Wohin mit der Demokratie?

Wohin mit der Demokratie?

Ein Kommentar

Nach dem Sieg der Taliban ist die Debatte über den sogenannten „Demokratieexport" im Westen wieder entbrannt. Aber gibt es wirklich keine Alternative zwischen militärischer Besetzung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer? Demokratie kann nicht exportiert werden. Sie muss aber gefördert und verteidigt werden. Ein Kommentar von Cinzia Sciuto.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Afghanistan ist in den letzten Tagen eine seit einigen Jahren ruhende Debatte wieder aufgeflammt. Die Debatte zwischen den Befürwortern des Demokratieexports mit allen Mitteln und denjenigen, die, ausgehend von der Annahme, dass der Export von Demokratie keinen Sinn macht, sich dann abwenden und ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der anderen mit einem scheinbar edlen „jeder muss sich selbst befreien” verschleiern.

Aber die Idee von Demokratie ist per se universal: Demokratie in einem Land funktioniert nicht. Diejenigen, die für Demokratie und Menschenrechte kämpfen, können sich nicht damit zufriedengeben, diese Werte ausschließlich in ihrem eigenen Land verwirklicht zu sehen. Sowohl aus Gründen der Gerechtigkeit (wenn Rechte nicht universell sind, müssen sie als Privilegien bezeichnet werden) als auch aus Gründen des Überlebens: Demokratien sind so zerbrechlich, dass sie nicht lange überleben können, wenn sie von nichtdemokratischen Regimen umgeben sind. Der Kulturrelativismus, demzufolge unsere Rechte „westliche” Werte sind, „Andere” jedoch andere Vorstellungen von Freiheit haben und Wir „unsere” Kriterien nicht auf „Andere” anwenden könnten, ist eine nicht nur zutiefst ethnozentrische, sondern auch äußerst kurzsichtige Haltung. Was ist damit gemeint, wenn man davon spricht, dass die Menschenrechte „westlich” sind? Ist dies eine historische Überlegung – die Menschenrechte wurden im Westen geboren und entwickelt – oder ist es eine ethisch-politische Überlegung, demzufolge die Menschenrechte „unsere Sache” sind, an der andere nicht interessiert (oder sogar geeignet) sind?

Ich habe den Eindruck, dass sich die Auffassung fast unmerklich auf die letztere verschiebt, und ich würde mir wünschen, dass die, die so denken, den Mut hätten, das Gleiche zu den Afghanen zu sagen, die sich an die Flugzeuge hängen, um nicht in die Hände der Taliban zu geraten, zu den Frauen, die in Angst und Schrecken in ihren Häusern eingesperrt sind, und zu all jenen, die für ihre Rechte (die wir anmaßend „westlich” nennen) kämpfen.

Natürlich gibt es diejenigen, die die Menschenrechte für ein Produkt des westlichen imperialistischen Kolonialismus halten: Das sind die Taliban und all jene Fundamentalisten, die autoritäre Regime errichten wollen, für die die relativistische Rhetorik der „westlichen“ Menschenrechte außerordentlich bequem ist. (Übrigens: Diejenigen, die die Menschenrechte relativieren, wären in der Regel nie damit einverstanden, bei den sogenannten sozialen Rechten denselben Maßstab anzulegen. Sind z.B. die Rechte der Arbeitnehmer überall gleich, oder haben die „Anderen” vielleicht eine andere Auffassung der Arbeitnehmerrechte wie wir?).
Ich höre schon den Aufschrei: „Hier sind die Menschenrechtler, die die Demokratie exportieren wollen! Jedes Volk muss die Demokratie für sich selbst erobern!“ Aber gibt es wirklich nur die Wahl zwischen kolonialer Besatzung und Desinteresse? Entweder exportieren wir die Demokratie mit Waffengewalt oder jeder für sich und Gott für alle? Diese Reduzierung der politischen Optionen ist an sich schon ein Sieg der fundamentalistischen und autoritären Regime, die nichts weiter fordern, als in Ruhe gelassen zu werden. In der Politik hingegen gibt es immer Alternativen: Man könnte zum Beispiel damit beginnen, alle Versuche der islamistischen Unterwanderung in Europa systematisch und ohne Zögern zurückzuweisen und damit fortfahren, alle Initiativen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die in verschiedenen Ländern für Demokratie, Menschenrechte und Säkularismus kämpfen, zu unterstützen (wirtschaftlich, strategisch, diplomatisch, politisch). Und dies nicht von der Höhe derer aus, die Demokratie, Menschenrechte und Säkularität bereits ein für alle Mal errungen haben, sondern als Teil eines gemeinsamen Kampfes, bei dem wir uns gegenseitig unterstützen.

Schließlich gibt es noch eine letzte Überlegung, die derzeit im Raum steht. Manche sagen: Ob es uns nun gefällt oder nicht, wenn die Taliban so leicht und schnell die Kontrolle über das Land zurückgewinnen konnten, dann bedeutet das, dass es eine grundsätzliche Zustimmung in der Bevölkerung gibt. Selbst wenn dies der Fall wäre (was man angesichts der Bilder von Menschen, die an Flugzeugen hängen, bezweifeln könnte), was bedeutet das? Politische Kämpfe werden für das geführt, was man für richtig hält, nicht für das, was Konsens ist. Während in Italien das faschistische Regime im Wesentlichen einhellige Zustimmung fand, gab es dennoch Antifaschisten, die im Untergrund für Freiheit und Demokratie arbeiteten. Waren sie vielleicht Narren, die nicht erkannten, dass das Regime eine breite Zustimmung bei der Bevölkerung hatte? Nein, sie haben für ein Ideal gekämpft. Ihrem Idealismus und nicht der kleinkarierten Realpolitik der Ängstlichen ist es zu verdanken, dass wir heute unsere stets prekäre Freiheit genießen dürfen.

Letzte Änderung: 21.09.2021  |  Erstellt am: 21.09.2021

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