Können wir aus der Geschichte lernen? Es gibt begründbare Zweifel an der Verbesserung der Menschheit, die der Geschichtsphilosophie zugrunde liegt. Aber aus welchen Motiven auch immer so viele deutsche Unternehmen eine Anzeigenkampagne unterstützen, mit der sie gegen die rechtsextremen Populisten nach dem Potsdamer Treffen im November 2023 Stellung beziehen – sie tun es auch im eigenen Interesse. Und das ist in diesem Fall beruhigend. Peter Kern fragt, warum dieser Vorgang in den Medien wenig Erwähnung findet.
Die Zeitungen Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, WirtschaftsWoche, DIE ZEIT und das Werbeunternehmen Ströer starten gerade eine Kampagne gegen die deutsche Rechte, an der sich aktuell schon über 500 große und kleine Unternehmen, Stiftungen und Verbände beteiligen. Von Adidas bis Zeiss sind alle namhaften Konzerne dabei. Die Verlagshäuser stellen ihren Anzeigenplatz kostenlos zur Verfügung. Die Initiatoren der Anzeigenkampagne fügen den Logos der Unternehmen einen bemerkenswerten Text bei: Dumpfer Populismus? Nein danke! Die sogenannte „Remigration“ unserer Freundinnen, Nachbarn, Kolleginnen? Ganz sicher nicht. Und Faschismus? Nie wieder! …Wir haben aus der Geschichte gelernt und vergessen nicht, wie das Unmenschliche – zunächst heimlich und verhalten, dann unterdrückend und brutal – in die Gesellschaft eingedrungen ist…Wir stehen gemeinsam für ein offenes Land, das sich mutig den Herausforderungen stellt, anstatt sich von rechter Propaganda aufheizen und aufhetzen zu lassen. Denn wir wissen bereits, wohin das führen kann…
Sätze solcher Klarheit waren von den Verantwortlichen der deutschen Unternehmen nicht unbedingt zu erwarten. Bisher haben die Unternehmer sich hinter ihren Verbänden versteckt. Was der Vorstandsvorsitzende von BASF hätte sagen müssen, hat er dem Präsidenten der BDI, des Bundesverbandes der deutschen Industrie, überlassen. Der beließ es bei einer ziemlich maulfaulen Ansage: Die AfD sei schlecht für unser Land, so Siegfried Russwurm. Nun hat ein Umdenken stattgefunden. Die Mutmaßung des ehemaligen CEOs der Siemens AG scheint widerlegt. Es sei gewiss, dass die AfD nicht als der Arm einer mächtigen wirtschaftlichen Lobby agiere, sagte Jo Kaeser. Und genauso gewiss sei es, dass die Vertreter der Industrie, soweit sie Konsumgüter für den deutschen Markt produzieren, sich nicht offen gegen die Partei stellen würden. Man sei schließlich kaufmännisch unterwegs. AfD-Distanzierung? Das kann man sich nicht leisten, so fasste Kaeser die Reaktion seiner DAX-Kollegen vor einigen Jahren zusammen.
Auffällig ist, wer dem Werbefeldzug fern und der alten Logik treu bleibt. Die Lebensmittel-Discounter Aldi, Lidl und Kaufland sind nicht dabei. Das regt die soziologische Phantasie an. Wer beim Discounter einkaufen geht, greift auch beim politischen Angebot zur billigsten Ware? Den für die Public Relation zuständigen Stäben der Supermarkketten arbeitet gewiefte Sozialforschung zu. Die Geschäftsführerin eines für die Branche tätigen Kosmetikkonzerns verdeutlicht die Logik: Die PR-Berater warnen, sich öffentlich gegen die politische Überzeugung von 20 Prozent der Belegschaft zu stellen. Zur genannten Zahl kommt die mit der Rechten sympathisierende Kundschaft dazu. Der Betreiber mehrerer Edeka-Ländern in Sachsen, Bayern und Thüringen ist neulich vor diesem Kundenstamm in die Knie gegangen. Für sein Werbeprospekt mit der Aufschrift Für Demokratie – gegen Nazis erntete er, was man heute einen Shitstorm nennt. Danach sah er sich zur folgenden von der Materie des Sturms mitverursachten Erklärung veranlasst: Durch den Austausch mit unseren Kunden habe ich gelernt, dass sich viel mehr Menschen mit dem Wort Nazi identifizieren, als ich dachte. Wahrscheinlich auch deswegen, weil diese Menschen in der Vergangenheit vorschnell in die Nazi-Schublade gesteckt wurden, anstatt sich mit ihren Sorgen auseinanderzusetzen.
Sich den Sorgen dieser Art Kundschaft nicht zu verschließen, scheint die Haltung des Herrn Schwarz (Lidl, Kaufland) und der Brüder Albrecht (Aldi) zu sein. Es geht bei ihnen um Kasse, nicht um Courage. Vielleicht will man es sich mit der aufstrebenden rechten Partei auch nicht verscherzen. Vielleicht tritt man der Kampagne ja noch bei, sollte es gar nicht anders gehen. Oder hat man gar Sympathie für die rechte Alternative? Bei dem CEO von Müllermilch braucht niemand zu spekulieren. Herr Müller sieht in der AfD-Chefin Weidel eine Freundin; sie komme öfters zu Besuch.
Die Zeiten habe sich geändert und zwar zum Schaden der AfD; das macht diese Kampagne deutlich. Linke Leute, die sich der Partei historisch informiert in den Weg stellen wollen, werden die Differenz zwischen der neuen Rechten und der faschistischen alten ermessen: Die NSDAP sah sich massiv unterstützt von der damals dominanten Kapitalfraktion, die heutigen Unternehmen stehen den Rechtsaußen fast geschlossen ablehnend gegenüber. Es gibt für die AfD keine Ruhrbarone. Die Industriellen von Kohle und Stahl, nach der Novemberrevolution 1918 gezwungen, die Gewerkschaften und ihre Tarifverträge anzuerkennen, finanzierten zehn Jahre später die vermeintliche Arbeiterpartei, um die Arbeiterbewegung auszuschalten.
Sich der Vergangenheit zu vergewissern, um sich der gegenwärtigen Situation analytisch gewachsen zu zeigen, ist ein Bedürfnis, das theoretisch Interessierte zu den Texten Theodor Adornos greifen lässt. (Der Suhrkamp Verlag kommt diesem Bedürfnis nach, indem er Sonderdrucke gehaltener Vorträge auflegt, wie den von 1967 mit dem Titel Aspekte des neuen Rechtsradikalismus ). Adorno weist auf ein Missverständnis des hilflosen Antifaschismus hin. Die nazistischer Propaganda Glauben schenken, sind nicht von Argumenten überzeugt, sondern von ihrer Triebstruktur überwältigt. Die „Hassverkäufer“ stimulierten das seelische Vegetationszentrum mit den Stoffen Wut und Angst, wogegen eine auf Rationalität setzende Aufklärung machtlos sei. Adornos Gegenstrategie ist nach Art der japanischen Kampfkunst: auf Angstverstärkung mit Angstverstärkung antworten. Den für die Propaganda Ansprechbaren sei die existentielle Katastrophe vor Augen zu führen, welche die faschistische Politik zeitige, eine Katastrophe, die in den deutschen Familiengeschichten abgespeichert sei. Auf das Interesse an Selbsterhaltung zu setzen, sei allemal hilfreicher als auf den Moralkodex zu verweisen.
Worin besteht der Zusammenhang mit der Gegenwart und der gegen die AfD gerichteten Antireklame? Sie kann dabei helfen, die Gefolgsleute der Höcke, Weidel und Chrupalla massiv zu verunsichern. Die den Genannten nachblöken, sehen sich gerne als Rebellen, aber gegen die obere Etage ihres Unternehmens zu rebellieren, ist von anderer Qualität, als gegen Scholz und Habeck zu wettern. Es ist ein seelischer, mit Angst besetzter Akt, der in der Wahlkabine nicht verschwindet und den die drohende ökonomische Krise immer latent hält. Dem Alltagsverstand sind die Unternehmer die Arbeitgeber, und wer die Arbeit gibt, sichert die Existenz, und wer sie zu nehmen droht, erzeugt Existenzangst. Der Anzeigentext ist mit einem Subtext unterlegt und diesen gilt es zu verstärken. Wer sich mit der AfD einlässt, riskiert seinen Job, lautet der Subtext.
Was dem Auftritt der Unternehmen fehlt, ist die Resonanz in der Öffentlichkeit jenseits des Kreises der Initiatoren. Im Hamburger Springerimperium hält man es vermutlich mit der Aldi-Logik; Berlins linke Tages- und Wochenzeitungen sehen wohl ihr Monopol in Sachen Moral gefährdet, und in Frankfurt kann man es nicht verknusen, einen klugen Gedanken realisiert zu sehen, der nicht die eigene Chefredaktion zum Urheber hat.
Letzte Änderung: 23.02.2024 | Erstellt am: 23.02.2024