Der junge Schweizer Maurice Bavaud wollte Hitler töten. Sein Attentat misslang. Am 14. Mai 1941 wird er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In der Galerie der Widerstandskämpfer bleibt er unbekannt. Er eignet sich nicht für die Rolle des verklärten Helden. Wir sollten uns an ihn erinnern – und an dessen „Erinnerer“: Niklaus Meienberg, – schreibt Helmut Ortner.
Im Oktober 1938 kauft der junge Schweizer Seminarist, Maurice Bavaud, eine Pistole und reist nach Deutschland. Er ist 22 Jahre alt und hat sich vorgenommen, Adolf Hitler am 9. November 1938 beim Hitlerputsch-Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle zu erschießen.
Fünfzehn Jahre zuvor, am 8. und 9. November 1923 hatte die NSDAP nach dem Vorbild Mussolinis in München versucht, die Reichsregierung in Berlin zu stürzen. Der Aufstand endet im Kugelhagel: Vier Polizisten und 16 Demonstranten kommen ums Leben. Hitler entkommt leicht verletzt, wird aber am 11. November 1923 festgenommen. Nun marschieren die Nazis in Gedenken an die „heldenhaften Blutopfer“ wieder durch Münchens Straßen.
Bavaud gibt sich als begeisterter Nazi-Anhänger aus, um einen Platz als Zuschauer auf der Ehrentribüne zu bekommen. In der Tasche seines Mantels versteckt er die Pistole, mit der er zuvor im Wald Schießübungen gemacht hat. Obwohl er einen Platz in der ersten Reihe ergattert hat, scheiterte das Attentat, weil Hitler beim Vorbeimarsch zu weit von ihm entfernt ist. Auch in den nächsten Tagen gelingt es ihm nicht, nahe genug an Hitler heranzukommen. Er gibt seinen Plan auf und versucht, mit dem Zug außer Landes zu fliehen. Sein Ziel: Paris. Da sein Geld nicht mehr ausreicht, fährt er ohne Fahrschein und gerät dabei in eine Kontrolle. Die Pistole und belastende Dokumente trägt er noch bei sich. Als Ausländer wird Bavaud umgehend an die deutsche Gestapo übergeben. Er redet sich damit heraus, dass er ein Waffennarr sei. Doch niemand glaubt ihm. Er wird angeklagt. Das Amtsgericht in Augsburg verurteilt den jungen Mann schließlich im Dezember 1938 wegen Fahrkartenbetrugs und unbefugten Waffentragens zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis. Doch es kommt schlimmer. Als die Beamten der Gestapo die Unterlagen Bavauds genauer prüfen, erkennen sie, dass sie es mit einem Anschlagsversuch auf Hitler zu tun haben. Daraufhin verhören sie ihn Tag und Nacht im Augsburger Gefängnis – eine Woche lang. Er ist erschöpft und verängstigt. Er gesteht. Nun bringt ihn die Gestapo nach Berlin, die Ankläger des Volksgerichtshofes übernehmen seinen Fall. Es folgen verschärfte Verhöre, er wird misshandelt, bleibt in Haft. In den letzten 17 Monaten seines Lebens bekommt er kein einziges Mal Besuch. Dann der Prozess – das Urteil: Todesstrafe. Am 14. Mai 1941 wird Maurice Bavaud in Berlin-Plötzensee durch die Guillotine hingerichtet.
Zehn Jahre nach Kriegsende wird Maurice Bavaud von der Justiz des Landes, die ihn einst aus seinem jungen Leben in den Tod beförderte, erneut verurteilt. Am Berliner Landgericht steht 1955 der Fall Maurice Bavaud zur Verhandlung, diesmal im Rahmen eines Wiedergutmachungsverfahrens.
Bavauds Familie hatte ein Wiederaufnahmeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland beantragt. Es ging dabei auch um eine Wiedergutmachungs-Zahlung in Höhe von 40.000 Franken, die freilich nur dann als „Schadenersatz“ zu zahlen waren, wenn Maurice von einem deutschen Gericht nachträglich freigesprochen würde. Doch der hingerichtete Hitler-Attentäter wurde ein zweites Mal verurteilt: diesmal zu fünf Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrenverlust. Immerhin erging die Entscheidung gerichtsgebührenfrei. Man habe – so das Gericht – nicht anders entscheiden können, weil das Leben Hitlers im Sinne der Vorschrift des Paragraphen 211 StGB in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen war. Der Antrag auf Aufhebung des Todesurteils des Volksgerichtshofs vom 18.12.1939 wird zurückgewiesen.
Vom Volksgerichtshof waren Bevaud die bürgerlichen Ehrenrechte – trotz Todesurteil – auf Lebenszeit aberkannt worden, jetzt hatten die Nachkriegsjuristen ihn immerhin zu fünf Jahren Ehrenrechtsaberkennung begnadigt. Wie der Tote die fünf Jahren Haft absitzen sollte, wurde nicht näher ausgeführt. Erst in einem dritten Verfahren – 1956 – wurde das Todesurteil aus dem Jahr 1939 endlich aufgehoben und keine Freiheitsstrafe mehr ausgesprochen. Endlich überwies die Bundesrepublik Deutschland der Familie Bavaud 40 000 Schweizer Franken, die bestätigen musste, dass damit diese Affäre definitiv liquidiert sei.
Niklaus Meienberg, Historiker, Journalist und Schriftsteller aus der Schweiz, hat Maurice Bavaud vor vielen Jahren in seinem Buch „Es ist kalt in Brandenburg“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Meienberg, der die Reportage neu erfand war er ein wortgewaltiger Autor, dessen ‚Sprachgewalt’ auch seine Feinde bewunderten. Exzessiv, ja existentiell, hat er sich als Person in seine Texte eingebracht. Meienberg arbeitete für Fernsehen und Radio, war Pariser Korrespondent der Weltwoche und des Stern, schrieb Reportagen, Prosa, Essays – und viele Bücher. Ein unruhiger, aufrührerischer, zerrissener Geist. Einer, der sich mit der Wirklichkeit duellierte und an ihr verzweifelte. Am 22. September 1993 beendete er gerade 53 Jahre alt, sein Leben. Seine großartigen Bücher sollten wir wieder entdecken.
Maurice Bavaud, der junge Mann, der ihm seelenverwandt war, über den er einen Film drehte und ein Buch schrieb; Bavaud, der den ganzen Nazi-Wahnsinn beinahe verhindert hätte, starb einsam und vergessen auf dem Schafott. Wir sollten uns auch an ihn erinnern.
Letzte Änderung: 01.06.2023 | Erstellt am: 29.05.2023
Niklaus Meienberg Es ist kalt in Brandenburg
Ein Hitler-Attentat
192 S., brosch.
ISBN: 978-385791-721-9
Limmat Verlag, Zürich 2013
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