widmen wir uns den Menschenrechten und Gleichberechtigung, die eine Identitätspolitik fordert. Denn die Demokratie ist nur wehrhaft, wenn sie die Stimmen von marginalisierten Menschen berücksichtigt.

Eleonore: Politisch handeln bedeutet, dass das widerständige Wissen marginalisierter Menschen und deren Anliegen DIE Ankerpunkte in einer breiten demokratischen Bewegung sind. 2024 ist das Superwahljahr mit drei Landtagswahlen und Kommunalwahlen in neun Bundesländern und der Europawahl – am 9. Juni 2024: Wählen-dürfen ist ein Privileg. Wer zu diesen Privilegierten zählt: Geht wählen und mobilisiert alle, die ihr kennt, zum Wählen. Jedes Kreuz, das nicht gesetzt wurde, verhilft den Rechtsaußen-Kräften in die Parlamente. Die Geschichte lehrt uns: Gewöhnung wird unverhohlene Verfolgung, aus rassistischem Alltag wird tödliche Gewalt. Wir haben keine Zeit für nur symbolische Appelle – lasst uns – nicht nur einmal – zusammenstehen und zusammen gehen, lasst uns Verbundenheit leben und dabei die Marginalisierten ins Zentrum setzen:
 
 
Wir sind nie wieder,
nie wieder leise.
Wir sind nie wieder leise.
Celina Bostic
 
 
 
 

Letzte Änderung: 24.01.2024  |  Erstellt am: 21.01.2024

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Kommentare

Ralf Rath schreibt
Angesichts dessen, dass das, was zwar längst als vernunftwidrig kritisiert ist, aber fortgesetzt bis auf die Gegenwart unter der Bevölkerung noch immer überaus hoch im Kurs steht, während alles, was sich davon nicht leiten lässt, bloß einen verschwindend geringen Marktwert hat, verschlug es zumindest mir schon vor einiger Zeit die Sprache. Auch über inzwischen bald drei Dekaden hinweg blieb meiner Person wegen einer derlei äußerst pervertierten Ökonomie ein Nicht-Sprechen-Können beschieden. Meine Stimme jedenfalls ist in der Folge davon auch künftig nicht vernehmbar. Geduldig harre ich stattdessen der Dinge in der ungebrochenen Hoffnung, dass die Gründe für mein dadurch mit Macht erzwungenes Verstummen endlich erkannt werden. Ohne solch eine vorausgehende Erkenntnisgewinnung, die nichts anderes bedeutet, als härteste Knochenarbeit zu leisten, fehlt weiterhin schlicht die nicht zuletzt auch von mir benötigte Hilfe, um Worte zu finden. Es könnte dann wohlfeiler nicht sein, öffentlich ein "Wir sind nie wieder leise" zu proklamieren.

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