„Revolutionär:innen“

„Revolutionär:innen“

Impulsvortrag von Nana Djamila Adamou
Revolutionär:innen

Die Frage, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn 1848 Frauen in der Paulskirche die Frankfurter Nationalversammlung gebildet hätten, lässt sich nicht beantworten. Frauen durften ohnehin nur auf die Gästebühne, Frauenrechte waren noch lange nicht erstritten. Eine Ausstellung im Frankfurter Römer und eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Revolutionär:innen“, eingerichtet zum 175-jährigen Demokratiejubiläum, thematisieren revolutionäre Frauen und ihren Beitrag zur Demokratiegeschichte. Nana Djamila Adamou hielt diesen Impulsvortrag.

Ich teile hier heute ein paar Reflexionen anlässlich der Ausstellung „Revolutionär:innen“, die ich mit ausgewählten Thesen übertitele. Die ersten sind:

Das Private ist politisch. Und das Politische ist privat.

Mein Feminismus ist global, intersektional und postkolonial.

Gewalt wirkt immer in alle Richtungen und wirkt sich auf alle aus – in unterschiedlichen Formen, Rollen und Positionen, jenseits von sogenannten Definitionen von Täter:innen und Opfern bzw. Überlebenden.

Keine von uns ist frei, solange eine andere von uns unfrei ist.
 
 

Als ich das erste Mal in diese Ausstellung und den umgestalteten Kaisersaal kam, war ich sehr bewegt und bin es noch immer, weil ich zum ersten Mal beim Betreten dieses Raumes das Gefühl habe, dass ein sonst nicht repräsentierter Teil meiner Wurzeln repräsentiert ist.

Ich blicke gerade auf das Zitat „Am I not a woman and a sister?“ der Philadelphia Female Anti-Slavery Society. Ich erinnere mich an Diskussionen mit Dorothee Linnemann und Linda Kagerbauer rund um die Veranstaltungen anlässlich von 100 Jahren Frauenwahlrecht im Jahre 2018. Diese Diskussionen waren zum Teil schwierig und schmerzhaft für uns alle, weil ich fragte: Welche Frauen* meint Ihr? Wer sind Eure Referenzen? Eure Rollenmodelle und Bezugspunkte? Und wer erlangte Freiheit? Auf wessen Kosten? Ich freue mich heute umso mehr, dass diese kritischen Fragen auf- und angenommen und bewegt wurden und die Reflexionen sich heute in dieser Ausstellung manifestieren und der Repräsentation Schwarzer Frauen* darin. Dafür bin ich dankbar.

Intersektionale, postkoloniale und transnationale feministische Allianzen und Solidaritäten sind wichtig angesichts globaler, intersektionaler und postkolonialer Verwobenheiten, Verstrickungen und Interdependenzen von soziopolitischen feministischen Bewegungen, Praxen, Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen, in Zeiten, in denen Demokratie, Frauen*-, Kinder- und Menschenrechte, Freiheits- und Schutzrechte umkämpft sind und angegriffen werden.

Die Präsenz und Repräsentation Schwarzer und Afro-diasporischer Protagonist:innen und Revolutionär:innen wie Harriet Tubman und Sojourner Truth in dieser Ausstellung sind auch deswegen so zentral und wichtig in dieser Stadt Frankfurt, die einerseits vielfältige Flucht- und Migrationsbewegungen beheimatet, die andererseits aber auch ein postkoloniales Erbe hat, fußen doch der Reichtum und das Renommee dieser Stadt auch auf Kolonialhandel, dem Handel mit Waren, verschleppten Menschen und geraubten Kulturgütern.
Wir tragen daher alle eine gemeinsame Verantwortung, diese Zusammenhänge und Kontinuitäten kritisch zu beleuchten und zu reflektieren.

1 R-Evolutionär:innen

Ich habe mir das Wort „Revolutionär:innen“ angesehen. In dem Wort steckt R-Evolution, die sich als Neu-Entwicklung, Neu-Entfaltung übersetzen lässt. R-Evolutionär:innen würde ich daher als Frauen* definieren, die leben, agieren und fühlen – entgegen allgemein gültiger Normen und Erwartungen – und die dafür eintreten, ihre eigenen Rechte auf ein gutes Leben zu verwirklichen, ihr eigenes Potential zu entfalten, und damit das einer Gemeinschaft und Gesellschaft.

Ich stehe bzw. sitze, spreche und fühle hier als Nachfahrin starker, kluger und sensibler Frauen*:

Auf der einen Seite bin ich Nachfahrin einer Schwarzen, muslimischen Großmutter – Hana –,

die als sogenannte formale Analphabetin – weil Mädchen selten die Kolonialschule besuchen durften und konnten –, als Mutter von 5 Kindern den Kolonialismus überlebte und die sogenannte Unabhängigkeit in Kantché, Niger, erlebte. Sie hatte als eine der ersten und wenigen Frauen* ihrer Generation große, soziale und spirituelle Macht und Kraft inne. Ihr größter Wunsch war zeitlebens, lesen, schreiben und studieren zu können und Ärztin zu werden. Sie setzte in einer polygamen Gesellschaft durch, die erste und einzige Ehefrau zu sein.

Auf der anderen Seite bin ich Nachfahrin einer weißen christlichen Großmutter – Hildegard –,

die als Mutter von 4 Kindern den 2. Weltkrieg überlebte und die sogenannte Nachkriegszeit in Moers, West-Deutschland, erlebte und die als eine der ersten und wenigen Frauen* ihrer Generation im damaligen Königsberg Humanmedizin studierte und darin promovierte, als Jahrgangsbeste. Ihre Doktorarbeit und die Dokumente über ihre Abschlüsse verbrannten im Krieg, sodass sie nach dem Krieg keine Nachweise mehr hatte und als Assistenz in der Arztpraxis ihres Ehemannes arbeitete, jedoch nicht als eigenständige Medizinerin.

Ich bin froh, demütig und dankbar angesichts der Privilegien, hier heute von Ihnen und Euch sprechen zu dürfen und zu können.

2 „Talking about a Revolution sounds like a whisper“

Als ich das erste Mal den Titel der Ausstellung hörte, musste ich an das Lied von Tracy Chapman denken: „Talking about a Revolution sounds like a whisper“. Auch wenn große symbolische Feiern wie die heutige wichtig sind, ist es doch so, dass die meisten Revolutionen wie ein Flüstern beginnen und sind, im Stillen passieren, weil sie Gefahr für Leib, Leben und Existenz für diejenigen bedeuten, die wir meist Jahrhunderte später als Revolutionär:innen anerkennen, erinnern und feiern.

Time is a cycle – History is a cycle

Das Zeit-Verständnis, das mich geprägt hat, ist ein zyklisches im Gegensatz zum häufig im Globalen Norden genutzten linearen Zeitverständnis, das Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einteilt. Das zyklische Zeitverständnis bedeutet: alles, was war, ist gleichzeitig, im Hier und Jetzt.

Alles ist gleichzeitig: Das bedeutet auch: alles ist immer auch möglich im Hier und Jetzt. Wir brauchen nicht bis zu einer Zukunft zu warten. Sie ist bereits hier im Jetzt.

Because of them – We can

Wir sind Nachfahr:innen unserer Großmütter, Ahn:innen künftiger Generationen und Wegbegleiter:innen vieler, die sich dem Engagement für Freiheit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Gleichberechtigung, Anerkennung, der freien Entwicklung des eigenen Potentials verschrieben haben, verschreiben und verschreiben werden, im Individuellen wie im Kollektiven.

Ubuntu

Ubuntu ist ein in Afrika verbreitetes philosophisches und Lebenskonzept, das bedeutet, es gibt keine Trennung zwischen Ich und Du, Wir und den Anderen: Ich bin, weil wir sind. Wir sind, weil ich bin.

Es bedeutet: das, was uns verbindet, sind Empathie, Liebe und das Streben nach Freiheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit. Es bedeutet die verbriefte Verbindung zwischen Demokratie, Menschenrechten und den Rechten der Natur, den Rechten, von allem, was ist, unserer Mit-Welt, der gesamten Schöpfung, für die wir die Verantwortung haben, für unsere Mit-Wesen und unsere Mit-Welt, ungeachtet der vermeintlichen Unterschiede und Ausdrücke.

We are the living dreams of our ancestors

In dem Wissen um Vor-Bilder, Ahn:innen und R-Evolutionär:innen, in der Verbindung zwischen uns allen, jenseits von individuellen Interessen, vermeintlichen und realen Unterschieden und Ausdrücken neige ich meinen Kopf

vor den Sichtbaren und Unsichtbaren,


vor den Hörbaren und Unhörbaren,


vor den schon Anerkannten und den noch nicht Anerkannten.

Ich neige meinen Kopf vor denen, die vor uns gingen,


Ich neige meinen Kopf vor denen, die mit uns gehen,


Ich neige meinen Kopf vor denen, die nach uns kommen.

Vielen Dank.
 
 
Siehe auch:
Linda Kagerbauers Einführung

Letzte Änderung: 17.05.2023  |  Erstellt am: 13.05.2023

Der Regenschirm von Henriette Zobel

Das Frauenreferat Frankfurt präsentiert 48 revolutionäre Frauen vom 28. April bis zum 26. Juni 2023 im Kaisersaal. In diesem Zeitraum treten die Könige und Kaiser im Festsaal des Römers in den Hintergrund. Stattdessen werden auf langen Stoffbahnen Porträts, Zitate oder Symbole historisch bedeutsamer Revolutionär:innen gezeigt.

Revolutionär:innen

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