Blütenduft, Sonnenlicht und Zwiebelschalen

Blütenduft, Sonnenlicht und Zwiebelschalen

Ausstellung in Frankfurt

Im Frankfurter Kunstverein ist zu sehen, wie sich die physikalisch-chemischen Prozessen innewohnende Poesie und die Verwendung naturhafter Mittel in der Kunst auf grundlegende Erkenntnisse über unsere Existenz zurückführen lassen. Isa Bickmann empfiehlt den Besuch der Ausstellung, bedauert allerdings, dass die KünstlerInnen-Auswahl überkommene Geschlechterrollenstereotypen bestätigt.

Von Jasminblütenduft wird man schon beim Betreten des Kunstvereins empfangen. Der in Marokko geborene, in Paris lebende und arbeitete Künstler Hicham Berrada (* 1986) entlockt den nur nachts duftenden Pflanzen ihren Wohlgeruch durch Umkehrung ihres Tag-Nacht-Rhythmus‘. Die Pflanzen selbst bleiben in ihren Vivarien unsichtbar, bis ab Nachmittag Sonnenlicht simuliert wird. Diese Umkehrung kennen wir z.B. aus Zoos, die das Treiben nachtaktiver Tiere am Tage sichtbar machen.

Während man also von der parfümierten Luft begleitet die Treppe hinaufsteigt, sich vielleicht an eine von Blütendüften erfüllte mediterrane oder tropische Nacht erinnert fühlt, fällt der Blick auf eine lange Bahn ausgeblichenen Stoffes, der sich durch das gesamte Treppenhaus des Kunstvereins zieht, darauf in Abständen rote Kreise. Es ist zu erfahren, dass Sam Falls diese Formen mittels Licht geschaffen hat. Aus dem Abfall der Suburbs von Los Angeles zog er Autoreifen und legte sie für zwölf Monate auf den Stoff. Die kalifornische Sonne tat ihr Übriges. Es ist eine durchaus gute Regie, die Besucher vom Duft zur Farbe zu bringen und sie voller synästhetischer Empfindung hinauf in das Thema der Ausstellung zu schicken!

Berradas Werk präsentiert sich sodann in zwei Räumen: „Augures mathématique“ (2018) nennt er Visualisierungen über Open-Source-Software von Veränderungsprozessen in der Natur (Wellen, Wolken, Wurzeln), die mit Hilfe der Mathematik errechnet wurden. Hier entsteht Schönheit – wie auch in „Les Fleurs“ (2016), der Videoarbeit von einer aus Eisenspänen sich unter Magneteinwirkung bildenden Blütenform, welche immer wieder durch den Einfluss von Windkraft zerstört wird und sich stets regeneriert. Ein Titel zitiert August Strindbergs 1898 verfasste Zeilen aus dem Inferno. „Die Blumen, diese Lebendig-Toten, mit ihrem seßhaften Leben, die sich gegen niemanden zur Wehr setzen, eher leiden als schaden, und sich dabei sinnlich zu lieben scheinen, vermehren sich ohne Kampf und sterben[,] ohne zu klagen. Es sind höhere Wesen, die den Traum Buddhas verwirklicht haben, nicht zu wünschen, alles zu ertragen, und sich in selbstgewählter Beschränkung auf sich allein zurückzuziehen.“ (dt. Übersetzung nach: http://gutenberg.spiegel.de/buch/inferno-2239/9, abger. 20.11.2018). Der starke Verweis auf synkretistisch-synästhetische Ideen lebt auch in den anderen ausgestellten Werken des Künstlers fort.

Noch mehr kann man sich von der Arbeit „Masse et Matyr“ (2017) beeindrucken lassen: Ein elektrolytischer Prozess wird mittels einer unter Strom gesetzten Bronzeskulptur sichtbar. Die beschleunigte Oxidation ist anhand der im Wasser schwebenden Partikel zu einer wunderschön anzusehenden Wolke geworden, die sich bei jedem Einschalten neu gestaltet. Durch die elektrische Beschleunigung wurde die Oxidationszeit massiv verkürzt. Chemie und Physik sind Mittel, Formen (auch Farben) entstehen zu lassen. Berrada setzt sie in Gang, lenkt sie und lässt uns angesichts dieser Naturkräfte staunen: Nicht im Wasser lebende Tiere und Pflanzen bewundern wir hier, sondern die Schönheit eines chemischen Prozesses.

Sam Falls, Untitled (Queen 2, Hartland, VT), 2013, Baumwolle, Stofffarbe, Bettrahmen | © Foto: The artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich and New York

Sam Falls‘ (* 1984) Fotogramme, ähnlich der historischen Schadografien (nach Christian Schad) oder Rayographien (nach Man Ray) zu Beginn der 1920er Jahre, entstehen mit Hilfe von Licht als künstlerischem Mittel. Allerdings findet hier nicht wie bei jenen Vorläufern der Frühgeschichte der Fotografie eine Abformung von Gegenständen auf lichtempfindlichem Papier statt, sondern auf farbigem Stoff – und zwar über eine längere Dauer. Die Farbpigmente in den Stoffen lösen sich unter intensiver Sonneneinstrahlung auf. Der Zeitfaktor ist hier entscheidender Impuls bei der Entstehung dieser Spuren.

Nicht nur die Sonne, auch der Regen wird zu einem Mittel der Bildwerdung. Hier lässt der Amerikaner auf Stoffen aufgebrachte wasserlösliche Pigmente mit Hilfe von niedergehendem Regen verlaufen. Der Regen selbst gestaltet das Bild. Bei zwei ausgestellten Werken wird der Unterschied zwischen einem leichten Schauer und einem starken Guss deutlich sichtbar.

Hicham Berrada, Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein, 2018  | © Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2018; Courtesy the artist, WENTRUP, Berlin und kamel mennour, Paris/London; Foto: Wolfgang Günzel

Komplexer im sich wiederholenden Grundkonzept der Lichtzeichnung ist die Arbeit „Untitled (Vivaldi’s For Seasons for the four seasons)“ von 2015: Die Dauer der vier Vivaldi-Konzerte hat Falls auf 365 Tage ausgedehnt. Über das Internet werden Tonspur und Echtzeit synchronisiert und damit der in der Ausstellung zu hörende Ton. An der Wand installierte er Werke aus verschieden farbigem Stoff, zwölf an der Zahl, auf denen die Vinylplatte einer Tonaufnahme und deren Hülle jeweils eine runde und eine quadratische Form durch Sonnenlichteinwirkung hinterlassen haben. Zu dem verharrenden Ton erscheinen die farbigen Stoffe wie eine minimalistisch-serielle Visualisierung von Zeit.

Sam Falls, Untitled (Vivaldi's Four Seasons for the four seasons), 2015; Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein, 2018 | © Foto: Frankfurter Kunstverein; Courtesy Galleria Franco Noero, Turin; Foto: Wolfgang Günzel

Als einzige Frau im Trio tritt Lucy Dodd (* 1981) auf. Die US-amerikanische Künstlerin bespielt den großen Raum der zweiten Raumebene (2. OG). Zentral empfängt eine große gelbe Leinwand mit dem Titel „The Son“, das gesprochen auch „Sun“ (Sonne) heißen könnte und mit dem weiblich-männlichen Dualismus spielt. Zwiebelschalen, Urin, Pyramidengelb und Cadmium sind hier die Farbgeber. Im Raum auf einem Stuhl drapierte, mit Pigment behandelte Baumwollschnüre treten in Beziehung mit senkrecht auf dem Boden aufgestellten Leinwänden. An den Wänden hängen 45 gleichformatige Papierarbeiten (jeweils 30,5 × 30,5 cm). Dodd nutzt der Natur entnommene Pigmente mineralischen, tierischen, pflanzlichen und menschlichen Ursprungs, um in ihren Arbeiten eine spirituell-weibliche Kraft auszudrücken. Im Begleitheft liest sich ihre Herangehensweise so: „Lucy Dodd verbindet die Monate, in denen sie den neuen Werkzyklus geschaffen hat und gleichzeitig mit ihrem zweiten Kind schwanger war, mit einer Zeit, in der Mars nach einer langen Phase der Abwesenheit wieder in ihren astronomischen Kreis eintrat, wo er für Willen, Trieb und Kraft stand.“ Emotionale, von astrologischen Konstellationen beeinflusste persönliche Befindlichkeiten der Künstlerin artikulieren sich mittels Bohnensud, Schwarznuss, Tomate und Kupferfarbe. Die zum großen Teil abstrakten – zweifellos malerisch goutierbaren – Werke bekommen damit eine spirituelle Konnotation und bringen sich im Vergleich zu Berradas und Falls Ernsthaftigkeit in eine Schieflage. Das Weibliche grenzt sich hier deutlich von den beiden männlichen Positionen ab. Und so leben alte Rollenklischees auf: Dodd führt den von Gefühlen ausgelösten und unter astrologischem Einfluss stehenden Schöpfertrieb vor, die Männer widmen sich mehr den physikalischen Prozessen, in denen sich die Natur in Form des gesteuerten Zufalls als schöpferische Kraft von etwas Schönen offenbart. Ein, zwei weitere Künstlerinnen hätten einer inhaltlichen Ausgewogenheit vielleicht gut getan, anstatt mit einer jungen Künstlergeneration überkommende Geschlechtsstereotypen abzubilden.

Lucy Dodd, Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein, 2018  | © Foto: Frankfurter Kunstverein; Courtesy of the Artist, Sprüth Magers and David Lewis Gallery, New York; Foto: Wolfgang Günzel

Letzte Änderung: 11.08.2021

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