Die Trade Republic schafft an

Die Trade Republic schafft an

Rente und Kapitalmarkt

Das Demokratische einer Politik besteht in der Aushandlung von Interessen, wobei in der Praxis vermutlich nicht scharf zwischen persönlichen, parteilichen oder dem Staatswesen insgesamt dienenden Interessen unterschieden werden kann. Wenn die Vernunft allein nicht hinreicht, muss die Vernunft des Kompromisses Handlungsfähigkeit erhalten. In der Ampelkoalition musste viel über Kompromisse laufen. Und Peter Kern fragt, ob da nicht gesellschaftliche Interessen in die falsche Richtung laufen.

Man kann Geld benutzen, ohne zu wissen, was Geld ist, eine alte marxistische Weisheit

Die Ampel blinkt gelb bei der Baustelle Rente. Statt Bürgerversicherung Einstieg in die Finanzierung mit Kapitalerträgen. Mehr Fortschritt wagen, das Motto der Koalition, heißt also auch mehr Markt, weniger Staat wagen. Die sogenannte Finanzindustrie scharrt schon sehr mit den Füßen. Wann geht es endlich los mit dem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag? Wir werden zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Diese soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen. Die zehn Milliarden, mit denen die Bilanz eröffnet wird, erscheinen den Vermögens- und Fondsverwalter allerdings mickerig. Aber die sind ja nur ein erster Schritt. Und zudem darf die Deutsche Rentenversicherung ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anlegen. Die Koalition beruhigt die Kritiker des Verfahrens. Der kapitalgedeckte Teil der gesetzlichen Rente muss für das Kollektiv der Beitragszahler dauerhaft eigentumsgeschützt sein.

Vom Kollektiv hat man schon lange nicht mehr sprechen hören. Aber was bedeutet dieser Eigentumsvorbehalt? Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung, sagen die Juristen. Das Eigentum des Kollektivs darf demnach von keinem Besitzer – als solcher hat jede Regierung des Kollektivs zu gelten – veräußert werden. Das Geld geht in die Bilanz des Staates als Debit, als Schuld immer ein. Man kann diese Schulden nicht auslagern, wie die Konzerne es gerne tun, um ihre Bilanz zu frisieren. Steht die Regierung bei ihren Rentenbeiträge zahlenden Bürgern mit, sagen wir, zehn Milliarden in der Kreide, heißt das natürlich nicht, dass die von der Regierung erworbenen Aktien auch zehn Milliarden wert sind. Das Aktienpaket wird immer mehr wert sein als sein Nennwert, sagen die Experten des Aktienmarktes; man muss nur den langen Atem haben. Solche Marktexpertise hat die FDP in die Ampelkoalition eingebracht. Herr Lindner hat seinen Herzenswunsch den anderen erfolgreich ins Ohr geflüstert.

Aufs Timing, den richtigen Zeitpunkt für den Startschuss kommt jetzt viel an. Was wäre, wenn die Regierung mit der Kapitaldeckung startet und die Decke gerade einstürzt? Wie lange gibt’s noch Bullenmarkt? Die US-Zentralbank erhöht schon den Leitzins. Wertpapiere werden also teurer, was nur dann gut ist, wenn sie steigen und steigen und nicht plötzlich abstürzen. Die Gefahr des Absturzes malen doch nur die ewigen Miesmacher und Marktverächter an die Wand, oder?

Wäre der Gegenstand nicht so ernst, ließe sich eine Satire schreiben. Die Fondsrente kommt, so wie einmal die private Krankenkasse neben der gesetzlichen kam, und ihre Verfechter behandeln die Sache wie ein rohes Ei, das sie heil ins Ziel bringen wollen. Das Schicksal der Volksaktien ist ja noch in Erinnerung. Die Telekom war als Supernova gestartet und verglüht, und die Älteren erinnern sich vielleicht noch an die VEBA. Das Kürzel stand für keinen volkseigenen Betrieb, aber die Sache endete identisch. Eine Baisse an den Börsen bei Fondsstart zu erwischen, wäre psychologisch ungünstig, schreibt ein Vermögensverwalter. Ein anderer rät: „Man muss das Projekt richtig verkaufen … Ich schlage vor: Fabriken in Arbeiterhand.“ Von Wohnimmobilien solle der Fonds die Hände lassen; denn Wohnen sei ein kritischer, weil gegen politische Eingriffe nicht gesicherte Angelegenheit. „Das Markttiming ist furchtbar schwierig, wir kriegen das nicht hin“, klagt ein Dritter, immerhin Finanzprofessor am SAFE-Institut der Frankfurter Uni, aber was kann bei SAFE schon schiefgehen? Der Deutschlandsprecher einer Fondsgesellschaft äußert sich so: „Die Aktienrente muss gut kommunikativ und edukativ begleitet werden. In puncto Finanzbildung ist Deutschland ein Entwicklungsland.“ (FAZ, 19. 01.22). Seine sich als Entwicklungshelfer andienende Firma heißt Fidelity; wieder so ein beruhigender Name.

Auch Radikalreformer treten auf den Plan; sehr oft sind sie mit dem Gütesiegel Professor versehen. Sie empfehlen zur Sanierung der Renten-Baustelle noch längere Lebensarbeitszeit (Warum nicht bis 70 Prof. sein und Prof-Gehalt beziehen?) und eine hälftige Aufteilung: Zur Hälfte Rente vom Staat, zur Hälfte vom Kapitalmarkt. Wobei es der Staat tunlichst unterlassen soll, das Kapitalmarkrisiko dem einzelnen abzunehmen. Wer Aktionär sein will, kann nicht nur mit den Bullen brüllen, sondern muss auch mal vor den Bären zittern.

Die richtige Reform, an wem scheitert sie? Richtig. Am „geballten Widerstand von Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Kapitalismuskritikern.“ (FAZ. 29.1.22).

Die Zeitschrift Capital, auf Du und Du mit der gleichnamigen ökonomischen Sache, widmet dem Thema eine Titelstory, genauer der Generation Wir lieben Aktien, (so der Titel), deren künftige Wertpapier-Rente üppig ausfallen soll. Man feiert 14-Jährige, die einen Exchange Trade Fund, einen ETF auf den Dow Jones Index kaufen und nach dem Grund gefragt, antworten: „Ich finde es spannend und ich will früh dabei sein.“ Statt Pokémon Go der Gang an die Börse. Die Eltern des Jungen müssten sich eigentlich fragen, was falsch gelaufen ist; stattdessen präsentieren sie stolz ihren cleveren Filius. Der nutzt die App von Trade Republic. Die macht das Börsengeschäft so einfach wie das Kaufen bei Amazon. Es ist das Smartphone, das den Börsenhype bei den Jungen treibt. Der Chef der hippen Maklerfirma hat eine Mission: „Millionen von Menschen dazu zu bewegen, Geld für sich arbeiten zu lassen.“ Der Artikel endet: „Da wächst was. Und es dürfte gut ausgehen.“ (Capital 02/22)

Wird es gut ausgehen? Man kann Geld benutzen, ohne zu wissen, was Geld ist, eine alte marxistische Weisheit. Es sind nicht bloß die letzten Mohikaner, die Bedenken anmelden. Die deutsche Industriegesellschaft macht gegenwärtig durch, was ihre Mitglieder genauso über haben, wie die immer neuen Varianten des Virus. Transformation, man kann’s nicht mehr hören. Und doch ist die Phase nicht vorbei. Die Beschäftigten der alten Automobilindustrie nehmen kontinuierlich ab, und so viel neue Fabriken, inklusive Batteriefabriken, können gar nicht entstehen, um die überzähligen Arbeitskräfte aufzunehmen. Batteriezellen herzustellen, ist ein hochautomatisierter Prozess, und Teslas Arbeiter in Brandenburg brauchen ein Drittel der Zeit, um ein E-Auto zu montieren wie ihre Kollegen in Wolfsburg. Das künftige Wolfsburg, das schon in Planung ist, wird auch mit zwei Drittel weniger Leute auskommen. Schon jetzt ist die Stimmung gereizt, und das Reizklima wird nicht weggehen.

Das Kapital, das nun schon 14-Jährige verwertet sehen wollen, orientiert sich eher an den versprochenen Renditen der Finanzsphäre, als an denen in Wolfsburg. Im gleichnamigen Buch heißt es: „Alle Nationen kapitalistischer Produktionsweise werden daher periodisch von einem Schwindel ergriffen, worin sie ohne Vermittlung des Produktionsprozesses das Geldmachen vollziehen wollen.“ Den Schwindel der bürgerlichen Gesellschaft macht die Ampel-Regierung zu ihrem eigenen, statt nüchtern zu bleiben und sich der ökonomischen Rationalität nicht zu verschließen.

Gegen die Idee des lockeren Geldmachens und der Bundesrepublik als Trade Republic, ist scheinbar nicht anzukommen. Die Experten verweisen auf Norwegen und Schweden. Nur hat die Bundesrepublik keine Ölquellen, aber der norwegische Staat hatte welche, und ihr Verkauf bildete den Kapitalstock des zum Mythos gewordenen Staatsfonds. Keine Geldschöpfung aus dem Nichts, sondern mit Hilfe des Öls. In Schweden bringt der kapitalgedeckte Teil der Rente gegenwärtig 11 Prozent Rendite. „Kann die Ampel das kopieren“, fragt die FAZ (16.12.21). Ja, alter Schwede, das wär’s. Das schwedische Anlagevermögen liegt bei knapp 90 Milliarden; 2,5 Prozent zwackt der Staat dafür jedem Bürger ab. Die Bundesrepublik brächte locker bald das Zehnfache auf die Waage, wenn sie in der gleichen Weise verfahren würde.

Die Finanzmärkte locken mit versprochenen Renditen größer als zehn Prozent, aber die Unternehmen der Realökonomie wären im Durchschnitt glücklich, wenn sie beständig die Hälfte davon einfahren würden. Wo ist das Problem, wenn man das Geld halt auf den besser verzinsten Märkten anlegt? Das Problem ist, dass es schon zu viel Geld auf den Finanzmärkten gibt. Und die Renditen der Finanzmärkte gibt es nicht ohne die Realwirtschaft. Ohne die Dynamik der Akkumulation, ohne Kapitalien, die menschliche Arbeitskraft kaufen und diese Gegenstände (auch immaterielle) bearbeiten lassen, funktioniert das Geldmachen nicht. Zins gibt es nicht ohne Profit, sagt die Kritik der politischen Ökonomie. Nun sind aber 95 Prozent aller Finanztransaktionen von Direktinvestitionen in Produktionsprozesse unbeleckte Geldgeschäfte. In diesen Geschäften ist der von Marx so genannte Geldfetisch besonders heimisch, “die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten.“ (Das Kapital, 3. Band).

Es fehlt auf den Weltmärkten nicht an Kapital, im Gegenteil, es gibt zu viel davon, und das überflüssige Geld wandert auf die Finanzmärkte, wo die Illusion gehandelt wird, Renditen ließen sich auch erzielen ohne den umständlichen Weg der Warenproduktion. Diese Illusion wird in jeder Wirtschaftskrise aufs Neue widerlegt. Wenn die viertgrößte Industrienation beginnt, Teile der Rentengelder bei den Fonds anzulegen und weitere Nationen folgen ihr, wird dies den krisenhaften Prozess beschleunigen.
Im Motto der Koalition Mehr Fortschritt wagen, steckt ein Stück Waghalsigkeit. Es ist nicht im Kleingedruckten versteckt, sondern steht im Koalitionsvertrag: Für FinTechs, InsurTechs, Plattformen, NeoBroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden. Es gilt, die mit den neuen Technologien, wie z. B. Blockchain, verbundenen Chancen zu nutzen, Risiken zu identifizieren und einen angemessenen regulatorischen Rahmen schaffen. Wir werden deshalb für effektive und zügige Genehmigungsverfahren für FinTechs sorgen. Digitale Finanzdienstleistungen sollten ohne Medienbrüche funktionieren; dafür werden wir den Rechtsrahmen schaffen und die Möglichkeit zur Emission elektronischer Wertpapiere auch auf Aktien ausweiten. All die Beinbrüche, die vermieden, all die Techs und Broker die hier beschworen werden – inklusive der privaten Geldschöpfung per Blockchain-Technologie, womit ein Staat sein Hoheitsrecht aus den Händen gibt – siedeln ihr Geschäftsmodell auf den Finanzmärkten an. Sie versprechen das Blaue vom Himmel; sie blasen die Backen auf und bereiten das Platzen der nächsten Blase vor.

Es ist eine Ironie: Die Regulierung des Finanzwesens ist dringlicher denn je, aber die Reformisten aus SPD und Grünen wollen gar keine sein und versäumen diesen Schritt, von der FDP ins Schlepptau genommen. Herr Dulger von der Bundesvereinigung der Arbeitgeber klopft den Liberalen auf die Schulter: „Ich nehme im Unternehmerlager ein Stück Aufbruchstimmung nach der Bundestagswahl wahr.“ (FAZ, 15.11.21). Die BdA ist nicht industrielastig wie Gesamtmetall und daher aufgeschlossen, was die unkonventionellen Methoden des Geldverdienens angeht.

Der längst notwendige Schritt der Reform der Finanzmärkte und der Entschärfung des ihnen inhärenten Krisenmechanismus, worin bestände er? In der Entschleunigung dieser Märkte. In einem sehr lesenswerten Buch (Der Finanzmarktkapitalismus, edition suhrkamp), nennt der Autor Joscha Wullweber eine bemerkenswerte Zahl: Aktienkurse reagieren, von Algorithmen gesteuert, in vier Millisekunden, also fast in Lichtgeschwindigkeit. Dieser Hochfrequenzhandel ist für starke Marktschwankungen anfällig, und diese Schwankungen fallen in Krisenzeiten, wenn alle Markteilnehmer zur gleichen Zeit die gleichen Wertpapiere rasch loswerden wollen, (man spricht vom Hot-Potato-Effekt) katastrophal aus. Dann fegt ein Sturm durch die Börsenlandschaft, gegen den ein Tsunami als laues Lüftchen gelten muss. Im genannten Buch steht noch eine verblüffende Zahl, ein Rekord, in der letzten, der nach den Lehman-Brothers genannten Krise aufgestellt: An einer Terminbörse wechselten die dort gehandelten Wertpapiere 27.000 Mal den Besitzer. An einem Tag? In 14 Sekunden.

Den Hochfrequenzhandel zu entschleunigen, statt ihn mit den Rentenbeiträgen weiter zu füttern, ist geboten. Die Finanztransaktions-Steuer, die solches leisten kann, ist seit Jahr und Tag versprochen, aber sie kommt einfach nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung taucht sie schon gar nicht auf mehr auf und auch nicht mehr bei der EU-Kommission, die sich gerne hinter der Londoner City versteckt hat. Wenn für jede Finanztransaktion eine solche Steuer fällig wäre, wie sehr würde dies die staatlichen Kassen füllen? Das Geld wäre für Investitionen in die Infrastruktur der europäischen Industriegesellschaften gut zu gebrauchen. Der von der Europäischen Kommission ausgerufene Green New Deal wäre endlich mehr als ein Werbeclaim für eine gar nicht existierende Ware.

Und noch ein Produkt fehlt auf dem Markt. Die Bürgerversicherung haben die Wahlprogramme von SPD und Grünen versprochen. Auch sie hat es nicht zur Vereinbarung zwischen den drei Regierungsparteien geschafft. Haben die beiden genannten der dritten Partei ordentlich auf den Zahn gefühlt? Die Wähler stehen ausweislich von Meinungsumfragen hinter einer solchen Versicherungspflicht. Alle Bürger würden in die Renten-, die Kranken- und die Arbeitslosenkasse zahlen, auch wenn sie nicht vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben. Auch wer Mieteinahmen oder Kapitalerträge erzielt, wäre zu seinem Beitrag verpflichtet. Ein solches System der sozialen Sicherung würde den Sozialstaat robuster machen als das gegenwärtige, an Lohnarbeit gekoppelte. In einer zyklisch hohe Jobverluste verursachenden Ökonomie kein leicht abzuweisendes Argument.

Die Grünen und die Sozialdemokraten versprachen im Wahlkampf, dem Argument Geltung zu verschaffen. Als es aber zum Schwur kam, war ihnen die Sache nicht mehr so wichtig. Die Koalition platzen lassen wegen Arbeitslosenzahlen, die mutmaßlich gar nicht steigen? Ob das so bleibt, wird man sehen, wenn die Phase der Kurzarbeit ausläuft und wieder Business as usual gelten soll. Dann ist die alte Baustelle des Sozialstaats vielleicht wieder offen, während die Ampel nervig auf gelb stehen bleibt und gar nicht umspringen will.

Letzte Änderung: 05.02.2022  |  Erstellt am: 04.02.2022

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Kommentare

Matthias Schulze-Böing schreibt
Anregender Kommentar. Leider etwas zu polemisch und in vielem haarscharf an der Sache vorbei. Peter Kern vermischt hier doch vieles, was getrennt betrachtet werden muss. Nur einige Beispiele: Hochgeschwindigkeitshandel und die damit verbundenen Risiken zum Aufschaukeln Marktschwankungen. Das Problem ist nicht neu. Und hier wird auch schon reguliert. Zudem gibt es die Option der Handelsunterbrechung, die schon oft genutzt wurde. Spekulative Finanzanlage vers. Anlage in der Realwirtschaft: Auch kein neues Thema. Aber auch das lässt sich durch eine gute Regelung für staatliche und private Pensionsfonds beherrschen. Die zitierten Staatsfonds investieren ganz überwiegend sehr solide und neuerdings sogar "grün", d. h. mit einem Schwergewicht auf nachhaltige Wirtschaft. Arbeitsplätze: Hier wird wieder mal der große Arbeitsplatzverlust durch technischen Fortschritt, E-Mobilität und Digitalisierung beschworen, ein altes Angstmotiv der Linken. Auch wenn man nur einmal pro Woche in den Wirtschaftsteil einer guten Zeitung schaut, wird man erkennen, dass die wirklichen Sorgen ganz andere sind, nämlich die, noch genügend Fachkräfte in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft zu bekommen. Die Arbeit wird der Gesellschaft nicht ausgehen. Deshalb ist es auch absolut vernünftig zu überlegen, wie man Menschen länger im Arbeitsprozess halten kann. Rente mit 70 muss da kein Schreckgespenst sein. Bürgerversicherung: Keine neue Idee, aber aus durchaus guten Gründen bisher nicht umgesetzt. Zum einen wird durch die Verbreiterung des Kreises der Beitragsberechtigten und der beitragspflichtigen Einkommen auch der Kreis der Leistungsberechtigten im Rentenfall verbreitert. Beamte sind z. B. eher langlebig. Wenn sie einzahlen, bekommen sie wahrscheinlich für jeden Beitrags-Euro mehr raus als der Durchschnittsarbeitnehmer, der sein Geld in etwas stressigeren Berufen verdienen muss und deshalb im Allgemeinen eine etwas kürzere Lebenserwartung hat. Das gilt natürlich auch für Kapitaleinkünfte u. ä. Man kann diesen Effekt mildern, indem man die Rentenhöhe begrenzt. Dann läuft es auf Umverteilung hinaus. Das muss man politisch wollen und sich natürlich auch fragen, ob man das über das Steuersystem nicht mit gleicher Wirkung eleganter und akzeptanzfähiger hinbekommt. Schon jetzt fließen über 40 Mrd. pro Jahr Steuermittel ins Rentensystem. Fazit - etwas mehr differenzieren, etwas weniger Polemik und schon kann ein Schuh aus der Kritik am Koalitionsvertrag werden.

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