»Bei uns ist alles ruhiger«

»Bei uns ist alles ruhiger«

Weltkulturen in Museen

Heute stehen alle ehemaligen Völkerkundemuseen unter Verdacht: Wurden Teile ihre Bestände unrechtmäßig erworben? Im Weltmuseum Wien reagiert man differenziert auf diese Frage. Clair Lüdenbach sprach mit dem Direktor Dr. Christian Schicklgruber.

Interview mit Dr. Christian Schicklgruber

Dr. Christian Schicklgruber | © Foto: Weltmuseum Wien
Clair Lüdenbach: Hier in Wien heißt es nicht „Museum für Kulturen der Welt“ oder „Weltkulturen Museum“, sondern „Weltmuseum Wien“. Wie kam der Name zustande?

Christian Schicklgruber: Wien ist Teil des Namens, weil es in vielen der vierzehn Schausammlungssälen um die Beziehung zwischen Wien, Österreich und den Ländern, aus denen die Objekte stammen, geht. Das Thema ist ein durchgehendes Thema nicht in allen Räumen – aber eine Frage, die immer wieder auftaucht und behandelt wird: Wie kommen die Objekte nach Österreich, nach Wien. Also Wien und die Welt quasi als Thema, das immer wieder aufpoppt.

Wien hat ja nicht eigentlich eine koloniale Vergangenheit, sondern eine imperiale…

…ein bissl Kolonien haben wir gehabt, auf den Andamanen im indischen Ozean. Das waren ein oder zwei Inseln – ich weiß es nicht genau. Aber was da tatsächlich passiert ist: Irgendwelche Österreicher haben irgendwann einmal die rot-weiß-rote Fahne gehisst, und das war es auch schon. Das ist mehr eine ganz kleine Fußnote in der Geschichte. Ein Kolonialreich war Österreich nie. Österreich war beschäftigt genug mit Ungarn und den Balkanländern etc.

Wie kam die Sammlung zustande?

Die Völkerkundemuseen damals waren natürlich Nutznießer damaliger Verhältnisse. Also auch die Österreicher, die gereist sind, waren zum Teil im Dienste von kolonialen Mächten, beziehungsweise haben auf ihren Sammlungsreisen durchaus von den kolonialen Verhältnissen profitiert. Das ist ein Thema, das speziell in einem Raum in der Schausammlung ganz explizit angesprochen wird. Wir waren quasi die Ersten, die das im Rahmen einer Ausstellung ans Licht der Öffentlichkeit gebracht haben. Wir wurden nicht gefordert von Kritiken, von der Presse, sondern sind von uns aus mit diesem Thema an die Öffentlichkeit gegangen, – was bei einem Museum dieser Art eine Frage ist, die behandelt werden muss. Da führt kein Weg vorbei und zwar aus verschiedenen Perspektiven. Also, es ist nicht die Abwehrhaltung und Verteidigungshaltung, die man immer wieder antrifft, sondern wir schauen, dass wir das möglichst breit gefächert aus den verschiedenen Perspektiven zeigen müssen. Zum Teil ist das natürlich koloniales Raubgut, also jetzt nicht thematisiert im Raum mit dem Titel Kolonialismus, das ist Thema des Raumes, wo die Benin-Bronzen gezeigt werden, wo ganz klar gesagt wird, bitte, das ist Beutegut, als der königliche Palast in Benin-City gebrandschatzt wurde. Vorher alles geraubt, und die Österreicher haben es dann bei einer Auktion in London gekauft. Und auch das Thema der Restitution wird angesprochen. Wir haben über einige Videoschirme, Videobotschaften von Herren aus heute Nigeria, früher Benin, die ganz klar sagen, das ist unrechtmäßig erworben, das gehört nicht ins Museum. Das sind Botschaften, die Sie bei uns im Museum finden.

Altmexikanischer Federkopfschmuck, Mexiko, Azteken, frühes 16. Jh., Federn von Quetzal, Kotinga, Rosalöffler, Cayenne-Fuchskuckuck, Eisvogel; Holz, Fasern, Papier, Baumwolle, Leder, Gold, Bronze, vergoldet | © Foto: KHM-Museumsverband
Die Benin-Bronzen sind ja in verschiedenen Museen ein Thema…

Ja, ja, wir sind bei weitem nicht die Einzigen. Ich glaube, die größte Sammlung ist im Britischen Museum natürlich. Berlin hat Benin, Leiden hat Benin, also jedes – salopp gesagt – bessere Völkerkundemuseum hat einen Teil dieser Benin-Raubstücke.

Weil die besonders attraktiv waren…

Sie sind schön. Das ist gar keine Frage. Das sind tolle Objekte, die auch damals die Soldaten, Offiziere offenbar erkannt haben. Die haben was. Erstensmal einen monetären Wert und natürlich auch eine gewisse Ästhetik, die anspricht. Die haben sich ja furchtbar gut verkauft bei der großen Auktion in London. Das sind Kunstgegenstände, deren Wert auch nicht Spezialisten sofort klar wird, wenn man sie nur ansieht.

Es wurden ja Gebeine von Maori zurückgeführt. Stehen Rückführungen auch weiterhin zur Diskussion? Werden Sie dazu angegangen von manchen Ländern?

Wir haben vor ein paar Jahren mit einer Maorigruppe Kontakt aufgenommen, die einige Schädel, die auch unrechtmäßig erworben wurden, zurückgefordert haben. Wobei das letztendlich eine politische Entscheidung ist. Rückführung ja oder nein entscheidet ja nicht das Museum. Die Objekte, die wir zeigen oder die im Depot sind, sind ja im Besitz der Republik Österreich. Wir können Empfehlungen geben. Entschieden werden muss im Parlament. In diesem Falle, eine klare Empfehlung von uns: Es kommen Nachfahren dieser Herrschaften, die bei uns im Depot lagern, und diese Nachfahren wollen diese Schädel anständig bestatten. Das hat dann nicht lange gebraucht, bis entschieden war, klar geben wir das zurück. Das war dann von politischer Seite eine ganz nette Zeremonie, als sie übergeben wurden. Wo sie jetzt genau sind, weiß ich nicht. Sie sind in Neuseeland irgendwo. Aber sobald ich mich entscheide, ein Objekt zurückzugeben, gibt es neue Besitzer. Und was die damit machen, interessiert mich, aber letztlich habe ich keine Mitspracheposition. Es ist wieder ihres. Und ob es in Wellington in einem Museumsdepot dort liegt oder bestattet ist mit allen notwendigen Ritualen, ist Sache der neuen Besitzer.

Sind Sie von Benin auch angegangen worden, Stücke zurückzugeben? In Stuttgart ist das offenbar geschehen.

Na, ja. Wir haben vor einigen Jahren eine sehr große Ausstellung gehabt zur Kunst aus Benin, organisiert von Barbara Plankensteiner, die jetzt Direktorin in Hamburg ist. Und die Frau Dr. Plankensteiner hat von sich aus auch Vertreter des Königshauses eingeladen, wobei das seitdem ganz klar diskutiert wird. Entscheidung gibt’s noch keine. Was jetzt betrieben wird, auch auf ursprünglicher Initiative von Frau Dr. Plankensteiner, ist der sogenannte Benin-Dialog: Dass sich mehrere Museen in Europa, die Benin-Sammlungen haben, zusammengetan haben und mit Fachkollegen aus Benin-City diskutieren, dass im Sinn von einem Rotationssystem eben Objekte als mehrjährige Leihgaben in Benin gezeigt werden, in einem Museum, das gebaut wird. Wenn ich jetzt Objekte als Leihgabe gebe, kann ich natürlich mitreden, was damit geschieht. Und wenn im Sinn einer kulturellen Identitätsstiftung Objekte aus unseren Depots für mehrere Jahre nach Benin wandern, macht das durchaus Sinn. Dazu braucht es natürlich eine politische Entscheidung, die aber wesentlich leichter zu bekommen ist, als eine endgültige Rückgabe. Ich finde diesen Weg in der momentanen Situation sinnvoller als alles andere.

Zwei Hofzwerge, Königtum Benin, Nigeria, 14./15. Jh., Gelbguss  | © Foto: KHM-Museumsverband
Wird das Thema in Österreich ähnlich intensiv diskutiert, wie in Deutschland?

Also bei uns ist alles ein bisschen ruhiger und leiser. Es wird auch bei uns in der Öffentlichkeit in einigen Qualitätsmedien diskutiert, aber bei weitem nicht in der Vehemenz wie in Berlin oder zur Zeit in Paris. In Österreich sind es eher wir von Museumsseite, die diese Frage immer wieder aufwerfen, auch in der Öffentlichkeit, als dass wir von gewissen, sehr dynamischen pressure groups gefordert werden.

Wie präsentiert man hier diese Kunst der Welt, die ja nicht immer einen künstlerischen Wert haben, weil sie oft Alltagsgegenstände sind? Wie wird das hier diskutiert?

Wir brauchen Besucherzahlen. Ich habe mein Personal zu bezahlen. Wir sollen den Bau halbwegs in Schuss halten, wir brauchen Werbung etc. etc. Von dem, was wir vom Staat bekommen, ist ganz klar, das reicht nicht. Wir müssen unser Geld verdienen. Wir sind jetzt dabei, quasi ein mehrgleisiges Schienensystem aufzubauen. Wir haben vor ein paar Tagen ein Schaudepot eröffnet mit 800 Objekten, wo es keine einzige Objektbeschriftung gibt. Spektakulär präsentiert, aber auf jede Objektbeschriftung verzichtet. Und laden Besucherinnen und Besucher ein, einerseits – unter Anführungszeichen – zu staunen. Und wir laden sie zu einer direkten Auseinandersetzung mit einem Objekt ein, ohne vorher auf eine Beschriftung zu schauen. Wie alt, woher das Ding ist, erfährt man nicht von irgendjemandem im Museum, der das weiß, sondern Jede oder Jeder kann mit den Objekten machen, was er oder sie will. Das ist ein neuer Zugang – wie gesagt, das hat erst vor kurzem aufgemacht, und wir wissen nicht, wie das Experiment ausgeht. Aber ich glaube, wir sind wirklich gefordert, solche Experimente zu starten und nicht jahrzehntelang immer das Gleiche zu machen oder sie in der gleichen Art auszustellen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn Besucher wirklich weniger werden. Wir werden immer wieder potentielle „Blockbuster“-Ausstellungen haben. Einerseits, weil die Objekte, die gezeigt werden, einfach spannend sind, das ist überhaupt keine Frage, anderseits, weil es mit Sicherheit Besucher bringt. Wir werden aber immer wieder Formate zeigen, von denen wir überhaupt nicht wissen im Vorfeld, wie das angenommen wird. Und das hält es fürs Publikum spannend, und das hält es auch für uns Museumsleute spannend. Das soll eine Spielwiese sein und Spaß machen. Wenns gut geht, geht’s gut, und wenn es schief geht, hat man daraus etwas gelernt und macht’s das nächste Mal hoffentlich besser.

Einige Museen versuchen, ihre Ausstellungsstücke wie zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Also aus dem Kontext genommen bekommt z.B. ein Speer eine völlig neue Wirkung oder Bedeutung. Gleichzeitig beinhaltet jedes Objekt einen Teil des kulturellen Gedächtnisses einer bestimmten Region der Welt. Muss man das herausstellen? Oder ist das überholtes Denken?

Das ist eine schwierige Frage. Man kann nicht sagen, „entweder oder“. Ein Speer als Kunstwerk betrachtet, hat durchaus einen Wert. Es gibt Sachen, Gebrauchsgegenstände und Alltagsgegenstände, die eine Ästhetik ausstrahlen, die einfach ergreifend ist. Das ist eine Art, so ein Ding zu zeigen. Das soll aber nicht ausschließen, mit dem Speer die Geschichte zu erzählen, wofür der verwendet worden ist und wie sich die Verwendung ausgewirkt hat. Ich sehe da keinen Widerspruch, sondern im Sinne einer Mehrgleisigkeit kann es durchaus nebeneinander stehen. Und generell, weil Sie den Begriff Kunst verwendet haben: Ich bin seit einem Vierteljahrhundert Kurator für die Himalaya-Länder Südasiens. Und viele Ausstellungen unter dem Titel „Kunst aus Tibet“ sind Statuen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, wunderschöne Dinge, die aber nie ein Kunstwerk gewesen sind, sondern erst zu einem Kunstwerk in einem Museum werden. Da ist erstmal die grundsätzliche Frage: Es ist für uns ein Kunstwerk. Für den einen gläubigen Buddhisten hat dieses Stück Bronze einer Gottheit einen Körper gegeben. Für einen anderen gläubigen Buddhisten gibt es die Gottheit nicht, somit ist es ein Ding, was wichtig ist für die, die die letzte Einsicht in den Buddhismus noch nicht gewonnen haben. Aber für beide ist es auf keinen Fall ein Kunstwerk, wie wir das verstehen. Das ist eine endlose Frage, die immer heftiger diskutiert wird, wo es die endgültige Lösung nicht gibt. Gerade der Begriff Kunst: Jemand bei uns, der Kunst produziert, genießt ein gewisses Ansehen. Dieses Ansehen jetzt den anderen wegzunehmen, weil sie keine Kunst haben, ist natürlich genauso fatal, als das materielle Erzeugnis der anderen nur durch unsere Perspektive zu interpretieren. Das ist nicht weniger falsch. Und wie damit umgehen: Ich habe keine Lösung, aber ich finde es eine spannende Frage, die uns beschäftigt hält und durchaus auch unsere Besucher beschäftigen soll. Wie das Ding letztendlich gesehen wird – klar ich kann das steuern in der Art, wie ich es ausstelle, wie ich es inszeniere, – aber was es wirklich ist, entsteht erst in der Betrachterin, im Betrachter. Und diese Freiheit der Interpretation muss man im 21. Jahrhundert unserem Museumspublikum wirklich zugestehen.

Kris mit bemalter Scheide, Bali/Java; 16. – frühes 17. Jh., Stahl, Nickeleisen, damasziert, Holz, Pigment  | © Foto: KHM-Museumsverband
In Weltmuseen gibt es Alltagsgegenstände aus vielen Jahrhunderten, die im rasenden Tempo zu Objekten werden. Versuchen Sie den Lauf der Zeit abzubilden?

Wir würden das sehr gerne machen. Konjunktiv deshalb, weil uns die budgetäre Lage im Moment sehr einschränkt. Rein imaginär fürchte ich mich vor der Frage meines übernächsten Nachfolgers: Was haben die am Beginn des 21. Jahrhunderts gemacht? Es gibt aus der Zeit keine Objekte, um über die Kultur, über die Zeit zu berichten. Wir und nicht nur wir, auch andere Museen in Europa haben es schwer, um eigentlich das zu tun, was wir tun müssten. Und was wir tun müssten, ist den jetzigen Zustand von Kultur, von Gesellschaften und Regionen in der Welt mittels Objekten zu dokumentieren und zu sammeln.

Aus Indien weiß ich, dass ethnologische Sammlungen ein Relikt der Kolonialzeit sind. Und dieses Erbe wurde wenig gepflegt. Aber seit einigen Jahrzehnten gibt es auch dort eine lebhafte zeitgenössische Kunstszene. Der Weg zum Zeitgenössischen reißt in unseren ethnologischen Museen ab, denn der Kunstmarkt geht seine eigenen Wege. Da gibt es heute eine Überlappung der Interessen…

Unser Einkaufsbudget erlaubt keine wirklich großen Sprünge. Wir haben einige Sponsoren, die uns helfen, rezente Kunst zu sammeln. Entweder, dass wir Einkäufe vorschlagen, die momentan das Budget dafür bekommen. Oder wir bekommen ganze Sammlungen geschenkt. Also erst vor kurzem von der Frau Neubach eine Sammlung von 20 Werken moderner pakistanischer Kunst, die wir, sobald wir eine Möglichkeit finden, auch ausstellen werden: Einerseits interessant für ein ethnologisch interessiertes Publikum, andererseits interessant für ein Publikum, das interessiert ist an zeitgenössischer Kunst. Wir können beide bedienen, werden es aber auf jeden Fall anders ausstellen, als wenn dieselben Werke in einer Kunsthalle hängen würden, weil wir als ethnologisches Museum sehr wohl die Hintergründe jetzt aus der kulturellen Tradition oder auch aus der kulturellen momentanen Situation anders erklären, als das in einer Kunsthalle passiert. Wen das interessiert, der ist herzlich eingeladen. Das geht dann über Text oder Audio-Guide, wie auch immer. Wen das nicht interessiert, der muss das nicht lesen, es genügt, sich von diesem Ding beeindrucken zu lassen.

Das Museum ist von der Politik abhängig, haben Sie gesagt. Spielt die heutige nach rechts orientierte Regierung als Spiegel der Gesellschaft – wenn ich das mal so sagen darf – eine Rolle?

Eine verfängliche Frage. Also einen direkten politischen Einfluss von einer Regierung, von der viele sagen, sie ist sehr weit nach rechts gerutscht, spüren wir nichts.

Das ist ja schon mal gut.

Das ist fast ein bisschen enttäuschend, weil nicht wahrgenommen wird, was wir treiben. – Nein, es ist gut, dass wir unsere Freiheit behalten haben oder behalten konnten, das zu tun, was wir als richtig empfinden.

Letzte Änderung: 17.08.2021

Das Weltmuseum Wien | © Foto: KHM-Museumsverband
Weltmuseum Wien, Säulenhalle  | © Foto: KHM-Museumsverband

Hintergrund

Das Weltmuseum Wien steht am Heldenplatz. Dort, im ehrwürdigem Gemäuer, sind Schätze aus aller Welt anzuschauen. In der alten Monarchie haben Mitglieder der kaiserlichen Familie auf ihren ausgedehnten Reisen in ferne Länder und Kontinente viele Schätze erstanden oder geschenkt bekommen. Obwohl Österreich keine Kolonien hatte, fand auch Raubkunst eine Heimat in Wien. Auf diese unrühmliche Seite weist das Museum deutlich hin. Nach einer umfassenden Renovierung steht das Haus seit Ende 2017 mit innovativen Ausstellungskonzepten wieder für seine Besucher offen.

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