Rassismus prepaid

Rassismus prepaid

Kommentar
Chip | © Kuhnmi, wikimedia commons

Warum ähnelt unsere Willkommenskultur so oft einer Strafaktion? Überprüfungen, Kasernierung, Arbeitsverbot – die erfindungsreichen Deutschen schaffen es offenbar nicht, eine sinnvolle Infrastruktur einzurichten, die sowohl den Geboten der Sicherheit als auch dem raschen Ausgleich des lange bekannten Arbeitskräftemangels Genüge leistet. Stattdessen streiten wir über die Bezahlkarte. Peter Kern kommentiert.

Wer als Geflüchteter hierher kommt und seinen ersten Sprachkurs absolviert, dem wird die Vokabel Zugangsreiz nicht begegnen. Zum Grundwortschatz gehören Wörter wie essen, trinken, arbeiten, kaufen und die zugehörigen Substantive. Geld ist ein Schlüsselwort. Um die Frage, wie dem Geflüchteten die staatliche Geldleistung zukommen soll, ob in Bar oder in Form einer Prepaid-Karte, ist ein hitziger Streit entbrannt. Wollte ein Flüchtling das Warum des Streits und der ihn begleitenden Affektaufladung verstehen, wäre das Verständnis der genannten Vokabel hilfreich. Die ihm monatlich zustehenden 410 Euro seien ein Anreiz, Zugang nach Deutschland zu begehren und Teilsummen an die zu Hause gebliebene Familie oder die Fluchthelfer zu überweisen. So behaupten die Kartenverfechter.
Der Streit ist ein bisschen inszeniert. Kein Geflüchteter bekommt 410 Euro bar auf die Hand. Für Unterkunft und Verpflegung wird ihm mehr als die Hälfte abgezogen. Die Karte ist auch weder beim Chef der Bundesregierung noch bei den Chefs der Landesregierungen umstritten. Strittig ist, ob die verbleibenden ca. 180 Euro nur gegen Waren des täglichen Bedarfs getauscht werden dürfen, oder ob der Kartenbesitzer darüber frei verfügen und Bargeld abheben darf. So viel Freiheit sei dem vom deutschen Steuerzahler Alimentierten nicht zuzugestehen, sagen die Befürworter der harten Linie. In den Talkshows sieht man sie in Businessanzüge und -kostümchen gekleidet, die mit dem Doppelten des Asyl-Regelsatzes nicht zu bezahlen wären. Nur die Grünen scheren wieder mal aus, halten sie es doch mit dem gesunden Menschenverstand, dem sich partout nicht erschließt, wie man mit der Bezahlkarte auf dem Flohmarkt billige Kleidung erwerben oder Eintritt ins Schwimmbad erhalten soll.

Wer second hand trägt und Asyl haben will, soll nicht seine Faulheit zur Schau stellen, indem er schwimmen geht. Ein Wettbewerb um die Frage, wer die harte Linie am härtesten verfolgt, ist entstanden. Den Vorwurf, es gebe in Hamburg „eine hundertprozentige Barabhebung“, dementierte ein Sprecher des dortigen SPD-dominierten Senats und verwies auf die Deckelung bei 50 Euro. „Unsere Bezahlkarte kommt schneller und ist härter“, hielt Bayerns Ministerpräsident Söder dagegen (BamS, 4. Februar). „Es können nur noch Waren in Geschäften des täglichen Gebrauchs gekauft werden. Wir stoppen Online-Shopping, Glücksspiel und Überweisungen ins Ausland.“ Auch der Kauf von Alkohol sei ausgeschlossen; und dies in Bayern, wo Bier zum Grundnahrungsmittel zählt. Mancher Landrat der Republik lässt die Karte so codieren, dass sie nur im lokalen Einzelhandel einsetzbar ist. Flüchtlingselend als Umsatzbringer.

In der Debatte um die Bezahlkarte offenbart sich eine Gehässigkeit, die als eine gegen die AfD gerichtete Klugheit gelten will. Die so klug sein wollen, verwischen den Unterschied zwischen einem sozialpolitischen Instrument, das sinnvoll sein kann, wenn es überlasteten Behörden hilft und einem Ressentiment, das nur der deutschen Rechten hilft. Das Ressentiment dringt in die Gesetzgebung ein und wird zur politischen Maßnahme. Das entspricht dem Politikverständnis der AfD. Die sieht sich als die wahre Stimme des Volkes, das sich zur Bewegung formiert und die etablierten Politiker Mores lehrt. Eine Legislative, die sich dafür hergibt, Diskriminierung zu legitimieren: man kennt das in Deutschland.

Bis vor wenigen Wochen musste man beinahe annehmen, die Strategie der AfD funktioniere wie das sprichwörtliche warme Messer, das durch die kalte Butter geht. Die Demonstrationen der jüngsten Vergangenheit haben eines Besseren belehrt. Eine politische Haltung ist zum Ausdruck gekommen, die man, ohne rot zu werden, staatsbürgerlich nennen kann. Das nach Buckeln vor der Obrigkeit klingende Wort hat einen Bedeutungswandel erfahren. Es steht nun für die unverhandelbaren verfassungsrechtlichen Garantien. Das Asylrecht, das Staatsbürgerrecht werden wir gegen die rechtsradikalen Stimmungsmacher vorbehaltlos verteidigen, steht imaginär auf hochgehaltenen Transparenten. Die Bedeutung der gegen die „Remigration“ gerichteten Kundgebungen ist schwerlich zu überschätzen.

Sie sind gegen eine politische Verrohung gesetzt, die aus den Zeiten der Pegida stammt, aus denen die AfD hervorgegangen ist. Die Rechte realisierte damals, welche wirksame politische Waffe ihr die Hetze gegen Migranten in die Hand gibt. Pegida war noch ein Gesellenstück; die AfD will das Meisterstück machen. Dazu braucht sie eine gesellschaftliche Atmosphäre der Gehässigkeit, und sie tut alles dafür, diese zu erzeugen und zu verfestigen. Dass sie damit erfolgreich ist, erfährt das Führungspersonal der Grünen gerade am eigenen Leib. Die AfD setzt auf „seine Majestät, den Mob“ (Hannah Arendt), trifft dabei aber endlich auf Widerstand. Die Volksvertreter wären gut beraten, es mit dem demonstrierenden republikanischen Teil des Volkes zu halten, statt eine Politik zu machen, die der völkische Teil nur als Bestätigung seines Zerrbildes vom Asylsuchenden als Betrüger verstehen kann.

Letzte Änderung: 27.02.2024  |  Erstellt am: 27.02.2024

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