DAS ZORNIGE SCHREIBEN

DAS ZORNIGE SCHREIBEN

Hörspiel: Klangkomposition über die schöpferische Seite des Zorns
Miriam Cahn

Schreiben zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn. Zornig kommentiert sie darin das Geschehen in Kunst und Welt. Subjektiv und ausdrucksstark. Ihre Briefe, Tagebücher und Notizen sind mal voller Rage, mal poetisch, immer jedoch streitlustig, denn so Cahn, „Schreiben bringt eine gewisse Klarheit.“ Das spiegelt sich auch in ihrer Kunst wider, in der sie aus einer feministischen Position heraus Bilder und Räume zur Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers, zu Themen von Frausein, Liebe, Sexualität, Gewalt, Antisemitismus, Krieg und Flucht schafft. Oliver Augst inszeniert die zornige Kraft der Veränderung. Er konfrontiert monochrome Soundcluster mit einem vielschichtigen weiblichen Stimm-Quintett und skizziert so eine Verortung Cahns in der Welt als klingendes Porträt einer "Zwiespaltspezialistin", wie sie sich selbst augenzwinkernd bezeichnet.

DAS ZORNIGE SCHREIBEN basiert auf diesen teils poetischen, teils tagebuchartigen Texten und Korrespondenzen mit Freunden, Gegnern, Personen aus der Kunstwelt aus vier Jahrzehnten. Es ermöglicht einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben und macht mit ihrem Kampfgeist bekannt. Cahn ist der Meinung, dass ihr Schreiben genauso wertvoll ist wie ihre Kunst, und sie gibt
unverblümt zu, was sie antreibt: “Schreiben bringt eine gewisse Klarheit”! Nur wenige KünstlerInnen kommentieren ihre Arbeit so konsequent auf literarischer Ebene wie Miriam Cahn. Die Texte, die ihre Werke begleiten, handeln von ihren Beziehungen zu Familie und Freunden, ihrer Einstellung zu Geschlechterbeziehungen, ihren Ansichten über Kunst und Zeitgeschehen. Ohne in Anekdoten abzugleiten, legt sie ihre eigene (jüdische) Familiengeschichte offen, erzählt von Sehnsüchten, dem Erwachsenwerden und der kompromisslosen Suche nach einem eigenständigen Lebensweg. Humanistische Prinzipien sind für Miriam Cahn zentral. Sie wird wütend, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wird zur Aktivistin für Themen, die andere sprachlos machen. Ihre Wut ist der Motor, der sie zum Handeln antreibt, subjektiv, ausdrucksstark, aggressiv. Sie fürchtet Routine und lehnt Methoden und Stile ab, die sie für überholt hält. »ich / wollte künstler werden / Picasso werden / Munch, Goya, Michelangelo / unendliche säulen wie Brancusi machen / tiere wie Franz Marc / engel wie Klee / künstler sein / unbedingt / absolut / frei / wie ein mann leben«, beschreibt Cahn in ihrem Text gedächtnis vergessen künstlerisch ihre Arbeit. Der Arbeit gingen zunächst grundlegende Fragestellungen voraus: Wie sich durch einen Text zur Sprache/zum Klang vor/zurückarbeiten lässt, wie ein Buch als Partitur gelesen, wie die Form/visuelle Gestaltung/Typo/Schreibweise klanglich übertragen werden kann, und ob Schwärzungen im Buch Noise oder Stille bedeuten sollen.
Ausgehend vom Klang der Sprache und vom offenen Charakter von Cahns Texten wurde mittels beweglicher, wendig-kompositorischer Gestaltungsverfahren angesetzt und das nicht-chronologische Aufscheinen der Texte, wie das Blättern in einem Buch, das sprunghafte Lesen, im Sinne gelenkter Improvisationen in Rhythmus, Abfolge, Proportionen überführt.
Für die Klangebene enstanden Sound-cluster, so wie auch die Textzusammenstellung von Miriam Cahn in Clusterform zusammengestellt worden ist. Hierfür ging eine Sammlung von “stehenden” Klängen voraus, durchaus als Farbflächen gedacht, auch Noise, Drones und “dreckige” rhythmische Flächen, die gesamte bunte Palette des Rauschens von weiß über rosa bis rot und braun. Der Bergbach neben Cahns Atelierhaus in Schweizer Bergell ist auch zu hören und tönt in dem Zusammenhang plötzlich ganz ähnlich wie synthetisches Rauschen und elektronisch erzeugter Noise.
Letztlich verfolgt das Hörspiel das Ziel, eine Verortungen Miriam Cahns (gesellschaftlich, politisch, historisch, künstlerisch ..) in der Welt zu skizzieren, und es möchte als klingendes Porträt einer “Zwiespaltspezialistin”, wie sie sich selbst augenzwinkernd bezeichnet, verstanden werden.
DAS ZORNIGE SCHREIBEN steht in einer Reihe mit seit Jahren verfolgten Zusammenarbeiten und Auseinandersetzungen von Oliver Augst mit international agierenden Persönlichkeiten aus dem Bereich der bildenden Kunst, so z.B. mit dem japanischen Konzeptkünstler On Kawara (für die Dokumenta 11), dem US-amerikanischen Zeichner und Poeten Raymond Pettibon, sowie mit dem Medienkünstler Michael Riedel oder Franz West und Martin Kippenberger.

Biografien

Miriam Cahn (geboren 1949 in Basel, Schweiz) hat seit Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung in den 1970er Jahren eine bewusst feministische und selbstbestimmte Haltung eingenommen. Ausgehend von der Zeichnung und frei von akademischen Regeln entwickelte Cahn ein malerisches Werk großer Ausdruckskraft, das andere künstlerische Formen wie das Schreiben, Fotografieren, Filmen oder skulpturales Arbeiten einbezieht. Im Zentrum ihres Interesses steht der Mensch, die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers, aber auch seine Beziehung zur Natur: den Tieren, Pflanzen und Landschaften. Persönliche Erfahrungen, familiäre Erinnerungen und
gegenwärtige Beobachtungen verbinden sich mit gesellschaftspolitischen Ereignissen. Frausein, Geschlecht, Liebe, Sexualität, Gewalt, Antisemitismus, Krieg und Flucht sind wiederkehrende Themen ihrer Arbeit. Kompromisslos konfrontiert Cahn die Betrachter*innen mit ihrem Blick auf das Unsagbare, fordert ein genaues Hinschauen und eine tiefgreifende Beschäftigung mit den Widersprüchen unserer Welt. Das Werk von Miriam Cahn hat im Laufe der Jahre viele Gestalten angenommen und reicht von Zeichnung und Malerei über Fotografie und Film bis hin zur Performancekunst und Skulptur. 2017 Teilnahme an der documenta 14 in Athen und Kassel. 2022 erhielt sie den Rubens-Preis der Stadt Siegen.

Oliver Augst (geboren 1962 in Andernach am Rhein), Musik-, Hörspiel- und Bühnenproduktionen, verschiedene Ensembles,
internationale Konzerttätigkeit. “Als Frankfurts herausragendster Künstler im experimentellen Grenzbereich von Musik, Hörspiel, Literatur und Entertainment verarbeitet Oliver Augst seit vielen Jahren seine Themen und Materialien zu Projekten, die sich aus unerwarteten historischen Perspektiven gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Fragen stellen, um diese mit kritisch-konfrontativen Dramaturgien und klanglich offensiven musikalischen Konzeptionen zu bearbeiten.” (M. Pees, Berliner Festspiele) “He is a musician that is crossing real boundaries. If you haven’t heard of him, it’s because he’s crossed a boundary that matters.” (Downtown NYC). Lebt und arbeitet in Paris und Frankfurt am Main.

Pascale Schiller
https://www.schauspielervideos.de/fullprofile/actress-pascale-schiller.html

Bernadette La Hengst
http://lahengst.com

Käthe Kruse
https://www.kaethekrusekunst.de/index.htm

Letzte Änderung: 15.04.2023  |  Erstellt am: 15.04.2023

DAS ZORNIGE SCHREIBEN
Hörspiel

Vorhören: 20.4.2023 / 20:00 Uhr / zeitraumexit KAPROW / Mannheim (https://www.zeitraumexit.de/veranstaltung/oliver-augst-miriam-cahn)
Ursendung: 12.5.2023 / 0:05 Uhr / Deutschlandfunk Kultur (https://www.hoerspielundfeature.de/das-zornige-schreiben-100.html)

Texte: Miriam Cahn
Komposition und Realisation: Oliver Augst
Stimmen: Miriam Cahn, Elisa Lou Ehinger, Bernadette La Hengst, Käthe Kruse, Pascale Schiller
Unter Verwendung von Feldaufnahmen aus dem Bergell, Schweiz
Stimmaufnahmen und Mastermix: Jan Fraume / Mastermix: Hermann Leppich Hörspielstudio des DLF Berlin
Deutschlandfunk Kultur, Redaktion Klangkunst: Marcus Gammel

Dauer: 52 Minuten

Als Buch ist “Das Zornige Schreiben” 2019 im Verlag Hatje Cantz erschienen. Die Verwendung des Textmaterials erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.

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