Man braucht den Handschlag
Seit Jahrzehnten reiste Elliott Sharp als Komponist, Bassklarinettist und Gitarrist rund um den Globus. Er ist eine Institution als Produzent, Klangkünstler und Bandleader. Corona brachte alles zum Erliegen. Clair Lüdenbach sprach mit dem New Yorker Künstler über seine Erfahrung in der Corona-bedingten Isolation.
Clair Lüdenbach: Was macht ein Künstler wie Du in dieser Zeit? Kannst Du Deine Arbeit von der gegenwärtigen Situation trennen?
Elliott Sharp: Einerseits wird meine Arbeit durch die Umstände eingeschränkt. Es gibt keine Konzertaktivitäten, keine Tourneen, ich kann keine Vorträge geben, nicht unterrichten oder Workshops geben. Auf der anderen Seite muss man sich als Komponist der Umgebung öffnen. Indem man das macht, nimmt man die ganze Misere, die Ängste, Sorgen und Unsicherheiten in sich auf. Bis zu einem bestimmten Punkt möchte man all das in seine künstlerische Arbeit einfließen lassen. Ich arbeitete an der Beethoven-Oper, an anderen Musikkompositionen und an Aufnahmeprojekten mit unterschiedlichen Leuten, und dafür möchte man fühlen, was man fühlen muss. Trotzdem muss man es filtern, sich davon abgrenzen, damit man von all dem in der Welt da draußen nicht völlig vereinnahmt wird. In der Regel gelingt mir das sehr gut, diese Situation testet das natürlich aus. Ich sollte allerdings hinzufügen, dass, wenn ich nicht auf Tournee bin, ich dazu neige, mich hermetisch abzuriegeln. Ich bin ein Arbeitssüchtiger. Aber in dieser Situation ist das sehr nützlich.
Warst Du mit spezifischen, eigenen Projekten befasst oder sind es Projekte, die schon als Auftrag vorlagen?
Die wesentliche Arbeit war die Beethoven-Oper, „die größte Fuge“, die Ende November aufgeführt werden sollte und nun auf Ende März dieses Jahres verschoben wurde. Daran musste ich noch viel arbeiten. Es ist eine Art Projektion von Beethovens kompositorischem, visionärem Ausblick als Ergebnis seiner Ertaubung und seiner sich verschlechternden Situation durch die Isolation. Dann ergaben sich einige Projekt wegen des Corona-Virus. Musiker-Freunde aus der ganzen Welt sagten, „komm, lasst uns Aufnahmen machen, wo wir schon diese Gelegenheit haben“. Es wurden Files ausgetauscht und Files mit Aufnahmen zurückgeschickt. Das war eine sehr angenehme Arbeit mit Freunden aus aller Welt.
Verändert diese Arbeitssituation Dein Denken? Verändern sich die Resultate durch diese Situation?
Aus meiner Innensicht kann ich das nicht wirklich beurteilen. Es gab einfach eine kontinuierliche Arbeitssituation. Ich bin nicht objektiv. Oder, ich bin objektiv bis zu einem gewissen Punkt in der Wahrnehmung meiner Arbeit. Ich versuche nicht, mit meiner Arbeit auf etwas zu reagieren. Sie spricht nicht zum Virus oder der politischen Situation. Aber alles hat einen Effekt. Ich machte ein Aufnahme Projekt, das ich „Isosceles“ nannte, das ist natürlich ein Wortspiel, das sich auf ein gleichschenkliges Dreieck bezieht. In diesem Projekt realisierte ich drei Solostücke mit dem Titel „Isolation“, die Teil eines Statements sind zur Arbeit in Isolation. Aber ich kann nicht sagen, dass sie viel anders klingen als ein Stück, das ich schreibe, wenn ich meine Freunde sehe, mit ihnen in Restaurants gehe oder um die Welt reise. Es ist kein simpler Austausch zwischen direkten Eindrücken und einem bestimmten Resultat.
Wenn es einmal wieder möglich ist zu reisen und international aufzutreten, ist das eine wünschenswerte Zukunft?
Ja, absolut. Ich vermisse das in vielerlei Hinsicht, es beinhaltet einen großen Teil von dem, was ich mache, um meine Arbeit zu präsentieren. Vor allem, weil Europa und Japan die wichtigsten Absatzmärkte für meine Arbeit sind. Ich hoffe daher, dass ich im März die Möglichkeit habe, nach Deutschland zu kommen. Wir haben die Premiere für meine Oper in Bonn auf den 26. März angesetzt. Ich hoffe, bis dahin hat sich alles beruhigt; durch die Impfung und Vorsichtsmaßnahmen sollte das gehen. Ich habe keine Angst, aber ich hoffe, die Bürokratie wird mitmachen.
Glaubst Du, dass die gesamte Organisationsstruktur der Konzertplanung und Durchführung sich ändern wird?
Ich glaube das große Problem ist jetzt die Finanzierung. Denn wenn eine Ökonomie in einer Rezession sich verlangsamt, dann trifft es die Kultur als erstes. Und, wie wir wissen, existiert die zeitgenössische Musik nicht einmal am Rande der kulturellen Aktivitäten. Man hofft, dass die Ökonomie kulturelle Aktivitäten ermöglicht. In Bezug auf die Konzertplanung: Nachdem sich das Publikum an soziale Distanz gewöhnt hat, bis einmal der Corona-Virus verschwindet oder eine Herdenimmunität erreicht ist, wird es noch einige Einschränkungen geben. Ich hoffe, die werden vorübergehend sein.
Ich nehme an, dass die eher staatlich subventionierte, zeitgenössische Musik weniger schlecht dasteht als der Jazz, weil Jazzveranstaltungen viel stärker publikumsfinanziert sind.
Alles, was man braucht, ist Geld, und wie wir wissen, gibt es keinen Geldmangel. Es ist nur die Frage, in welchen Händen es ist. Ich würde nicht sagen, es wird besser – es wird anders.
Manche Leute glauben, dass wir uns in eine neue Gesellschaft verwandeln müssen, in der man Musik und Kunst neu denkt. Sie muss eine Vorbildfunktion einnehmen für eine andere, humanere Welt. Siehst Du das auch so?
Oh, ich stimme dem absolut zu. Es gibt Leute, die sagen, dass die Zukunft, wie jetzt, online am Bildschirm arbeiten wird. Ich sage, das ist es überhaupt nicht. Die Leute brauchen Kunst als soziale Verbindung. Sie müssen für Musik und andere performativen Arbeiten in einem Raum sein. Man braucht den Handschlag, den chemischen Austausch zwischen Performer und Publikum. Das ist, wo Ideen entstehen und sich multiplizieren.
Empfindest Du Dich durch den internationalen Austausch mit anderen Künstlern, den die technische Vernetzung Dir ermöglicht, in gewisser Weise gegenüber anderen Künstlern privilegiert?
Es ist sicherlich für Musiker leichter, sich auszutauschen durch File-Sharing. Aber heute hat auch jeder ein Smartphone und kann kommunizieren – sei es für die künstlerische Arbeit oder sei es für soziale Verbindungen. Wir wissen, es gibt Leute da draußen, und wir alle haben es in unserer Hand. Es gibt keinen Grund, warum Leute während dieses Lockdowns sich nicht auf irgendeine Weise verbunden fühlen können. Allerdings ist es schöner, wenn man im gleichen Raum ist.
Deine Haltung ist sehr positiv, denn eigentlich ist die Tatsache, dass wir eventuell noch sechs Monate unter diesen Bedingungen aushalten müssen, eher deprimierend.
Da stimme ich zu. Es ist deprimierend, frustrierend, aber was ich gelernt habe, ist Geduld. Man kann nur sagen, es geht vorbei, egal ob Turbulenzen in einem Flugzeug, ein Corona-Virus oder ein idiotischer Präsident – man braucht ein bisschen Geduld.
Es gibt diesen Witz: Ich war einmal ein Pessimist, ich hatte das Gefühl, schlimmer kann es nicht werden. Aber dann wurde ich zum Optimisten und erkannte, es kann schlimmer kommen.
Letzte Änderung: 19.07.2021
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