Die Linkspartei am Nasenring

Die Linkspartei am Nasenring

Chance für Rot-Rot-Grün?

Geht es nach der Partei „Die Linke", können Soldaten das Töten nicht verhindern, sondern nur fortsetzen. Peter Kern hat in seinem Kommentar den absoluten Pazifismus als den Kern der Partei ausgemacht, der ihre Koalitionsfähigkeit verhindert.

Die Äußerung der Co-Vorsitzende der Partei Die Linke im Frühjahr klang optimistisch: „Wir sind gerade dabei eine Tür zu öffnen, um klarzumachen, dass außer Schwarz-Grün auch Grün-Rot-Rot denkbar wäre.“ Der Interviewer der TAZ hakte nach: „Grün-Rot-Rot würde also nicht daran scheitern, dass deutsche Soldaten im Ausland sind?“ Frau Hennig-Wellsow: „Alle Soldat*innen müssen zurückkehren.“ Erst Tür auf, dann Tür zu.

Nach dem Afghanistan-Debakel fühlt sich die Partei bestätigt. Kein Auslandseinsatz der Bundeswehr hätte anderes zur Folge als tote Zivilisten, Militärangehörige und verschwendete Milliarden. Rechne man alle Einsätze zusammen, komme man auf 114 tote Soldaten und auf 21 Milliarden Steuergelder. Vor allem Ostdeutsche und Aussiedler seien unter den Opfern; die sozial Schwachen müssten wie stets den Kopf hinhalten. Afghanistan beweist der Linkspartei, was sie schon immer wusste: Jede militärische Intervention der Vereinten Nationen verschärfe den Bürgerkrieg und führe zu noch mehr Toten.

Die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) bestätigt diese Annahme nicht. Die 4.000 Soldatinnen und Soldaten, die meisten in Mali, Syrien, Irak, dem Kosovo, im Libanon, im Mittelmeer und bis Ende August in Afghanistan im Einsatz, nehmen an UN-Missionen teil, die keineswegs nur euphemistisch als Friedensmissionen gelten können. Laut der unter Friedensforschern stark beachteten “Fortna”-Studie haben Blauhelm-Einsätze die Wahrscheinlichkeit des Wiederausbruchs von Bürgerkriegen um 60 bis 85 Prozent verringert. In der großen Mehrzahl der untersuchten innerstaatlichen Kriege sank die Todesrate um mehr als 30 Prozent. Die Zahlen der HSFK, einer unverdächtigen Zeugin, sollten der Linkspartei zu denken geben.

Die sich auf die empirische Untersuchung der Politikwissenschaftlerin Page Fortna (Columbia-University) beziehenden Autoren der Frankfurter Stiftung sehen für einen überbordenden Optimismus gleichwohl keinen Anlass. Angesichts der gescheiterten UN-Friedensmissionen in Libyen, in Syrien und nun in Afghanistan verbietet sich jede Euphorie. Das peacekeeping und das peacemaking der Blauhelme ist immer vom Scheitern bedroht. Die HSFK fordert für jeden anstehenden Einsatz eine differenzierte Debatte ein. Die Bundesregierung müsse sie mit dem Parlament und mit der Öffentlichkeit führen. Die Debatte dürfe sich „nicht auf die immer wieder gleichen allgemeinen, vom Fall abgehobenen Argumente beschränken“, heißt es weiter. Das ist erkennbar auf die Partei Die Linke gemünzt.

Wer das Debakel in Afghanistan als Bestätigung seiner Politik sieht, wie es Die Linke tut, schreit auf dem falschen Bein sein pazifistisches Hurra. Die Konfliktherde, bei denen die Vereinten Nationen militärisch intervenieren, drohen in häufigen Fällen, wie im Südsudan, in Völkermord und ethnische Säuberung umzuschlagen. Sich an diesen Auslandseinsätzen nicht zu beteiligen, wäre schlicht unmoralisch. Es sei denn, man sieht Moral und Außenpolitik als Kontinente an, die sich nicht berühren. Dann lässt Carl Schmitt, der Staatsrechtler der deutschen Rechten, grüßen. Die internationale Staatengemeinschaft kann von der Bundesregierung zu Recht erwarten, dass sie an den friedenerzwingenden Missionen der UN teilnimmt. Die Linke mit ihrer Distanz zu den Vereinten Nationen delegitimiert ein Völkerrecht, das sowieso schon schwach auf den Beinen steht. Oder kennt die Partei eine andere Institution, die dem Völkerrecht Geltung verschafft?

Nun hat Frau Hennig-Wellsow in dem erwähnten Interview bekundet, für friedenserhaltende Bundeswehreinsätze nach Kapitel 6 der UN-Charta „offen zu sein.“ In diesem Kapitel ist der mandatierte Einsatz von Luft- und Bodentruppen nicht festgehalten, der steht im Folgekapitel. Die Linke wird sich durchringen müssen, zur gesamten UN-Charta zu stehen. Sie muss begreifen, dass sie sich mit dieser Haltung als linke Partei nicht aufgibt, sondern qualifiziert. Seinen Wählern zu unterstellen, die als Pazifismus ausgegebene Ohne-mich-Haltung wäre die den internationalen Katastrophen gegenüber angemessene und von den Wählern gewollt, zeugt von einer Sicht, die nur deprimierend wäre, erwiese sie sich als wahr. Frau Wagenknecht und der linke Flügel der Linken operieren mit dieser Unterstellung, in deutlicher Konkurrenz mit der AfD.

Bedingungsloser Pazifismus als Markenkern also. Worin die Partei ihre Identität sieht, darin sehen ihre Kontrahenten aber den Nasenring, an dem sich Die Linke durch die Arena ziehen lässt. Auf immer und ewig soll ein Auslandseinsatz als Sündenfall, als ein Umfaller gelten, damit die Linkspartei auf immer und ewig nicht in die Regierung kommt. Der Reformflügel um Herrn Bartsch und Frau Hennig-Wellsow begreift das böse Spiel, das man mit ihnen treibt, aber sie können es nicht beenden, weil Frau Wissler als Aufpasserin an ihrer Seite steht. Frau Wissler eilt der Ruf voraus, sie sei ein großes politisches Talent. Den Ruf hat man sogar aus der Landtagsfraktion der hessischen CDU gehört. Man kann das Lob verstehen; Frau Wissler und ihre Anhänger sind die Gewähr für das verhinderte Rot-Rot-Grün.

Der Linkspartei strömen laut Umfragen die Leute gegenwärtig nicht gerade zu; die Bundestagswahl lässt eher zittern als frohlocken. An der fehlenden Treue zum Markenkern kann es nicht liegen. Die internen Strategen und die beratende Rosa Luxemburg Stiftung sollten einmal eine andere Analyse in Betracht ziehen: Eine Stimme für Die Linke, die zu keiner Regierungsbeteiligung führt, macht auf Dauer keinen Sinn. Die Ausgepowerten, für die man Politik zu machen verspricht, die in Leiharbeit und Werkvertrag und ständiger Befristung festhängen, wollen per Stimmabgabe nicht bloß protestieren, sondern sie wollen, dass sich was ändert. Nicht zuletzt am AGB, am Arbeitsrecht, welches regelt, wie sich Arbeitsverträge so trickreich gestalten lassen, dass ihr Interesse an einer Festanstellung immer hinten runterfällt; Stichwort sachgrundlose Befristung.

Wie immer hängt alles mit allem zusammen. Eine deutsche linke Partei steht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte jedem militärischen Auslandseinsatz kritisch gegenüber; das gehört sich so. Es gehört sich aber auch, mit dem Nachdenken nicht aufzuhören. Wenn Die Linke ein Folgekapitel der deutschen Regierungsgeschichte aufzuschlagen bereit ist, muss sie jetzt klug sein und sich nicht an ihrer Rhetorik der Gewaltlosigkeit berauschen. Auf jeden Rausch folgt bekanntlich der Kater. („So geht’s mit Tabak und mit Rum, erst geht’s dir wohl, dann fällst du um“, wusste Wilhelm Busch). Ein desaströses Wahlergebnis der Linkspartei droht und dann fällt Rot-Rot-Grün um, bevor das Bündnis gestanden hat.

In der Pandemie haben neben den Industriearbeitern auch viele Büroangestellte zeitweilig ihr Geld vom Arbeitsamt bezogen und die Erfahrung gemacht hat, dass ein Instrument, das nach Nothilfe für eine archaische Klasse klingt, das Kurzarbeitergeld nämlich, eine für sie äußerst nützliche Hilfe des Sozialstaats darstellt. Mit dieser Erfahrung verbindet sich vielleicht die Ahnung, es könnte im Fall der nächsten Krise nicht sehr beruhigend sein, dieses Instrument in den Händen eines Herrn Merz zu wissen. Herr Merz, der Finanzminister in spe, wollte die Zahlungen des Arbeitsamtes schon eingestellt sehen, als die nächste Infektionswelle gerade im Anrollen war. Hält der Staat mit seinem vielen Geld nicht Zombie-Unternehmen am Leben, die der Markt längst zum Untergang verurteilt hat, fragt Herr Merz spitz, und mancher bei einem notleidenden Unternehmen Beschäftigte plagt so kurz vor der Wahl vielleicht die Sorge, ob sich diese Spitze nicht gegen ihn richten könnte. Ist er auch nur mäßig an politischen Dingen interessiert, wird ihm nicht entgangen sein: Der Herr Lindner, als der potentielle Ministerkollege des Herrn Merz, verschwendet sein großes Herz nicht gerade an die kleinen Leute.

Herrscht Hochkonjunktur, haben auch die Flausen Konjunktur, und mancher lässt sich gerne einreden, es gäbe gar keine kleinen Leute mehr. Der vor unseren Augen sich vollziehende Epochenumbruch, der eine CO2-freie Industrie zur Folge haben soll, bietet viele Chancen zu scheitern. In der Bevölkerung grassiert eine Angst, die ihr keine der Parteien wirklich nehmen kann. Vielleicht sind die gestiegenen Umfragewerte für die SPD verlässlich, und der Kandidat wird als bewährter Krisenmanager gesehen. Eine künftige Bundesregierung ohne Die Grünen scheint eigentlich undenkbar; die Ausfallerscheinungen der Natur liefern den Wählern die Begründung. Wenn die Sozialdemokratie und Die Grünen um die 20 Prozent oszillieren und Die Linke sich ein wenig nur nach oben bewegt, dann wird eine Alternative sichtbar. Dazu muss Die Linke aber deutlich machen, dass eine für sie votierende Stimme nicht auf dem Sammelkonto einer folgenlosen Fundamentalopposition landet.

Die drei genannten Parteien weisen ordentlich Schnittmengen auf. Das betrifft die Industriepolitik, die den ökologischen Umbau forcieren, die Sozialpolitik, die ihn abfedern, die Bildungspolitik, die ihn mit den Berufsbiographien verträglich machen soll. Was in ihren Programmen über eine solidarische Gesellschaft steht, könnte wechselseitig abgeschrieben sein. Aber die Gemeinsamkeit endet, wird die Außenpolitik berührt. Schafft es Die Linke nicht, über ihren Schatten zu springen, wird man ihr vorhalten müssen, sie habe mitgeholfen, das alte Personal erneut in den Sattel zu heben.

Die Linkspartei hält ihr Nein zu den Militärmissionen für den zurückgewiesenen Nasenring, dabei ist es das Ja zum Rettungsring für Laschet, Merz und Lindner.

Letzte Änderung: 05.09.2021  |  Erstellt am: 05.09.2021

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Kommentare

jutta himmelreich schreibt
sehr geehrter herr kern, vielen dank für ihren denkanstoß. es ist nicht leicht, mitanzusehen, dass DIE LINKE seit vielen jahren nur einstellige wahlergebnisse erzielt [ausnahme bremen 2019 mit 11,3 prozent, wenn ich recht informiert bin], während eine andere partei, weit rechts angesiedelt und erst relativ kurz teil der deutschen parteienlandschaft, bereits konstant zweistellig bleibt. schonungslose selbstkritik, orientiert an der realität heutiger herausforderungen auf nationaler und internationaler ebene [auch weniger gnadenlos ausgetragene innerparteiliche grabenkämpfe?] kämen der glaub- und vertrauenswürdigkeit der partei gewiss zugute. was allerdings die regentschaft der GRÜNEN angeht, die in vielen bundesländern seit geraumer zeit mittun und mE umweltfeindliche projekte mitgetragen haben: grund zu freude besteht [auch] hier wahrlich wenig. es geht also - wie so oft - um die entscheidung für die kleineren [d]übel zur festigung einer demokratie, die nicht nur so heißt, sondern auch so funktioniert. mit freundlichen grüßen, jutta himmelreich. frankfurt am main.

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