Die Künstlerin Line Krom begann im März 2020 einen Versuch, im Ausstellungsraum eines Museums Gold zu produzieren. Dann kam der erste Lockdown. Eugen El hat mit Line Krom über ein turbulentes Jahr, das sie zuletzt an den östlichen Rand der EU führte und über die Aussichten für 2021 gesprochen.
Eugen El: In deiner künstlerischen Arbeit war das Sparen lange ein Hauptthema. Hast du dich 2020 davon wegbewegt?
Line Krom: In meiner Ausstellung „Trim the Fat! im Neuen Kunstverein Gießen ging es massiv um das Sparen. Die Ausstellung lief bis Ende Januar 2020. Meine Ausstellung „Numbers Rule, die im März 2020 im Frauenmuseum Wiesbaden eröffnete, war mehr oder weniger eine Retrospektive mit Werken aus den letzten Jahren über meine künstlerische Recherche zur Ästhetik der Austerität. Arbeiten, in denen es nicht nur ums Sparen, sondern eben auch ums Bilanzieren geht. Es geht auch darum, was durch das Einsparen bewirkt werden kann. Wenn ich an meine Leinwandarbeiten denke, bei denen ich einzelnen Fäden „rausgespart“ habe. Das Material dann aber widerständig oder aufgebläht wurde, dann sind das Nebeneffekte von Einsparmaßnahmen.
Welchen Effekt hatte die Corona-Krise auf die Anfang März 2020 eröffnete Ausstellung?
„Numbers Rule“ fiel mehr oder weniger dem ersten Lockdown zum Opfer. Geplant war mein erster Versuch, im Ausstellungsraum eines Museums Gold zu produzieren. Die Ausstellung wurde gerade eröffnet, und die Gold-Pflanzen waren am Wachsen. Durch die Schließung musste etwas mit diesen Pflanzen passieren. Es war nicht klar, ob die Ausstellung wieder aufgemacht wird und ob die Pflanzen dorthin zurückkehren können. Deswegen musste ich notgedrungen überlegen, wie damit zu verfahren ist.
Konntest du dieses Problem lösen?
Mir wurde ein leer stehendes Bürogebäude in Neu-Isenburg bei Frankfurt zur Zwischennutzung angeboten. Endlich hatte ich seit langem mal wieder ein eigenes Atelier. Dort hatte ich die Möglichkeit, mit den Pflanzen zu experimentieren und zu schauen, wo da Mehrwert generiert wird.
Welche Richtung schlug deine Arbeit dort ein?
Die eremitenhafte Corona-Zeit hat mich dazu gebracht, mich näher mit dem Wesen meiner Pflanzen zu beschäftigen. Waren sie zunächst in dem Phyto-Mining Projekt eine Art lebendiger Apparat, so konnte ich durch den intensiven Kontakt viel über diese dezentralisiert organisierten Wesen lernen. Mich beschäftigte vor allem, welche Implikationen derartiges Denken auf Kommunikation und Hierarchien in der Arbeitswelt haben könnte. So war zwischen April und August auf 200 Quadratmetern eine Art Echokammer zwischen mir und den Pflanzen entstanden. Mitte August wurden die Pflanzen in einer Live-Performance verbrannt.
Hat die Pandemie deine künstlerische Praxis auch inhaltlich beeinflusst?
Corona ist überhaupt nicht mein Thema. Was mich interessiert hatte, war der Lockdown. Mit dem Thema hatte ich mich für ein Projektstipendium der Hessischen Kulturstiftung beworben. Es führte mich im Herbst nach Lettland. Dort habe ich die Isolation des Lockdowns noch einmal durchexerziert.
Mit welchem Projekt hast du dich für das Projektstipendium beworben?
Meine Ausstellung im Frauen Museum Wiesbaden wurde aufgrund des Lockdowns geschlossen. Im Rahmen der Ausstellung hatte ich einen „Mehrwert-Generator“ aus Pflanzen entwickelt und versucht, mithilfe von Pflanzen Gold zu generieren, die mir als Bildender Künstlerin ein Einkommen ermöglichen sollen. Mit den Pflanzen habe ich dann notgedrungen meinen Lockdown verbracht und später auch einige meiner Versuchspflanzen mit nach Pedvale genommen. Im Rahmen der Residenz habe ich das Material für mein Buch geordnet. Es erscheint im März 2021.
Warum hast du dich für Lettland entschieden?
Lettland ist im Vergleich zu der Rhein-Main-Region dünn besiedelt. Die Bevölkerung konzentriert sich in der Hauptstadt Riga. Der „Art Park Pedvale“, wo ich sechs Wochen verbrachte, ist abgelegen. Von diesem kleinen Gehöft konnte ich in einer halben Stunde ins nächste Dorf laufen. Ich habe diese Künstlerresidenz bewusst gewählt, um möglichst fernab von der zivilisierten Welt zu sein und möglichst wenig Kontakt mit anderen zu haben. Ich wollte das Gesundheitsrisiko für mich nicht vergrößern.
Wie hast du die Zeit in Pedvale erlebt?
Nach meiner künstlichen Landschaft im Büroraum faszinierte mich die Weite und Vielfalt der Natur. Aufgrund der Quarantänebestimmungen durfte ich nicht in die Öffentlichkeit, allein wandern in der Natur war mir erlaubt.
Konntest du andere Teile Lettlands besuchen?
Erst am letzten Wochenende vor meiner Rückreise bin ich nach Riga gefahren. Die Stadt war komplett leer. Galerien und Museen durften aber weiterhin öffnen, und sie wurden auch genutzt. Im lettischen Kulturbetrieb war man sehr glücklich darüber. Zudem entschied ich mich, einen Teil der Rückfahrstrecke an der Rigaer Bucht entlangzufahren. Ich wollte mir Kolka, ein Dorf an dem die Rigaer Bucht in die Ostsee übergeht, genauer anschauen. Dort fühlte ich mich, als würde ich in einem Caspar-David-Friedrich-Gemälde umherwandern: das Licht, die Natur, die Ruinen, die düstere Stimmung.
Ist dir in Lettland das Erbe der sowjetischen Besatzung begegnet?
Das kann man schon stark spüren. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung ist russischstämmig und behält das zum Leidwesen der Letten vehement bei. Die Letten leiden psychologisch noch sehr unter dem sowjetischen Regime. Es gab Deportationen, es gab den Versuch einer Russifizierung des Landes. Das russische Erbe wird jedoch toleriert. Es ist Teil der Geschichte.
Wie hast du die wirtschaftliche Lage des Landes wahrgenommen?
Lettland ist das viertärmste Land der EU. Es bekommt von der Europäischen Union massiv Druck, die Wirtschaftswachstumszahlen zu erfüllen. In Lettland wurden seit 2019 Steuererhöhungen geplant. Mit den pandemiebedingt gestiegenen Gesundheitsausgaben musste die Regierung dieses Jahr, inmitten der Krise, die Steuern erhöhen. Die Steuerreform hätte die Bevölkerung eigentlich nicht mitmachen wollen, weil die Wirtschaftsstruktur es gar nicht hergibt. Die Letten haben es gemacht, obwohl gar nicht klar ist, wie es wirtschaftlich weitergehen soll.
Wird das Sparen auch in Deutschland auf die politische Agenda zurückkehren?
Man weiß nicht, wie viel Geld die Kommunen und die Länder in den kommenden Jahren auf Grund der stark eingebrochenen Gewerbesteuer und der gestiegenen Neuverschuldung für die Kulturförderung überhaupt zur Verfügung haben werden. Das Sparen wird prinzipiell wieder ein großes Thema werden – aber erst nach der Bundestagswahl.
Letzte Änderung: 19.07.2021
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