Vergewaltigung als Kriegswaffe
Wer Vergewaltigung als unvermeidliche Begleiterscheinung des Krieges hinnimmt, hat die Menschenverachtung, die dafür Voraussetzung ist, schon akzeptiert. Allein wer einen Krieg beginnt, begeht ein Verbrechen, das mit Tötungswillen und Raubzug verbunden ist. Vergewaltigung, Folter und Vernichtung der Bevölkerung stehen außerhalb jeglicher archaischer Konventionen. Doris Stickler berichtet vom „Orange Day“ in der Evangelischen Akademie.
In der Kriegsberichterstattung bleibt sexualisierte Gewalt gegen Frauen oft außen vor. Dabei ist sie in bewaffneten Konflikten weit verbreitet. Für Simone Wisotzki von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sind Vergewaltigung, sexualisierte Sklaverei und Folter längst „systematische Kriegsstrategien“. Die Übergriffe auf Frauen dienten dazu, den „Gegner zu entehren, die eigene Macht zu demonstrieren und die Menschenrechte zu entwerten“.
Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – auch „Orange Day“ genannt – nahm Simone Wisotzki bei der Veranstaltung „Vergewaltigung als Kriegswaffe“ in der Evangelischen Akademie verschiedene Facetten sexualisierter Gewalt in den Blick. Die seit Jahrhunderten zum Einsatz kommende Taktik bleibe in der Regel ungeahndet. Im Ukrainekrieg etwa hätten russischen Soldaten schon viele Frauen vergewaltigt. Zu einem Prozess sei es bislang aber nur in einem einigen Fall gekommen.
Diesen Missstand schreibt die Politikwissenschaftlerin zum einen der Schwierigkeit zu, die Täter zu identifizieren und den Befehlshabern eine Schuld nachzuweisen. Personen, die Vorfälle zur Sprache bringen, erhielten zudem oftmals Todesdrohungen. Zum anderen werde sexualisierte Gewalt bei innerstaatlichen Konflikten nicht selten von Regierungsseite ausgeübt. Als Beispiel nannte Simone Wisotzki Äthiopien. „Von den sich dort abspielenden Dramen ist hierzulande kaum etwas zu hören.“
UN-Berichten zufolge seien auch in Afghanistan, Iran, Sudan, Mali und weiteren Ländern Frauen von sexualisierter Kriegsgewalt betroffen. Zu den Opfern gehörten immer wieder auch Männer, Jungen und vor allem queere Menschen. Letztere würden etwa „in Syrien systematisch verfolgt“. Im Norden des Landes hatte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zwischen 2014 und 2017 auch einen Genozid an den Jesiden verübt, der inzwischen völkerrechtlich anerkannt wurde. Anita Starosta von der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International umriss bei der Veranstaltung die noch immer katastrophale Situation.
Der IS habe „bis zu zehntausend Jesiden getötet, über siebentausend Frauen und Mädchen verschleppt, als Sklavinnen gehalten und vergewaltigt. Von den etwa zweitausend nach wie vor vermissten Frauen seien vermutlich viele tot. Die noch leben, würden weiterhin in IS-Familien geknechtet und misshandelt. Die Referentin für Syrien, Irak und Türkei begleitet seit mehreren Jahren in Nordsyrien ein Waisenhausprojekt, das Kindern von vergewaltigten Jesidinnen ein Zuhause bietet und ist häufiger vor Ort. Zu ihrem Entsetzen „bombardiert die Türkei gegenwärtig verstärkt die Region und tötet gezielt jesidische Aktivisten“.
Zum Auftakt der internationalen „Orange Days“ hatten die Korea-Partnerschaft in der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau , die Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau, das Zentrum Oekumene der EKHN und EKKW , die Koreanische Evangelische Kirchengemeinde Rhein-Main und die Evangelische Akademie Frankfurt an dem Abend auch die Leiterin der AG „Trostfrauen“ im Korea Verband, Nataly Jung-Hwa Han, eingeladen. Die in Berlin lebende Übersetzerin und Menschenrechtsaktivistin prangerte die rechtliche und politische Ignoranz gegenüber den über 200.000 Mädchen und Frauen an, die vom japanischen Militär während des Asien-Pazifik-Krieges (1931-45) als sogenannte „Trostfrauen“ sexuell versklavt worden sind.
Mehr als 30 Jahre währe nun schon der Kampf für die bis heute nicht erfolgte Anerkennung der Gräuel. Umso empörender findet es Nataly Jung-Hwa Han, dass die Regierungen von Japan und Korea 2015 verkündeten, die Trostfrauen-Frage sei geklärt. Wie sie erzählte, ist sogar der Verbleib der 2020 in Berlin errichteten Friedensstatue in der Schwebe. Die japanische Regierung setze die deutschen Behörden unter Druck, sie wieder zu entfernen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sei bei seinem Antrittsbesuch vom japanischen Premierminister Fumio Kishida darum gebeten worden. Zur Freude von Nataly Jung-Hwa Han setzt sich in Berlin ein breites Bündnis für den Erhalt einer Statue ein, die 2011 erstmals vor der japanischen Botschaft in Seoul aufgestellt wurde und inzwischen weltweit als Symbol gegen Kriegsverbrechen an Mädchen und Frauen gilt.
In Frankfurt hat die vom koreanischen Künstlerpaar Eun-Sung Kim und Seo-Kyung Kim geschaffene Skulptur dagegen einen sicheren Platz. Am Weltfrauentag 2020 auf dem Gelände der koreanischen Kirchengemeinde Rhein-Main eingeweiht, steht sie seither auf privatem Terrain. Angesichts der ungebrochenen Fortsetzung sexualisierter Gewalt gegen Frauen sprach die geschäftsführende Pfarrerin im Landesverband Evangelische Frauen in Hessen und Nassau, Anja Schwier-Weinrich, von einem „schwierigen Thema, zu dem kaum Fortschritte zu verzeichnen“ seien. Für Anita Starosta ist es „nur durch zivilgesellschaftliches Engagement zu lösen, das an die Lage der Betroffenen erinnert“. Simone Wisotzki mahnte zudem einen „besseren Schutz der Opfer, den Ausbau der psychischen Betreuung und ein Ende der Straflosigkeit für Täter“ an. „Wir müssen das ganze Gewaltkontinuum sichtbar machen, das mittlerweile auch im Netz Niederschlag findet. Der Hass gegen Frauen hat dort eine bedenkliche Präsenz erreicht.“
Letzte Änderung: 21.06.2023 | Erstellt am: 21.06.2023
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