Die Corona-Pandemie traf auch die Theaterwelt empfindlich. Im Frühjahr und Spätherbst 2020 löste sie zwei Spielzeitunterbrechungen aus. Eugen El hat mit dem Bühnenbildner Franz Dittrich über pandemiekonforme Inszenierungen, ein besonderes Lockdown-Projekt und die kommende Spielzeit gesprochen.
Eugen El: Wie hast du als freier Bühnenbildner das Jahr 2020 erlebt?
Franz Dittrich: Gewissermaßen hatte ich dabei Glück im Unglück. Zu Beginn des Jahres hatte ich noch mit „Psychose“ am Deutschen Theater Berlin eine Premiere, die von der Presse viel beachtet wurde und mir einen großen Erfolg auf den Weg in den Lockdown mitgab. Im Anschluss hatte ich Glück, in Hamburg zu leben, weil die Hamburger Bürgerschaft eine große Spendenbereitschaft zeigte, die Kreativszene zu unterstützen. Sodass obwohl mir wichtige Engagements wegfielen, ich mein Atelier halten konnte, ohne Schulden aufnehmen zu müssen.
Konntest du deine für die aktuelle Spielzeit geplanten Vorhaben umsetzen?
Ja. Und nein. Das dritte Mal Glück hatte ich, weil die zweite Produktion, an der ich dieses Jahr arbeitete, Ende September Premiere hatte. Und ich damit bisher von dem Schicksal verschont geblieben bin, unter diesen extremen Bedingungen eine Produktion fertigzustellen, die am Ende nicht einmal zur Aufführung kommen darf.
Allerdings wurde mir ein wichtiges Engagement gestrichen. In dem Fall wurde ich nach der Bauprobe wieder ausgeladen, weil das Theater nach den Einnahmeausfällen aus dem Frühjahr Geld sparen wollte. Ein weiteres Mal hatte ich Pech: Hier hatte ich an einem Projekt bereits ein Jahr lang gearbeitet, das jetzt ebenfalls abgesagt werden musste, weil die Staatstheater schon jetzt vonseiten der Politik unter enormen Sparzwang gesetzt werden.
Wie bewertest du die für die aktuelle Spielzeit entwickelten Inszenierungen, die mit Abstands- und Hygienekonzepten auf die Corona-Umstände eingehen?
Auch hier hatte ich Glück. Bei meinem ersten Stück nach dem Ausbruch der Pandemie wurde Tschechows „Onkel Wanja“ aufgeführt. Die Distanziertheit der Menschen zueinander spielt bei diesem Autor eine zentrale Rolle. Das Problem der Einsamkeit und des Verlorenseins in seinem Schicksal ist gewissermaßen ein Überzeitliches. Es ist deshalb entscheidend, für welchen Stoff wir „das Hygienekonzept anwenden“. Wenn es nicht auf eine Theaterform angewendet wird, die diesen Auflagen widerspricht, kann diese Begrenzung eine Intensität erzeugen, die das Publikum deshalb umso mehr erreicht, als das dieses erzwungene Verhalten umso mehr der Lebenswirklichkeit der Zuschauer entspricht.
Welche Zukunftsperspektive erwartet deiner Meinung nach die deutschsprachigen Bühnen nach dem Abklingen der Pandemie?
Es wird sich leider eine Entwicklung verstärken, die wir schon länger durchlaufen. Die immer gleichen großen Namen werden die Spielpläne bestimmen. Keine Zeit für Experimente und Neuentdeckungen. An manchen Häusern ist es schon jetzt beschlossene Sache, die Studiobühnen bis auf weiteres zu schließen. Das wird es für den Nachwuchs besonders schwer machen.
Welche Entwicklungen erwartest du darüber hinaus?
Der Gastspielbetrieb ist für viele Theater ein wichtiger Devisenbringer. Auch dieses Modell wird sicher auf dem Prüfstand stehen. Im schlimmsten Fall werden Produktionen dann nicht mehr verliehen, sondern verkauft. Das wäre für alle freischaffenden Künstler ein schwerer Schlag, weil dadurch die verfügbaren Aufträge noch weiter einschrumpfen. Ohne die vielen Gäste sehe ich die Theater jedoch Gefahr zu laufen, in eine Behördenmüdigkeit zu verfallen.
Droht ein Abbau von Arbeitsplätzen?
Manche Kollegen gehen auch davon aus, dass der Anteil der Festbeschäftigten reduziert wird. Ob das mit einer erhofften Steigerung der Produktivität einhergeht, wage ich zu bezweifeln. Meine Einschätzung ist eher, dass wir schon bald sowohl weniger Vielfalt auf der Bühne sehen als auch spürbar weniger Beschäftigte in der Theaterbranche haben werden.
Mit dem „DrehMOBIL“ hast du eine als 3D-Puzzle zusammensteckbare Miniatur-Theaterbühne entwickelt. Was hat dich zu dem Projekt inspiriert?
Während des Lockdowns im Frühjahr hatte ich den Eindruck, dass Kinder, Jugendliche und Bühnenbildner im gleichen Boot sitzen. Als lösungsorientierter Mensch wollte ich diesem Mangel zu einer Stärke verhelfen. In meiner plötzlich gewonnenen Freizeit entwickelte ich ein Unterhaltungsprogramm für meine Nichten und Neffen. Ich drehte Filme in meinem Atelier, die ich als Abwechslung zum Quarantänealltag beisteuerte. Damit verschaffte ich den Kindern Zugang zu einer Welt, die ihnen sonst verschlossen geblieben wäre. Daraus ist die Idee entstanden, den für mich schönsten Teil meines Berufs – den Modellbau – in Form eines Kinderspiels in Erscheinung treten zu lassen um den Forschungsdrang von Kindern so anzuregen.
Wie kann das „DrehMOBIL“ genutzt werden?
Der Theaterkasten kann nach meinen bisherigen Erfahrungen etwa als Ergänzung eines bestehenden Spielzeugbestands funktionieren. Es gibt in meinem Modelltheater genügend Nischen und Ecken, in denen Kinder ihre Spielsachen sprechen und Geschichten erzählen lassen können. Allerdings wäre es mein Wunsch, dass auch die Eltern sich dazu aufgefordert sehen würden, mit den Kindern zusammen etwas entstehen zu lassen. Deshalb arbeite ich gerade schon an Bühnenbild-Bastelsets, die Eltern und Kinder gleichermaßen fordert.
Kann ein solches Projekt auch helfen, Kinder und Familien spielerisch an das Theater heranzuführen?
Um den Theaterkasten so zum Leben zu erwecken, dass er auch dabei hilft, Kinder und Jugendliche an das Theater heranzuführen, braucht es sicher noch eine professionelle Anleitung. Ich bin deshalb bereits auch mit den ersten Theatern in Kontakt. Mein Ziel ist hier eine Zusammenarbeit mit der Theaterpädagogik oder der Dramaturgie an verschiedenen Theatern. Ein erster Test startet schon im Januar. Mit einer befreundeten Theaterpädagogin möchte ich den Theaterkasten als eine Art Kettenbrief herumschicken. Jede*r Teilnehmer*in hat das Modell für ein paar Tage, bastelt etwas hinein und teilt das Foto in einer virtuellen Plattform mit seiner Bezugsgruppe.
Wie überbrückst du den zweiten Lockdown, der im November begann?
Die Novemberhilfe kam für mich gerade zum richtigen Zeitpunkt. Im Oktober, November, Dezember und Januar mache ich zwei Drittel meines Jahresumsatzes. Dementsprechend fiel auch die Novemberhilfe so aus, dass ich, wenn ich sparsam haushalte, damit bis in den Sommer komme.
Wie blickst du auf die kommende Spielzeit?
Mir wird schwindelig, wenn ich darauf schaue. Die meisten Theater haben ja während des Lockdowns fleißig weiterproduziert. Dadurch ist ein Premierenstau entstanden, der Auswirkungen auf die Spielzeit 2021/22 hat. Ich habe für die ganze Spielzeit bisher erst ein Engagement. Eigentlich brauche ich sechs Produktionen, um meine laufenden Kosten und meinen Lebensunterhalt zu decken. Und staatliche Hilfen wird es dann für Künstler sicher nicht mehr geben.
Letzte Änderung: 19.07.2021
Über den Künstler
Franz Dittrich wurde 1982 im hessischen Offenbach geboren. Seit 2006 arbeitet er als Bühnenbildner an vielen großen Bühnen wie der Staatsoper Stuttgart, dem Schauspiel Bonn, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dem Deutschen Theater Berlin und dem Residenztheater in München. Arbeitspartnerschaften verbinden ihn u. a. mit Karin Beier, Claudia Bauer und Arpad Schilling. So brachte er z. B. mit Karin Beier die deutschsprachige Erstaufführung von Ayad Akthars „The Who and The What“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg auf die Bühne. Mit Jan Steinbach, Konstanze Kappenstein und Ulrich Rasche verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit. So war er schon für den Entwurf der reduzierten Ästhetik der Bühne von Ulrich Rasches „Dantons Tod“ am Schauspiel Frankfurt mit federführend.
Aktuell lebt und arbeitet Franz Dittrich in Hamburg.
Kommentare
Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.