Politik tricky

Politik tricky

Ein Kommentar zum Bahnstreik
Mitgliedsbuch 1920er, Bahnmuseum Nürnberg | © wikipedia

„Tarifpartner“ ist ein freundliches Wort, weil es Teilhabe am Aushandeln der Gehälter ausdrückt. Ein Streik während der Tarifverhandlungen ist kein freundlicher Akt, besonders wenn er die gesamte Infrastruktur zu schädigen droht. Im Katalanischen erschien erstmals 1315 „tariffa“ als „Geldanteil, den der König jährlich erhält“. Peter Kern kommentiert.

Die Gewerkschaft der Lokführer schafft es wieder zuverlässig, die publizierte Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen. Ihr Vorsitzender, Claus Weselsky, behauptet erneut die Rolle des Oberschurken der Nation. Der Streik der Eisenbahner zwingt, so will es scheinen, die deutsche Wirtschaft endgültig in die Knie. Deutschland sei wieder zum kranken Mann Europas geworden. Eine verantwortungslos handelnden Gewerkschaft, die für Stillstand beim Transport der Güter und Arbeitskräfte sorgt, trage daran schuld.

Die öffentliche Meinung zu hysterisieren, ist ein den social media angelasteter Effekt. Zu Unrecht, denn die sich selbst Qualitätspresse nennenden Medien können das auch. Man lese die Hetzkommentare der großen deutschen Blätter. Demnach kommt es einem Verbrechen gleich, eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden zu fordern und ein die gestiegenen Preise kompensierenden Lohnzuwachs. Als Schwerverbrechen gar muss die geforderte Viertagewoche gelten. Und ist sie nicht bar jeder ökonomischen Vernunft? Die Zeiten sind doch lange vorbei, als jeder Junge Lokomotivführer werden wollte. Qualifiziertes Personal wird doch händeringend gesucht! Die so eindringlich den Verstoß gegen ökonomisches Einmaleins beklagen, sind dieselben Kommentatoren, die Lobeshymnen aufs autonome Fahren schreiben. Das führerlose Automobil ist eine Schimäre, aber die führerlose Lokomotive ist eine Vision mit Realitätsgehalt. Jeder Skytrain auf den Flughäfen dieser Welt zeugt davon.

Vielleicht wird die Standesorganisation der Lokführer die Solidarität ihrer Kolleginnen und Kollegen – beschäftigt in den Werkstätten, der Administration oder als Schaffner – einmal dringend benötigen, dann, wenn der eigene Arbeitsplatz auf dem Spiel steht. Aber Standesorganisationen reservieren Solidarität für die eigene Berufsgruppe und können daher von den anderen keine erwarten. Was geht den Mann auf dem Führerstand vorne die mit der unzufriedenen Kundschaft beschäftigte Frau hinten an? Die GDL sei für alle da, betont man. Aber die Wirklichkeit ist eine andere. Die Lokführer repräsentieren eine Minderheit, und von den 300 Betrieben der Deutschen Bahn steht nicht einmal ein Zehntel hinter der GDL. In der weit überwiegenden Zahl der Betriebsstätten gilt der Tarifvertrag der DGB-Konkurrenz, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Zur GDL hält sich nicht einmal ein Viertel der gewerkschaftlich Organisierten.

Ob die Mehrheit der Lokführer hinter ihr steht? Oder hat auch in dieser Berufsgruppe die EVG die Nase vorn? Tarifrechtlich ist dies entscheidend, denn wer die Mehrheit hat, darf um das neue Vertragswerk verhandeln und zum Streik aufrufen. Ermitteln lässt sich dies mit Hilfe der sogenannten Notarstatistik. Die konkurrierenden Gewerkschaften hinterlegen ihre Mitgliederliste, und die Kanzlei gibt das Ergebnis bekannt. So einfach geht das. Die GDL verweigert sich diesem demokratischen Verfahren. So lässt sie in der Schwebe, was die Juristen Tarifvertragsfähigkeit nennen. „Die GDL ist nicht offenkundig tarifunfähig“ hat ihr zwar ein Arbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung attestiert, womit es das Begehren des Bahn-Vorstands nach einem Verbot des Streiks abgelehnt hat. Aber die Formulierung bringt zum Ausdruck, dass der Beweis, Mehrheiten hinter sich zu versammeln, noch herbeigeschafft werden muss.

Die Streiks der Lokführer stehen auf wackeligen Beinen. Man hat die Prothesen des Deutschen Beamtenbundes nötig. Die GDL spielt ein bisschen den wilden Mann, aber hinter dem Revoluzzer stehen eher konservative Damen und Herren. Die Dachorganisation schießt die Streikgelder ein, an denen es der Pseudogewerkschaft fehlt. Die GDL will mit einem AfD-Effekt Erfolg haben, und ihr ostdeutscher Background hilft dabei. Der Furor der sich ewig benachteiligt Fühlenden ist bei ihren Mitgliedern habituell. Nachdem die ostdeutsche Bahn privatisiert und in die westdeutsche integriert wurde, wären die übernommenen Eisenbahner gerne Beamte geworden. Daraus ist nichts geworden, außer dem Gefühl, immer zu kurz zu kommen. Damit macht das CDU-Mitglied Weselsky Politik. Seiner Partei wird es recht sein, so wie ihr die Aktionen des Bauernverbandes recht sind, den Verband zu nennen eigentlich eine Beschönigung ist. Man vergegenwärtige sich den Mob, der sich vor Herrn Habeck aufgebaut hat.

Friedrich Merz und die Seinen klagen erst die Schuldenbremse ein, und wenn sie dann kommt und weniger an Subventionen zu verteilen sind, beklagen sie das den armen Bauern angetane Unrecht, während diese Berufsgruppe doch die am meisten staatlich alimentierte ist.

Letzte Änderung: 10.01.2024  |  Erstellt am: 10.01.2024

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Kommentare

Ralf Rath schreibt
Obwohl längst klar ist, dass kein Mensch sich dem Äußersten entziehen kann, werden noch immer Unsummen öffentlicher, aber auch privater Gelder für die schiere Illusion ausgereicht, es wäre angeblich möglich, sich davon frei zu machen. Nicht von ungefähr suchte deshalb Theodor Heuss den Einzelnen stets in seiner Gebundenheit und erteilte damit allem anderen eine Abfuhr. Wenn angesichts dessen das Bundesverfassungsgericht erst jüngst am 15. November 2023 reklamiert, den Ansatz endlich zu erörtern und nicht mehr vor der Notwendigkeit zu flüchten, greift jeder das Amt des Staatsoberhaupts frontal an, der dennoch dadurch bereits zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland ökonomisch überkommene Verhältnisse auch künftig aufrechterhalten will. Maßgeblich ist also gegenwärtig allein die Antwort auf die Frage, ob nicht zuletzt eine Gewerkschaft im Rahmen der Tarifautonomie etwas zur Erörterung beiträgt oder nicht. Bleiben hiesig außerdem die politischen Parteien ihren Beitrag dafür schuldig, könnte von einer allgemeinen Willensbildung keine Rede mehr sein. Olaf Scholz wäre dann vollends ein König ohne Land.

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